Stolzgeschwellt haben wir im letzten Beitrag unsere Ölskizze des 1944 untergegangenen Deckenfreskos der Grünen Galerie präsentiert. Momentan noch in restauro enthüllt es bereits im Zuge der Reinigungsarbeiten, bei denen Verschmutzungen und vergilbte Überzüge abgelöst werden, mehr und mehr Details einer vielfigurigen Szenerie.
Schön ist das, was da sichtbar wird – schnell und sicher sind die oft nur handtellergroßen Figuren auf die Leinwand gesetzt. Mit einem wohl platzierten Pinselstrich wird die Verteilung von Licht und Schatten angedeutet. Sie verleiht den Körpern Plastizität und lässt erkennen, wie die Massen und Volumen einst an der Decke verteilt gewesen sein müssen.
Trotz allgemeinen Wohlgefallens schleicht sich hier und da aber vermutlich dennoch auch leise Frustration ein. Denn letztendlich verhält es sich wie so oft angesichts älterer Kunst: Zwar spielt sich allerlei – vielleicht auch Interessantes – auf der Bildfläche ab, letztlich sieht man aber doch nur Unverständliches und Unbekleidetes. Ob und was das Ganze aber letztlich bedeuten soll, bleibt weitgehend rätselhaft.
Das Tröstliche ist: wir sind mit diesem Gefühl nicht allein – auch dem durchschnittlichen höfischen Betrachter des 18. Jahrhunderts sagte das Gewimmel auf den ersten Blick oft nicht viel. Aber anders als wir heute war er darauf gefasst und gewohnt, in den figurenreichen Ensembles einen verborgenen Sinn zu suchen und zu entschlüsseln. Die für uns ganz selbstverständliche Vorstellung, dass ein Gemälde als autonome Kunstäußerung und ohne Bezug auf seinen umgebenden Kontext geschaffen werden könnte, spielte dem gegenüber eine weitaus geringere Rolle – wenn überhaupt. Viel verbreiterter war die Vorstellung, ein solches personen- und handlungsreiches Bild „lesen“ zu können wie einen geschriebenen Text. Kein Wunder also, dass hierzu Hilfsmittel bereitgestellt wurden: Da galt es entweder zurückzugreifen auf die von Erziehern und Gouvernanten schon früh mit mehr oder weniger pädagogischem Einfühlungsvermögen verabreichte Grundausstattung in klassischer Bildung. Alternativ dazu erfreuten sich auch schon im 18. Jahrhundert handliche Nachschlagewerke allgemeiner Beliebtheit, Vorläufer der Taschenausgaben von „Who is Who der griechischen Mythologie“ oder „Allegorien für Dummies“, die – diskret in geprägtes Schweinsleder gebunden – unter Wams und Reifrock mitgeführt werden konnten. So ausgerüstet ließen sich die meisten Personen anhand ihrer Attribute rasch und zuverlässig identifizieren und das Bildgeschehen nachvollziehen:
So gibt sich etwa die imposante sitzende Dame, die im Bildzentrum mit Pinseln und Gemälde hantiert, rasch als Verkörperung der Malerei zu erkennen. Mit lässiger Geste reicht sie ihr jüngstes Werk, das Bildnis eines pausbäckigen Kleinkindes, weiter an den gekrönten muskulösen Bartträger auf der leuchtenden Wolke links von ihr: Es ist übrigens Jupiter, der König der Götter – er wiederum meist zuverlässig erkennbar an seinem Symboltier, dem Adler, der selbst König der Vöge ist und die Blitze des Göttervaters bewacht, die dieser seinen Kritikern entgegenzuschleudern liebt. Interessanterweise trägt die Malerei die Züge der Kurfürstin Maria Amalia, also der Frau des Bauherrn der Grünen Galerie, Kurfürst Karl Albrecht (allerdings tat sich Maria Amalia zu Lebzeiten vor allem als passionierte Jägerin hervor, nicht so sehr als Künstlerin).
Es überrascht also nicht, dass der Kleine auf dem überreichten Bild sich als Sohn Maria Amalias und Karl Albrechts herausstellt – der 1727 geborene Kurprinz Max Joseph.
Um diese zentrale Gruppe herum ist allerlei Bewegung: Putten und Grazien überschütten die malende Landesmutter und den kleinen Prinzen mit Blüten. Links ist Minvera, die Schutzherrin der Künste, angemessen begeistert über die Präsentation des fürstlichen Porträts. Zu ihren Füßen entwindet ein geflügelter Genius dem liegenden Saturn, dem grummeligen Gott der Zeit, dessen tödliche Sense, mit der Saturn den Lebensfaden der Menschen durchtrennt.
Fasst man all diese Einzelepisoden zusammen, so wird also zunächst einmal klar, dass sich hier die Götter bewundernd um den kleinen Kurprinzen, der die Dynastie einst als Max III. Joseph fortführen wird, versammelt haben.
Aber erst im Zusammenhang mit dem Ort, für den Fresko geschaffen wurde, rundet sich das Bild zu einer sinnvollen und expliziten Botschaft: An der Decke der Galerie, in der meisterhafte Gemälde die Wände schmückten, die Generationen von sammelnden Wittelsbachern zusammengetragen haben, wird Sinn und Ziel dieses Sammeln deutlich: Die bayerischen Fürsten – so darf man die Darstellung wohl interpretieren – haben sich schon immer als Förderer der Künste, in diesem Fall der Malerei, hervorgetan, also die Rolle der Minerva auf Erden übernommen. Dieses Mäzenatentum sichert den Herrschern ewigen, göttergleichen Ruhm und Unsterblichkeit – die zerstörerische Zeit hat keine Macht mehr über die Dynastie, die mittels der Künste weiterlebt. Ihre Herrschaft wird daher von Dauer sein. Im Bild des kindlichen Thronerbens findet dieses Versprechen seine sinnfällige Bestätigung.
Wenn ein Besucher mit seiner Interpretation soweit gediehen und noch nicht erschlagen war, hatte er nicht nur eine ganze Menge über das offizielle Selbstverständnis der bayerischen Herrscher und ihres Verhältnisses zur Kunst erfahren – er dürfte auch die in der Galerie versammelten Schätze mit anderen Augen wahrgenommen haben.
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