Besucher, die derzeit den weitläufigen und normalerweise wohltuend leeren „Hartschiersaal“ im Westen der Residenz betreten, weichen vielleicht erstmal erschrocken zurück: Dort, wo in kurfürstlichen Tagen die herrschaftlichen Leibgardisten, die „Hartschiere“, gemächlichen Wachdienst taten, schnaubt, klirrt und trampelt es – eine unabsehbare Kavalkade von Pferden, die hochgerüstete Militärs tragen, wälzt sich entlang der Fensterseite durch den Raum. Zum Glück sind Ross und Reiter, wiewohl fast lebensgroß, doch nur gemalte Pappkrieger: Fast 14 Meter lang und drei Meter hoch ist das gewaltige Band aus dünner Leinwand, auf dem der gewaltige Heereszug in lichtdurchlässigen Braun- und Grautönen dargestellt ist.
Dank des Lichts, das durch die hinter dem Textil gelegenen Fenstern eindringt, erhält er eine fast dreidimensionale Plastizität. Die schieren Dimensionen dieser martialischen Malerei lassen es bereits ahnen: Wandschmuck für die gemütliche Sofaecke ist das 1814 entstandene Mammutgemälde niemals gewesen. Vielmehr handelt es sich um das erhaltene Fragment einer ursprünglich noch weitaus größer dimensionierten Festdekoration, die vom bayerischen Hof in Auftrag gegeben wurde, einer sogenannten „Illumination“.
Von jeher stellten „strahlende Feste“ in denen sich – ganz im Wortsinne – der Glanz einer Regierung abbildet, ein bevorzugtes Mittel für die Herrschenden dar, ihre Leistungen vor der Öffentlichkeit ins rechte Licht zu rücken – natürlich galt das auch für das erlauchte Wittelsbacher Haus – denn: „München leuchtete“– so vermeldet es ja bekanntermaßen noch 1902, in den letzten Jahren der bayerischen Monarchie, mit ironischem Lächeln der Schriftsteller Thomas Mann zu Beginn seiner berühmten Novelle „Gladius Dei“!
Zu den besonderen Höhepunkten eines solchen öffentlichen Staatsspektakels zählten spätestens seit dem 17. Jahrhundert aufwendige, im freien aufgebaute „Illuminationsprospekte“: Es handelte sich dabei um kulissenartige, auf Gerüsten aufgespannte Bildwände aus Leinwand oder Ölpapier. Künstler bemalten sie dem jeweiligen Anlass entsprechend in transparenten Farben mit illusionistischen Prunkarchitekturen und belebten diese mit allegorischen Darstellungen, die dem Betrachter den Anlass der Feier im staatstragenden Sinner erläuterten.
Von der Rückseite beleuchtet, erstrahlten diese kurzlebigen Paläste und Schaufassaden sodann für wenige Stunden in magischem Licht. Kombiniert mit Musik, szenischen Darstellungen oder einem Feuerwerk bildeten solche lang im Voraus angekündigten Illuminationen den spektakulären Höhepunkt zur Feier fürstlicher Einzüge, königlicher Hochzeiten – und natürlich militärischer Triumphe.
Vor dem Hintergrund eines solchen Sieges – dies lässt die feierlich einherziehende Kavallerie bereits ahnen – entstand auch das in der Residenz ausgestellte Transparentbild, das mit seiner monochromen Farbigkeit den gemeißelten Figurenfries an klassizistischen Palast- oder Tempelfassaden imitiert: Dargestellt ist der Einzug der alliierten Truppen Russlands, Österreichs und Preußens in Paris nach dem Sieg über Napoleons Armeen im Herbst 1813.
Dass es dabei für Bayern etwas zu feiern gab, lag an der flexiblen Bündnispolitik König Max I. Josephs und seiner Berater: Geschmeidig hatten sie nur wenige Tage vor der entscheidenden Leipziger Völkerschlacht das ursprüngliche, auch familiär befestigte Bündnis mit Napoleon, das dem Wittelsbacher 1806 die Annahme des Königstitels ermöglicht hatte, aufgekündigt und waren auf die Seite der siegreichen Alliierten übergewechselt…
Während im Hintergrund des Transparentgemäldes Truppen durch die einst im Auftrag des triumphierenden Sonnenkönigs Ludwig XIV. errichtete Porte Saint Martin in Paris einziehen, zügeln in der Mitte des Bildes drei Herren unter gewaltigen Zweispitzen ihre Pferde: Es sind die siegreichen Monarchen, die bald auch allesamt zur weiteren Verwandtschaft des bayerischen Königs zählen sollten – Kaiser Franz I. von Österreich (ab 1816 der ältliche Schwiegersohn Max I. Josephs), Friedrich III. von Preußen (der Vater seines künftigen Schwiegersohns) und Zar Alexander I. von Russland (sein Schwager).
Und ein Verwandtenbesuch sollte es auch sein, für den die große Festdekoration im Auftrag gegeben wurde: Im Juli 1814 erwartete Max I. Joseph den Besuch des triumphierenden Zaren und des preußischen Königs, die er mit einer nächtlichen Festillumination zu erfreuen gedachte, für die der Hofarchitekt Andreas Gärtner den im Münchner Architekturmuseum überlieferten Entwurf lieferte: Geplant war die Errichtung einer gemalten Tempelfront dorischen Typs mit der Giebelinschrift: „Im Tempel der Eintracht schwören die Herrscher der Völker Glück“ – eine allegorische Figurengruppe hinter dem Säulenvorhang des Tempels stellte dieses Bündnis der alliierten Monarchen dar. Rechts und links der Tempelfront sollten sich Kolonnaden entlang ziehen und in länglichen Sockelzonen auslaufen, auf denen Feuerschalen Kartuschen mit den Monogrammen der hohen Besucher beleuchteten. Diese Sockel wollte Gärtner zusätzlich mit fingierten Reliefs schmücken: „unserem“ Einzugsbild links sowie einer Darstellung der Leipziger Völkerschlacht rechts. Auch von diesem Transparentbild hat sich ein Teilstück im Depot der Schlösserverwaltung erhalten.
In einer Zeit, in der auch große Städte nach Einbruch der Dunkelheit höchstens schwach von wenigen Laternen erhellt wurden, hätte der diffus leuchtende Einheitstempel samt gemaltem Reliefschmuck zweifellos beim Publikum einen enormen Eindruck hinterlassen, der sich nicht zuletzt aus der uralten Symbolkraft von Licht, Sonne und Feuer speiste. Kein Wunder also, dass die kurzlebigen Illuminationen bis ins 19. Jahrhundert hinein ein beliebtes Mittel darstellten, Sternstunden einer Regierung zu feiern (oder einen gerade noch so bewerkstelligten Bündniswechsel zu einer solchen Sternstunde umzudeuten…). Doch handelte es sich bei diesen vormodernen Lichtshows um nur jeweils kurzlebige Bildpropaganda: Billige Materialien, die Verwendung im Freien und die hastige Herstellung (das Thema „unserer“ Dekoration war nur fünf Tage vor dem geplanten Termin des Staatsbesuchs endgültig festgelegt worden!) bedingten einen raschen Verschleiß.
Von den diversen Restrisiken nicht zu reden: Wie oft ruinierte ein plötzlicher Regenguss oder unpassend aufziehender Nebel das wohlgeplante Spektakel! Und manchmal fiel sogar der gefeierte Festanlass einfach aus – zum Beispiel und ausgerechnet in unserem Fall: Denn der Zar und (– natürlich! –) der „Preiß“ kamen gar nicht nach München! Ob es in der Residenz damals lange Gesichter gab, wissen wir nicht: Für uns Heutige ist der damalige Ausfall der zaristischen Stippvisite ein Glück – haben sich von den einstmals allgegenwärtigen Augenblicks-Kunstwerken öffentlicher Festkultur aus den genannten Gründen doch heute nur noch wenige, fragile Reste erhalten. Das Münchner Transparentgemälde, das zwar ausgeführt wurde, aber dann keine Verwendung fand, konnte im Gegensatz geschont werden und blieb deshalb erhalten. Damit zählt es heute zu den raren Zeugnissen einer untergegangenen Festkultur, von der es eindrücklich zu erzählen vermag. Noch bis Jahresende ist es im Hartschiersaal zu besichtigen!