Hinter den Kulissen

Zur Herstellung des Prunner Codex – Die Farben der Nibelungen (Teil 2)

Prunner Codex Buchmalerei

In einem ersten Beitrag konntet Ihr bereits nachlesen wie unsere Papierrestauratoren den Einband des wertvollen Prunner Codex in aufwendiger Handarbeit rekonstruiert haben. Heute geht es weiter mit Buchmalerei. Restaurator Jan Braun beschreibt, welche Untersuchungen und Schritte notwendig waren, um ein Faksimile der ersten Doppelseite des berühmten mittelalterlichen Werks anzufertigen.

Ein Faksimile der ersten Doppelseite – Erst einmal zum Material

Ein mittelalterlicher Codex ist ein handgeschriebenes Buch, das aus verarbeiteten natürlichen Werkstoffen hergestellt wurde. Welches Material wurde nun als Schriftträger für den Prunner Codex verwendet? Es handelt sich um Pergament, eine spanngetrocknete Tierhaut – das Material der Wahl im frühen 14. Jahrhundert. Papier stand noch nicht zur Verfügung, die erste Papiermühle in Deutschland wurde erst 1390 in Nürnberg gegründet. Das Tier, das gezwungenermaßen seine Haut für diesen Zweck zur Verfügung stellen musste, war das Kalb. Die 338 Seiten des Buches mit einer Größe von ca. 26×17 cm entsprechen ungefähr dem sogenannten Quart-Format. Dieses erlaubte eine Gewinnung von maximal vier Doppelblättern pro Fell, was bezogen auf den Prunner Codex einer Herde von mindestens 43 Kälbern entspricht.

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Wie wurden die Seiten der Nibelungenhandschrift seinerzeit beschrieben und bemalt?

In den Schreibwerkstätten des Mittelalters wurde arbeitsteilig gearbeitet. Ein Handwerker bereitete das zugeschnittene Pergament vor, indem er die Oberfläche mit Bimsstein und Kreide fein aufraute. Dann wurde die sogenannte „Reglierung“ durchgeführt: die Eckpunkte des Schriftsatzes mehrerer im Stapel liegender Pergamentblätter wurden mit der Ahle durchstochen und z.B. mit einem Silberstift Hilfslinien für den Schreiber gezogen. Während der Platz für die eigentliche Schrift freigehalten wurde, wurden nun erst die Initialen gemalt. Initialen sind große, farbige, meist verzierte Buchstaben, die jeweils den Anfang eines Kapitels bzw. einer Strophe markieren. Dann wurde unter Zuhilfenahme einer kunstvoll zugeschnittenen Gänse- oder Rabenfeder der eigentliche, in der Regel einfarbig schwarz geschriebene Fließtext geschrieben. Als Schriftart kam die gotische „Textura“ zum Einsatz, eine „gebrochene“ Schreibschrift, die kaum Rundungen aufweist, was den Vorteil hat, dass verhältnismäßig viel Text auf eine Seite passt.

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Wie lang brauchte ein Schreiber für sein Werk?

Die Schreibgeschwindigkeit hängt von der Blattgröße, dem künstlerischen Aufwand und den Arbeitsbedingungen ab. Dazu gibt es unterschiedliche Angaben. Ein Mönch namens Timothy gibt im Jahr 1400 an, dass er lediglich 200 Buchstaben pro Tag zu schreiben vermochte. Das erscheint doch relativ wenig. Wahrscheinlich konnten in der Regel nicht mehr als ca. zwei bis drei der ausgeschmückten Seiten pro Tag fertiggestellt werden. Ich habe als ungeübter Schreiber inklusive der Vorbereitung des Pergamentblattes und der Gestaltung der Initialen für die Doppelseite ca. 30 Stunden benötigt und diese dabei – aus Gründen der besseren Anschaulichkeit – nicht einmal fertiggeschrieben.

Es lässt sich feststellen: die Anfertigung einer Handschrift im Mittelalter war ein Unterfangen, das sich manchmal über Jahre hinzog und hohe Kosten mit sich brachte.

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Welche Farbmittel wurden verwendet?

Da im Mittelalter im Unterschied zu heute nur eine begrenzte Farbpalette aus Farbmitteln natürlichen Ursprungs zur Verfügung stand, wurden in dieser Hinsicht keine Überraschungen erwartet. Die zerstörungsfreien Analysen wurden durch Heinrich Piening, den Leiter der Möbelrestaurierung der Bayerischen Schlösserverwaltung in den Räumen der Bayerischen Staatsbibliothek durchgeführt. Die Auswertung brachte jedoch interessante Ergebnisse zutage. So handelt es sich bei dem schwarzen Schreibmittel für den Fließtext nicht um Eisengallustinte, sondern um eine rußhaltige Tusche, wie sie im vorderen Orient im Gebrauch war. Die grüne Farbe, mit der einige Initialen ausgemalt wurden, war, trotz des täuschend ähnlichen Farbtons, kein Malachit – ein Pigment aus dem gemahlenen Farbmineral. Es handelte sich um sogenanntes Berggrün, einem kupferhaltigen Pigment, das wahrscheinlich als Nebenprodukt bei der Verhüttung von Kupfer anfiel.

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FarbenFarbanalyse Prunner Codex

Was kann festgehalten werden?

Der Prunner Codex wurde seinerzeit in aufwendiger Weise in Zusammenarbeit von erfahrenen Spezialisten aus Materialien hergestellt, die der Natur entstammten und oft bereits seit Jahrhunderten in Verwendung waren. Bei der Beschäftigung mit diesem großartigen Erzeugnis der Kunst und des Handwerks begeistern das hohe Niveau seiner Herstellung sowie eine Dauerhaftigkeit, die von unseren heutigen Schriftträgern – und von den digitalen Medien – wohl kaum erreicht werden wird.

 


Alle Infos zur Burg Prunn und dem Prunner Codex findet Ihr auf unserer Webseite.