Lieblingsstücke unserer Autoren, Residenz München

Macht hoch die Tür… – oder zumindest schön! weiß-goldene Schnitzkunst im Puille-Kabinett

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Weihnachtszeit ist Adventskalenderzeit und Adventskalenderzeit ist Türchenzeit: Während in den Büros und Designabteilungen der Lebensmittel- und Geschenkeindustrie vermutlich ab Hochsommer verzweifelte Grafiker über der Frage brüten, welche niedlichen Sympathieträger, Nikoläuse und rotnasigen Rentiere denn diese Saison wieder auf die vermaledeiten vierundzwanzig vorgestanzten Kalenderöffnungen gedruckt werden können, haben wir dieses Problem in der Residenz zum Glück nicht: Türe und Toren in diversen Größen, Farben und Formen haben wir deutlich mehr als vierundzwanzig und die Überraschungen dahinter sind zwar selten aus Schokolade, machen aber dennoch viel Freude.

Tür des Puille-Kabinett, Münchner Residenz, Raum 37, Eichen- u. Lindenholz, weiß gefasst u. vergoldet, um 1780

Tür des Puille-Kabinett, Münchner Residenz, Raum 37, Eichen- u. Lindenholz, weiß gefasst u. vergoldet, um 1780

Eine besonders schöne und verheißungsvolle Tür öffnet den Raum 37 unseres Rundgangs, das sogenannte Puille-Kabinett: Auf dem weiß gefassten Holz der Türflügel entfaltet sich ein ganzer kleiner Kosmos eleganter Formen und phantasievoller Details aus vergoldetem Schnitzwerk und gehärteter Modelliermasse: Stilisierte Pflanzengeschlinge, in denen Trophäen, Muscheln, Musikinstrumente und andere Kleinigkeiten hängen, und aus deren Blättern und Blüten an manchen Stellen Masken, kleine Bocksfüße und Widderköpfe hervorwachsen, überziehen die Flächen mit einem symmetrisch geordneten Ornament. Dieser sogenannte „Arabesken-Stil“ der plastischen Verzierungen gibt bereits den wichtigsten Hinweis für eine zeitliche Einordnung der Tür in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, in dem im Bereich der Möbelkunst und Inneneinrichtung der Vorläufer des strengen Klassizismus, der sogenannte goût grecque oder „style etrusque“ dominierte: Dieser orientierte sich – die Bezeichnungen „griechisch“ bzw. „etruskisch“ verrät es bereits – ,wie so oft in der (Kunst-)Geschichte Europas an antiken Vorbildern, in diesem Falle an den erhaltenen Dekorationsmalereien an den Wänden römischer Villen und Stadthäuser aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert.

Detail einer Dekorationsmalerei aus Pompeji

Detail einer Dekorationsmalerei aus Pompeji

Diese waren zwar schon im 16. Jahrhundert bekannt gewesen und damals nach ihren mittlerweile unter Bodenniveau gelegenen Fundorten, den „Grotten“ des römischen Stadtgebiets, „Grotesken“ benannt und begeistert nachgeahmt worden – auch in München: Die in den 1580er Jahren begonnene Ausmalung des Antiquariums ist eines der bedeutendsten Beispiele dieser Groteskenmode im deutschsprachigen Raum.

Antiquarium Residenz München

Wimmelbild aus dem 16. Jh. – Grotesken in den Fensterlaibungen des Antiquariums.

Einen ganz neuen Schub bedeutete aber dann die im 18. Jahrhundert erfolgte Entdeckung und Ausgrabung der süditalienischen Provinzstädte Pompeji und Herculaneum, die 79. n. Chr. beim Ausbruch des Vesuv verschüttet – und so makaberer Weise sehr vollständig konserviert worden waren. Ganze Heerscharen von Künstlern und Architekten pilgerten im Zuge der Freilegungen ins Königreich Neapel-Sizilien, um die aus der Asche wieder auftauchenden Gebäude und ihre flächendeckenden, ebenso originellen wie zart und flüchtig hinimprovisierten Malereien zu studieren und in freier Variation auf zeitgenössischen Möbeln, Porzellanen – oder eben auch geschnitzten Türflügeln weiterzuentwickeln.

Auf diese antike Erbschaft deuten auch die vier ovalen Bildmedaillons im Zentrum der Türkompartimente hin, die an römische Steinschnitte- und Reliefs, die sogenannten Gemmen bzw. Kameen erinnern sollen.

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Sie zeigen das Personal der griechisch-römischen Mythologie: auf der einen Seite das olympische Königspaar Zeus/Jupiter und Hera/Juno, deren Platzierung auf getrennten Türflügeln vielleicht auf ihre gescheiterte Promi-Ehe verweist. Auf der anderen Seite verfolgt der liebeshungrige Sonnengott Apoll die wenig begeisterte Nymphe Daphne, die sich ihm durch Verwandlung in einen Lorbeerbaum entzieht.

Schloss Karlsberg, graphische Darstellung aus dem späten 18. Jh.

Schloss Karlsberg, graphische Darstellung aus dem späten 18. Jh.

Angefertigt wurde unsere elegante Tür übrigens ursprünglich nicht für die Residenz, sondern für das Schloss Karlsberg bei Homburg, einem Prachtbau des Herzogs Karl August aus der Zweibrücker Linie des Hauses Wittelsbach.

Als Karl August Bruder Max Joseph 1799 infolge verwickelter Erbfolgeregelungen als neuer pfalz-bayerischer Herrscher die Regierung in München antrat, wurden die modischen Vertäfelungen zusammen mit Möbeln und anderem mobilen Karlsberger Kunstgut in die Residenz gebracht. Hier erweiterte und ergänzte Max Josephs Hofarchitekt Charles Pierre Puille die geschnitzten Paneele, bevor er sie zur Ausstattung zweier kostbar eingerichteter Kabinette im Bereich der heutigen Trierzimmer verwandte.

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Erst nach dem Krieg wurden die erhaltenen Reste von Puilles eleganten Raumschöpfungen am heutigen Standort neu installiert.