Die Spiegelgalerie zu Zeiten Ludwigs XIV.
Die Gesandten aus Siam waren tief beeindruckt. Im Zuge ihrer Reise an den königlichen Hof in Versailles im Jahr 1686 (hier geht es zu einer Ansicht der Szene aus einem weiterführenden Artikel) sollten Sie einen Eindruck von der uneingeschränkten Macht Ludwigs XIV. erhalten. Und nun standen sie in der Spiegelgalerie des Schlosses, den Kopf tief in den Nacken gelegt, um die zahlreichen Bilder an der Decke zu betrachten. Der 73 Meter lange und über zehn Meter breite Saal erlaubte auf der Fensterseite den Ausblick auf eine sich bis zum Horizont erstreckende Parklandschaft, während sich gegenüber das Licht in 375 großen Spiegeln brach – eine einzigartige Demonstration technischer und kultureller Meisterleistungen.
Der Urheber der Gemälde – der Maler Le Brun persönlich – zeigte ihnen das umfangreiche Bildprogramm, das in mythologischer Überhöhung die militärischen und politischen Erfolge des französischen Königs verherrlichte und seine unanfechtbare Dominanz über die anderen europäischen Mächte ins Bild setzte. Die Besucher aus dem fernen Südostasien nannten ihren Fremdenführer Le Brun einen „König der Maler“ und erklärten sich die „göttliche Positur“, in der Ludwig XIV. auf den Gemälden dargestellt ist, mit dessen „übermenschlichen Taten“.
Ein bayerischer König inszeniert sich absolutistische Macht
Ludwig II. schrieb im März 1867 in sein Tagebuch: „Über Ludwig XIV. gelesen. Herrschergewalt, Zeit der Blüte, des Glanzes des Königtums; Allmacht, Glorie der Majestät, königliche Gottheit.“ Von der Machtfülle eines Sonnenkönigs war der bayerische König weit entfernt. Besonders nach seinem Unterzeichnen des sogenannten Kaiserbriefs im Jahr 1870, der dem König von Preußen – Wilhelm I. – die Kaiserwürde antrug. So inszenierte er sich künstliche Paradiese, wie die „Gralsburg“ Neuschwanstein, das Neo-Rokoko-Schlösschen Linderhof sowie das königliche Jagdhaus auf dem Schachen mit seinem „Türkischen Saal“ – oder imaginierte fiktive Zufluchtsorte, die nicht über die Planungsphase herauskamen – wie ein chinesischer Sommerpalast in den Tiroler Alpen oder ein byzantinisches Schlossprojekt im Graswangtal.
Der Tod Ludwigs im Jahr 1886 verhinderte die Vollendung des Schlosses Herrenchiemsee, der Historismus-Version der Versailler Schlossanlage auf der Herreninsel im „Bayerischen Meer“.
Der Architekt Georg Dollmann entwirft das Schloss Herrenchiemsee
Schloss Herrenchiemsee war das am sorgfältigsten durchgeplante Projekt des Königs. Hunderte von Plänen, Grundrissen und Ansichten bis hin zu Fotomontagen und Bühnenbildmodellen ließ Ludwig anfertigen, um seine Ideen Wirklichkeit werden zu lassen. Die Planung des Projekts übertrug er Georg Dollmann, einem Architekten und ehemaligen Assistenten Leo von Klenzes, der bereits für Ludwigs Vater Max II. gearbeitet hatte. Dollmann wurde vom König gleich dreimal – 1875, 1877 und 1878 – zu Studienzwecken nach Frankreich geschickt, um vor Ort angesichts des Originals zahlreiche Entwürfe anzufertigen, die für die Entwicklung des Projekts Herrenchiemsee unerlässlich waren.
Ludwig selbst arbeitete sich intensiv in die Materie ein, sichtete umfassend die historischen Ansichten, Pläne und Schriften. Damit behielt er bei der Planung bis ins Detail die Entscheidungshoheit und rügte Abweichungen, wie die versehentliche „Vergrößerung“ der Spiegelgalerie sowie die fehlerhafte Positionierung zweier Deckengemälde: „Mache es Herr Oberhofbaudirektor (Dollmann) wie er wolle. Er sei schuld, daß es so gebaut ist, es müsse genauso werden, wie S.M. (Seine Majestät) es haben wollen.“
Eine großformatige Graphik geht auf die Reise – der Deckenplafond des Versailler Spiegelsaals
Unter der Vielzahl der für das Schloss Herrenchiemsee angefertigten Pläne gibt es einen Entwurf von Georg Dollmann, der schon aufgrund seiner Größe heraussticht. Es handelt sich um eine auf Leinwand aufgezogene Tintenzeichnung, die – über einen Keilrahmen gespannt – 74,2 cm in der Höhe und 254,5 cm in der Breite misst. Diese große Graphik wurde – neben anderen Kunstobjekten – bereits im Frühjahr 2019 vom Versailler Schlossmuseum als Leihgabe der Bayerischen Schlösserverwaltung für die in Versailles geplante Ausstellung „Versailles Revival 1867-1937“ angefragt. Der zuständige Museumsreferent – Herr Dr. Schatz – setzte sich hierauf mit mir in Verbindung, da ich als Papierrestaurator der BSV dieses Objekt auf seine Ausleihfähigkeit untersuchen, es gegebenenfalls restaurieren und als Kunstkurier zum Ausstellungsort begleiten sollte.
So stand ich mit meiner Kollegin, der Museumstechnikerin Kerstin von Zabuesnig im Nymphenburger Ludwig-II.-Archiv und suchte nach der Graphik. Sie konnte sich aufgrund ihrer Größe in keiner der Schubladen der Planschränke befinden, die übereinander- und nebeneinandergestellt den Archivraum füllen. Hinter einem der Schranktürme fanden wir schließlich das übermannshohe, in Luftbläschenfolie eingewickelte Paket. In die Papierrestaurierungs-Werkstatt gebracht, konnte das Objekt näher untersucht werden.
Es kam eine fein ausgeführte, etwas technisch anmutende Strichzeichnung auf verbräuntem Papier zum Vorschein. Diese war mit Gouache-Farben lasierend und deckend koloriert. Ein Vergleich mit Aufnahmen der Spiegelgalerie-Decke in Frankreich zeigte, dass Dollmann sich eng an die Motive des Originals hielt. Die große Zeichnung auf dem Keilrahmen war auf der Vorder- und Rückseite stark eingestaubt, die Oberfläche partiell verkratzt und kranzartige Flecken zeigten die Folgen eines früheren Wasserschadens. So konnte die Graphik nicht in die Ausstellung gegeben werden.
Es folgte eine fotografische und schriftliche Dokumentation des Zustandes, eine genaue Untersuchung und die Restaurierung. Diese umfasste eine Trockenreinigung, die Bearbeitung von mechanischen Schäden und die Durchführung von Retuschen. Um das Kunstwerk in der Versailler Ausstellung angemessen präsentieren zu können, musste eigens ein passender Rahmen angefertigt sowie eine Reproduktion in Auftrag gegeben werden. Da Licht – und sei es die UV-freie Museumsbeleuchtung – weitere Schäden, wie z.B. Ausbleichen der Farben, am Objekt hervorrufen kann, wird das Original nur wenige Wochen gezeigt und dann durch einen hochwertigen Digitaldruck ersetzt. Ein Rückseitenschutz aus archivsicherem Karton, der über die offenliegenden Bereiche der Leinwandrückseite gesetzt wurde, gewährleistet weitgehende Sicherheit vor mechanischen Schäden.
Für den eigentlichen Transport der Leihgaben nach Frankreich – es wurden mehrere Objekte verschiedener Kunstgattungen angefragt – war durch das Schlossmuseum Versailles eine Kunsttransportfirma beauftragt worden. Mitarbeiter dieser Firma verpackten die Graphik, transportierten sie, montierten sie vor Ort und besorgten auch das Abhängen und den Rücktransport. Als zuständiger Restaurator war ich bei jedem dieser Schritte anwesend und kontrollierte anhand eines Zustandsprotokolls, ob es Veränderungen bzw. Schäden am Objekt gegeben hatte. Am Ausstellungsort war zusätzlich eine Restauratorin des Hauses beteiligt, die ebenfalls das Original mit dem Zustandsprotokoll abglich. Der Austausch des Originals nach einigen Wochen gegen einen Digitaldruck fand durch unsere Museumstechnikerin statt.
Nachdem die Arbeit in den Ausstellungsräumen getan war, nahm ich mir die Zeit für eine Besichtigung der Spiegelgalerie, die mir nach der intensiven Beschäftigung mit der Grafik theoretisch durchaus vertraut war. Dabei ging es mir aber in der Selbsterfahrung des Besuchs wie den Gesandten aus Siam vor über 300 Jahren. Ich hob den Blick und ließ mich durch die Pracht und Perfektion der originalen Decke und des Raumeindrucks überwältigen. Diese hatte der französische König des Absolutismus par excellence in Auftrag gegeben, dem der bayerische Ludwig mit Schloss Herrenchiemsee ein Denkmal setzte, obwohl der Sonnenkönig von heute betrachtet so ganz anders war als der bayerische Monarch. Dessen verwirklichte Schlossarchitekturen, mit deren Hilfe er der Realität seines durch die konstitutionelle Monarchie im 19. Jahrhundert eingeschränktem Wirkungsfeldes entfloh, ziehen wiederum gleichfalls Menschen aus aller Welt in ihren Bann.