SchlossGenuss, so heißt die aktuelle Blogparade die derzeit von „Schlösser und Gärten e.V.“ veranstaltet wird – und das verheißungsvolle Motto kann vieles beinhalten – es mag gelten für das erfreuliche tête-à-tête des allergnädigsten Landesvaters mit der tagesaktuellen Mätresse im dezent-prunkvollen Interieur eines Rokoko-Kabinetts.
Es ist auch das Versprechen, mit dem sich Schlossmuseen heute an den Touristen wenden, der zum Besuch in die vergangene höfische Welt aufbricht – im Fall unseres Schlosses, der Münchner Residenz, ist das tatsächlich eine kleine Expedition, für die man festes Schuhwerk und einige Zeit einplanen sollte….
Wenn Ende Juni nach langer Sanierungsphase der Königsbau der Residenz seine Pforten wieder für Besucherinnen und Besucher öffnet, haben diese Gelegenheit zu einem besonders tiefen und faszinierenden Tauchgang in die höfische „Genusswelt“, speziell auch die kulinarisch-gastronomische: In über 20 neuen Räumen präsentiert erwarten sie die Schätze der Porzellan- und Silberkammern und am Ort des im Krieg zerstörten Speisesaals Ludwigs I. vermitteln mehrere Tafelinszenierungen ein Bild davon, was alles aufgefahren wurde, wenn die Wittelsbacher einst zu Tisch baten. Zugleich soll eine begleitende Medienstation aber auch den Blick dafür schärfen, dass dieser „Schlossgenuss“ für die Allermeisten der Genuss der anderen blieb: Hinter den Prachtkulissen musste ein vielfältiger Organisations- und Logistikbetrieb die Maschinerie höfischer Repräsentation am Laufen halten. Was theoretisch den meisten bewusst ist, bekommt noch heute unmittelbare Anschaulichkeit beim Blick in einen erstmals 1842 veröffentlichten Ratgeber: Das seinerzeit viel gelesene Buch „Der Hofmarschall“ von Baron Carl Otto Unico Ernst von Malortie (1804-1887), Baron, Jurist und – vom Fach: denn seit 1836 diente er Ernst August von Cumberland, dem späteren König von Hannover als Reise- und Oberhofmarschall.
Der altadelige Autor, der auch noch einen zweiten Klassiker, „Das Menue“ verfasst hat, erweist sich bei der Lektüre seiner dicken Bände als penibel und knochentrocken – keine leichte Kost, aber gerade deshalb sind seine Informationen, das was gesagt, was ausgelassen und als bekannt vorausgesetzt wird, besonders aufschlussreich und letztlich auch auf die Verhältnisse am Münchner Hof der Könige Maximilian II. und Ludwig II. übertragbar: Über Dutzende von Seiten hinweg führt Malortie Menüfolgen zu verschiedenen Gelegenheiten an den deutschen und europäischen Höfen des 19. Jh. auf, veröffentlicht Modell-Formblätter für Abrechnungen, Inventarkontrollen und Arbeitsverträge, umreißt aber auch die möglichst vorbildliche Organisation von Küche und Keller, die Versorgung des Hofstaats auf Reisen und stellt die Vorteile des Servierens nach französischer oder russischer Art heraus: Schließlich wirft mangelhafter Service an der fürstlichen Tafel schlechtes Licht auf eine höfische Verwaltung: Kann ein Monarch erfolgreich regieren, in dessen Haushalt es bereits an geschultem Fachpersonal mangelt?! Tatsächlich erachtete Malortie ein großes Diner im Residenzschloss als den ultimativen Ernstfall, bei dem alle Rangklassen der Dienerschaft gefordert waren und meistens noch zusätzliches Personal hinzugezogen werden musste. Das betraf nicht nur das hektische Treiben zwischen Vorratskammer, Holzlager, Küche und Weinkeller, sondern auch das geschäftige Auf und Ab im Festsaal selbst:
Schon für ein Festessen mittlerer Größe, also mit 50 bis 60 Gästen, veranschlagte er eine kleinere Armee unter der Oberleitung eines Aufsicht führenden, entsprechend geschulten Dieners, eines „Officianten“ also: Aus der Silberkammer kamen zwei Silberdiener dazu, die Auf- und Abtragen des kostbaren Silberzeugs kontrollierten und beim Servieren halfen. Für die Versorgung mit Getränken stand am Büffet ein Mundschenk mit seinen zwei Assistenten bereit. Hinzu kamen fleißige Träger, die Speisen und Getränke in ununterbrochener Reihenfolge aus Küche und Keller herbei trugen. Selbstredend, dass für die anwesenden Fürstlichkeiten jeweils persönliches Personal samt Gehilfen abgestellt wurde.
Um dem Rest der Tafelnden die jeweiligen Gänge in angemessener Zeit zu servieren, teilte man den Speisetisch in Sektionen zu jeweils 15 Plätzen ein: Diese 15 Gäste wurden jeweils von sieben Dienern umsorgt, nämlich einem weiteren „Officiant“, der vorlegte, begleitet von zwei Gehilfen, die neben ihm Sauce und Nebengerichte anboten. Hinzu kam ein weiterer Mann für Getränke und drei Dienern in Livree, die in ihrer jeweiligen Sektion nur „aufwarteten“, also auf Zuruf und Zeichen der Gäste zu Diensten standen. Dergestalt umschwirrte idealerweise ein Stab von 28 Personen 60 Gäste und versorgten diese mit Köstlichkeiten auf silberfunkelnden Tellern. Damit diese nicht ausgingen, wurde der Nachschub an sauberem Silbersgeschirr durch insgesamt vier Silberlakaien gewährleistet, die man nach Ende des Festes auch zur nächtlichen Bewachung der Silberkammer heranzog.
Und die schmutzigen Teller? Kaum ein Hof, auch der bayerische nicht, war in der Lage, ein großes Festessen mit zahlreichen Gängen ohne weiteres auf einer ausreichenden Zahl gleichförmigen Geschirrs aus Edelmetall aufzutischen: Teile des bereits abgetragenen Silbers mussten also zwischen den einzelnen Gängen gespült und erneut in den Speisesaal geschickt werden. Der detailverliebte Malortie erläutert, wie man sich eine solche vormoderne „Waschstraße“ vorzustellen hat:
Zwölf Gäste, so überschlägt er, verbrauchen im Laufe eines Diners etwas neun Dutzend Silber- und Porzellanteller (was zunächst einmal interessante Rückschlüsse auf die Speisefolge erlaubt, sich aber beim Blick auf die beispielhaften Menufolgen im zweiten Teil des Ratgebers rasch klärt – und als realistisch erweist…). Am effektivsten werden diese Geschirrberge von sechs Silberwäscherinnen gereinigt. Dafür übergibt man das benutzte Speisegerät der vereidigten, damit also hoffentlich vertrauenswürdigen Ober-Silberwäscherin. Nach einer ersten Vorreinigung gelangt es in die Hände der ersten Aufwaschfrau, von dort wandert es in ein Bad aus heißem Wasser und Weinzenkleie, wird dann in reinem heißen, danach im kaltem Wasser gespült und abgetrocknet. Vor dem Einräumen reinigen vier Personen die kostbaren Stücke nochmals mit englischer Kreide und Weingeist, reiben sie mit Rehleder ab und polieren mit den Fingern nach, die dafür in das sogenannte „Pariser Rot“ getaucht werden.
Angesichts des Aufwands ist verständlich, dass der erschöpfte Malortie empfahl, eine höfische Speisefolge nicht länger als maximal eineinhalb Stunden auszudehnen. Wenn die Gäste den Saal schließlich verlassen hatten, blieb außer dem abräumenden Personal noch der Silberdiener vor Ort: Musste er doch die nicht verbrauchten Kerzenenden aus Leuchtern und Lüstern herauspflücken, um das kostbare Wachs zu sammeln und einer Wiederverwertung zuzuführen!
Übrigens: Um die unvermeidlichen „Näschereien“ der Lakaien wirkungsvoller einzudämmen, sprach sich Malortie, der über hunderte von Seiten zuverlässig die Arbeitgeberposition vertritt, also für Kostensenkung und knallharte Kündigung plädiert, zähneknirschend für regelmäßige Verköstigung durch die Hofküche aus. Vier Gänge mit Maccaroni-Suppe und Rinderbraten – so ein Menü scheint ihm als Sonntagsessen angemessen. So enden wir doch mit etwas Genuss im Dienerschaftstrakt, denn nicht umsonst stammt unser höfischer Autor aus der Heimat seines Zeitgenossen Wilhelm Busch, der weiß: „Jeder Jüngling hat wohl mal
’n Hang fürs Küchenpersonal….“
1 Kommentare