Hinter den Kulissen, Lieblingsstücke unserer Autoren, Residenz München

Ticken die denn noch richtig? – der kurfürstliche Hofuhrmacher Paulus Graff und sein Meisterwerk

Heute fällt es schwer, sich bewusst zu machen, welch einschneidende Bedeutung die Erfindung und Einführung von transportablen Uhren für die Menschen der frühen Neuzeit gehabt haben muss. Als Zeitmesser ersetzten sie ja mit neuer Exaktheit – wenn auch zunächst nur für wenige – den Blick auf den ungefähren Sonnenstand und die grobe Orientierung an den Kirchenglocken, die regelmäßig zum Gebet läuteten.

Saturn, der geflügelte Gott der Zeit, thront über den Figuren von Tag und Nacht - Deckengemälde aus dem Vierschimmelsaal der Residenz

Saturn, der geflügelte Gott der Zeit, thront über den Figuren von Tag und Nacht – Deckengemälde aus dem Vierschimmelsaal der Residenz


Die übliche Aufteilung unseres Lebens in klar definierte Arbeits- und Freizeitphasen wäre ohne eine verbindliche Zeitmessung letztlich genauso wenig möglich wie die motzige Miene der Verabredung, die man notorisch unpünktlich eine halbe Stunde am Marienplatz hat warten lassen…
Im 18. Jahrhundert zumindest dürfte die Faszination angesichts der technisch immer ausgetüftelter tickenden Chronometer noch ungebrochen gewesen sein: das Ticken selbst war nämlich erst ungefähr seit einem Jahrhundert zu hören, nachdem Christiaan Huyghens das Pendel als Grundlage für eine exakte und regelmäßige Folge der Zeitintervalle propagiert hatte. Auch war keineswegs klar, dass die Uhren überall gleich gingen – überliefert ist das Entzücken Ludwigs XVI., dass bei einem Besuch in Rouen die Zeiger dort mit denen seiner (auf Pariser Zeit eingestellten) Taschenuhr übereinstimmten!

Dass zumindest die Uhren innerhalb der Residenz und den übrigen kurfürstlichen Schlössern im Münchner Umland synchron liefen, stellte eine ganze Gruppe von eigens mit deren Wartung beauftragten Hofuhrmachern sicher. Der bekannteste von ihnen dürfte der 1756 aus Augsburg zugewanderte Paul Graff gewesen sein.1772 erfolgte seine Ernennung durch Max III. Joseph, der Graff zum Herrn von mehreren hundert (Uhren)Schlüssel machte, mit denen die unzähligen ein-, sieben-, oder vierzehntägigen Werke von vergoldeten Pendulen und kostbar eingelegten Stutzuhren aus Bronze und Holz auf Kaminen und Konsoltischen aufgezogen werden mussten.


Graffs Meisterwerk - die monumentale St. Georgs-Uhr

Graffs Meisterwerk – die monumentale St. Georgs-Uhr


Mit besonderer Vorliebe wird Graff sich wohl einem – seinem eigenen, von ihm signierten – Stück angenommen haben, einer großen Prunkuhr, deren Entwurf und Mechanik er um 1755, also praktisch zu seinem Einstand in München, geschaffen hat und die er später an den Hof verkaufen konnte:
Das kastenförmige Gehäuse aus vergoldeter Bronze ist mit einem dichten Netz silberner Rokokoornamente belegt. An den vier Ecken präsentieren Silberskulpturen der vier Jahreszeiten ihre Gaben. Und über den geschwungenen Giebeln, zwischen geflügelten Putti, erhebt sich die schimmernde Reiterfigur des heiligen Georg, der mit gezücktem Schwert gegen den kauernden Drachen ansprengt.
Aber nicht allein der Schmuck, auch die Vielzahl ihrer mechanischen Funktionen weisen die Uhr als besonderes Schau- und Repräsentationsobjekt aus: Verschiedene Zifferblätter zeigen neben der Stunde auch Monat, Wochentag und Datum an.


Georgsuhr

Das Innere des Kastens birgt hinter großen seitlichen Sichtfenstern ein komplexes Spielwerk, das mit dem Stundenschlag verschiedene Melodien erklingen lässt. Schließlich ergänzt diese tönende Feinmechanik noch ein kleines Manuale, dessen Tasten sich in einem besonderen Schubfach im Uhrensockel verbergen.
Graffs Georgsuhr zeigt deutlich, dass ein solches Stück noch im 18. Jahrhundert nicht allein als praktisches Instrument der Zeitmessung fungierte, sondern als Kunstwerk und Ausdruck einer komplexen Symbolik begriffen wurde. Zeiger und Pendel mahnen nicht nur an das unaufhaltsame Verstreichen der Zeit, ihre unbestechliche Mechanik verweist auch auf göttliche Ordnung und geregelte Disziplin. Nicht zufällig wird das kosmologische Programm mit den Figuren der Jahreszeiten und dem gravierten Tierkreis unter den Schutz des Heiligen gestellt, der den Drachen, die Verkörperung des Chaos, niederstößt. In dieser fast sakralen Anmutung erinnert Graffs Uhren-Monument an das ältere Georgsreliquiar, das Herzog Wilhelm V. 1568/97 für einen hochverehrten Überrest dieses Heiligen und ältesten Schutzpatron der Residenz gestalten ließ.


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Es kann daher auch vermutet werden, dass das Bildprogramm von Graffs Uhr auf den exklusiven Wittelsbacher Hausorden des Heiligen Georg anspielt, der 1729 in München neu gegründet worden war.

Zurzeit planen wir, dieses Prunkstück der Uhrmacherkunst umfassend zu restaurieren. Dann werden Figuren und Verzierungen wieder schimmern und hoffentlich auch die Melodien des diffizilen Spielwerks zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten neu erklingen können. Diese Verjüngungskur wäre nicht die erste: Schon aus dem Jahr 1784 ist eine Rechnung Graffs überliefert, wonach er für 18 Gulden seine „[…] große künstliche Uhre, wo der heil. Ritter Georgious oben auf zu Pferd sitzet, gänzlich zerleget und ausgebuzt, auch eine neue Feder samt zweien saiten eingemacht, auch so anderes verbessert uns auf das schönste widerum hergestellt“ hat.