Wenn im Laufe der diesjährigen Residenzwoche wieder die Werke barocker Komponisten in den verschiedenen Prunkräumen unseres Schlosses erklingen, ist der Besuch eines Konzerts im (1980/85 rekonstruierten) Kaisersaal auf der Nordseite der Residenz über den Baumkronen des Hofgartens sicher ein besonderes Erlebnis:
Festlich getragene Melodien passen gut zu der schweren, reich vergoldeten Architektur des Raumes, während das klangliche Auf und Ab einer effektvoll vorgetragenen Koloraturarie und die charakteristischen, dünnen Tonfolgen des Cembalo schön die Leidenschaften der leicht bekleideten Damen und ihrer muskulösen Galane illustrieren, die aus den zahlreichen Friesbildern auf die Besucher herabblicken. Noch eindrucksvoller wird ein solches Zusammenspiel von Musik, Architektur und Malerei jedoch, wenn man sich das gedankliche Konzept klarmacht, das einst hinter der Einrichtung dieses repräsentativen Festsaales stand und in dem heute wieder jedes Ausstattungsdetail eine bestimmte Rolle spielt. Auftraggeber war – wie so oft in der Geschichte der Residenz – der umtriebige und ehrgeizige Herzog, später Kurfürst Maximilian I. (reg. 1597-1651), der seine geerbte und noch etwas zusammengestückelte Residenz bis 1615 zu einer für damalige Verhältnisse riesigen Anlage ausbauen ließ, die die Machtansprüche der Wittelsbacher jedem noch so unbedarften Besucher eindrücklich vor Augen führte.
Besonders im Blick hatte der Bayer dabei seine österreichischen Vetter, die Kaiser aus dem Hause Habsburg, die ja zumindest in der Theorie seine Lehnsherren waren. Um den Kaiser und seinen Hofstaat bei Staatsbesuchen in München gebührend zu beeindrucken – oder einzuschüchtern – wurde die ganze Nord-und Westfront des Neubaus zu einem imperialen Gästeappartement mit davor gelegenem Festsaal ausgebaut, dem (deshalb so genannten) Kaisersaal.
Als inhaltliches Zentrum der kostbaren Raumausstattung fungierte eine – heute leider nicht mehr vorhandene – Plastik auf dem mächtigen Kaminsims: Die thronende Frauengestalt im Harnisch, umgeben von allerlei Tieren, war aus rötlichem Stuckmarmor gefertigt, der kostbaren Porphyrstein imitieren sollte, und stellte die „Virtus“ dar, die Tugendhaftigkeit des Herrschers.
Auf diese Tugend und ihre einzelnen Facetten war die ganze restliche Bildausstattung ausgerichtet: Die Darstellungen auf den Teppichen und Wandbildern zeigten jeweils abwechselnd Helden und Heldinnen der Bibel und der antiken Überlieferung, die sich durch Demut, Tapferkeit, Opferbereitschaft, Großzügigkeit, Gerechtigkeit und andere schöne Eigenschaften auszeichneten, oft mit ihrem Leben dafür eingestanden waren – wobei jedem „heidnischen“ Exempel ein biblisches, bzw. christlich motiviertes Tugendbeispiel gegenübergestellt war.
Richtig raffiniert wurde es aber erst in den von Peter Candid und seiner Werkstatt geschaffenen Deckenmalereien: In drei unglaublich komplizierten Allegorien, die trotz (oder wegen??) ihrer lateinischen Beischriften auch von Zeitgenossen in der Regel nur mit Hilfe einer der gedruckten Erläuterungen des Bildprogramms zur Gänze aufgeschlüsselt werden konnten, wurde hier gezeigt, dass wahre Tugend den Glanz und die Würde irdischer Herrschaft verachtet: Sie erscheint hier nur als Bürde, die die eigene Vervollkommnung gefährdet. Es waren dies Töne, wie sie im 17. Jahrhundert vor allem im Kreis der Neo-Stoiker um den einflussreichen Humanisten Justus Lipsius angeschlagen wurden (der zugegebenermaßen allerdings auch auf keinem Thron saß…).
Auf jeden Fall war es eine Haltung, die einem christlichen Herrscher wohl zu Gesicht stand. Und darauf kam es an, denn seine volle – und hinterhältige – Wirkung entfaltete das Bildprogramm in den Momenten höchster staatlicher Prachtentfaltung: Wenn der Kaiser mit Glanz in diesen Saal einzog, forderten ihn in die Bilder nicht nur auf, sein hohes Amt in Demut zu tragen und mit Tugend auszuüben. Sondern wer als wahrer Held erschien, der das Wesen der Virtus wirklich verinnerlicht hatte, war derjenige, der in diesen Momenten (scheinbar) demütig zur Seite trat und seinem Lehnsherren all diesen Prunk mit großer Geste und offenbar neidlos überließ – der Gastgeber: Maximilian, der damit also der Erste/I. blieb…
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