Hinter den Kulissen

Mit Pergament, Fehhaar und Berggrün: Zur Herstellung des Prunner Codex (Teil 1)

Am Sonntag, den 23. September, findet wieder eine spannende Expertenführung auf der Burg Prunn statt. Dieses Mal mit Einblicken in die vielfältige Arbeit unserer Restauratoren. Papierrestaurator Jan Braun macht Euch seine Führung zu einem wirklich außergewöhnlichen Projekt hier schon einmal schmackhaft!

Eine Burg und ihr Buch

Was für eine großartige Lage für eine Höhenburg – hoch über dem Altmühltal steht die Burg Prunn wie emporgewachsen auf einem Felsplateau aus Kalkstein. Wer sie betreten möchte, muss auf einer hölzernen Brücke den 20 Meter breiten Graben überwinden, der die Burg vom Berg trennt. Schon bei meinem ersten Besuch war mir klar: dies ist ein ganz besonderer Ort.

Burg Prunn Bergfried_BrückeZur Neupräsentation nach rund 60 Jahren wurde neben der wechselvollen Geschichte dieses Bauwerks ein Aspekt besonders in den Fokus genommen: 1566 entdeckte Wiguläus Hund, Hofrat Herzog Albrechts V., auf der Burg den sogenannten „Prunner Codex“ – eine der ältesten erhaltenen vollständigen Handschriften des Nibelungenliedes. Diese Abschrift der mittelalterlichen Heldendichtung, die seit dem 19. Jahrhundert als deutsches Nationalepos gedeutet wird, konnte im Original im Jahr 2013 zeitweise auf der Burg in Augenschein genommen werden.

Anlässlich der Rückgabe der unersetzlichen Handschrift an die Bayerische Staatsbibliothek stellte sich die Frage, was an seiner Stelle gezeigt werden könnte. Es sollte keine digitale Reproduktion sein, sondern ein geschlossen präsentiertes Buch, das einen Einband trägt, der dem ursprünglichen nahekommt – sowie eine möglichst mit den Mitteln des Mittelalters hergestellte Kopie der ersten Doppelseite mit den berühmten Anfangszeilen des Nibelungenliedes: „Uns ist in alten meren wunder vil geseit…“

Der Prunner Codex und die Rekonstruktion seines Einbandes

Welches Bild könnte sich dem Humanisten Wiguläus Hund geboten haben, als er das Buch fand und in die Hände nahm? Während die auf Pergament geschriebene und gemalte Handschrift wahrscheinlich um 1330 in Nordbayern bzw. Böhmen entstanden ist, zeigt der Einband spätgotische Merkmale, ist also erst im 15. Jahrhundert hergestellt worden. Das ist nicht ungewöhnlich. Eigentlich ist der handgefertigte mittelalterliche Codex äußerst stabil und dauerhaft. Aber nach 100 Jahren der Benutzung kann auch der beste Bucheinband deutliche Spuren des Gebrauchs und Schäden aufweisen. Um den kostbaren Inhalt zu schützen, musste der Einband erneuert werden – und zwar im Stil der Zeit.

Das stellte ein Problem für die Herstellung der Buchrekonstruktion dar. Diese sollte – zumindest äußerlich – dem spätgotischen Aussehen entsprechen. Bereits vor 1900 war der Einband jedoch wieder so schadhaft, dass er repariert werden musste. Bei Restaurierungsarbeiten in den 1950er und 60er Jahren wurde er so stark verändert, dass er schließlich viel von seinem ursprünglichen Erscheinungsbild verloren hatte (siehe mittlere Abbildung).

Buchreproduktion_Einbandfotos

Daher wurde für die Erstellung der Rekonstruktion eine alte Schwarz-Weiß-Aufnahme des Vorderdeckels verwendet, die den Zustand vor den Restaurierungsmaßnahmen dokumentiert. Zu sehen ist ein stark abgenutzter lederbezogener Holzdeckeleinband, der ornamentale Prägemuster mit Herz- und Rautenformen aufweist. Das Foto ließ aufgrund seiner stellenweisen Undeutlichkeit Interpretationsspielraum zu, weswegen wir uns z.B. entschlossen hatten, die Rauten mit kleinen spätgotischen Löwenornamenten zu versehen. Die Löcher und Abdrücke in Leder und Holz lassen darauf schließen, dass einmal zwei schmale Messingschließen und mehrere Buckel angebracht waren. Das Buch wies vier Doppelbünde auf, die den Buchblock mit den Deckeln verbanden.

Anhand dieser Anhaltspunkte und den Spuren am originalen Buchblock wurde von den drei Papierrestauratoren der Bayerischen Schlösserverwaltung die oben rechts im Bild zu sehende Rekonstruktion erstellt. Wenn sie auch auf den ersten Blick wie ein Zauberbuch aus einem Harry Potter-Film wirkt, entspricht ihr Erscheinungsbild doch den Informationen, die wir zum Äußeren des Buches gesammelt haben – So könnte der Prunner Codex einmal ausgesehen haben.

Einige Fotos aus der Papierrestaurierungs-Werkstatt zeigen Schritte der Herstellung und „künstlichen Alterung“ des Buches:

Buchreproduktion_Werkstattfotos

Eine anhand der Rekonstruktion erstellte Schemazeichnung benennt die Bestandteile des Einbands:

prunner codex rekonstruktion

In einem zweiten Schritt sollte ein authentischer Eindruck der im Codex enthaltenen Buchmalerei und ihrer Herstellungstechnik vermittelt werden. Wie das gelang, das erfahrt Ihr in unserem nächsten Beitrag!

 


Wenn Ihr neugierig geworden seid und den tollen Einband sowie die Buchmalerei einmal live sehen wollt, können wir Euch nur wärmstens unsere Expertenführung empfehlen:

Sonntag, 23. September 2018, 14 Uhr
Jan Braun (Diplomrestaurator, Restaurierungszentrum)
Treffpunkt: Kasse Burg Prunn · Die Führung ist im Burgeintritt enthalten.
Anmeldung erforderlich: Telefon 09442 3323

Alle Infos zur Burg Prunn findet Ihr wie immer auf unserer Webseite.