Mit unsrer Reihe zu weiblichen Biografien bei Hofe bleiben wir noch eine Weile im wechselvollen 17. Jahrhundert und widmen den heutigen Beitrag einer eher tragischen Heldin: der Wittelsbacher Kurprinzessin Maria Anna Christine Victoria Josepha Benedikta Rosalia Petronilla (1660-1690). Vielnamige älteste Tochter des bayerischen Herrscherpaars Ferdinand Maria und Henriette Adelaide sowie große Schwester des lebenslustigen „Barock-Kurfürsten“ Max Emanuel (reg. 1679-1726), dessen Regentschaft glanzvolle Höhenflüge und spektakuläre Abstürze prägten. Ähnliches gilt für seine ernstere, zwei Jahre ältere Schwester, die (via Eheschließung) eine steile Karriere machte – und einen hohen Preis zahlte…
Wenn eine bayerische Prinzessin im 17. oder 18. Jahrhundert weiter „nach oben“ heiraten wollte, blieben ihr im katholischen Europa der Epoche nicht allzu viele Möglichkeiten: Die Ehe mit einem Habsburger Cousin, was die Chance eröffnete, einmal Kaiserin zu werden und dann wiederum eigene Kinder genetisch fragwürdig mit Wittelsbacher Nichten und Neffen zu verkuppeln, die ihrerseits… (to be continued). Oder als glamouröse Alternative: Sie konnte in die französische Königsfamilie eintreten und eine der glanzvollsten Kronen der Christenheit tragen ( – die „allerchristlichste“, um dem offiziellen Ehrentitel der „rois très-chrètiens“ Genüge zu tun). Berühmtes Vorbild für diese aufregende Option war Elisabeth von Bayern-Ingolstadt, die als „Isabeau de Bavière“ (ca. 1370-1435) an der Seite Charles VI. im 15. Jahrhundert auf Frankreichs Thron gesessen hatte. Und es war diese Rolle, die Politik und Elternhaus schon früh für Maria Anna Christine vorsahen…
Der Ehrgeiz schien berechtigt
Immerhin galt schon die Geburt der kleinen Prinzessin als ein besonderer Triumph – nämlich der zeitgenössischen Medizin und Naturwissenschaft. Fast ein Jahrzehnt hatte das bayerische Herrscherpaar vergeblich und zunehmend nervös auf Kindersegen gewartet. Schließlich setzte man die Hoffnung auf eine Kur der (Wortspiel!!) Kurfürstin im Tölzer Bad Heilbrunn. Damals die beschauliche Rückseite bayerischer Provinz, oder sagen wir mal, zumindest Peripherie. Mit großem Aufwand wurde ein standesgemäßes Logis mit Spa aus dem ländlichen Boden gestampft und die leidende Henriette Adelaide (samt Gefolge und 350 Pferden) in dem infrastrukturell nur minimal überlasteten Örtchen einquartiert. Innere und äußere Anwendung des Heilbrunnens sowie gelegentliche Besuche des hochmögenden Gemahls in entspannter Wellness-Atmosphäre zeitigten schließlich im Spätherbst 1660 den ersehnten Erfolg.
Klitzekleiner Wehmutstropfen im Begeisterungstaumel:
Das Kur-Mitbringsel erwies sich wie die meisten medizinischen Erstversuche als verbesserungsfähig. Henriette Adelaide brachte (noch) keinen Erbprinzen zur Welt, sondern ein Mädchen – unsere Heldin! Für die letztendliche Geburt Max Emanuels 1662 brauchte es dann noch mal etwas Extrahilfe des seligen Cajetan von Thiene (danach flutschte es regelmäßig von allein…).
Auf dem ehemaligen Altarbild der von ihren Eltern gestifteten Theatinerkirche kniet die kleine Prinzessin neben Henriette Adelaide wie eine Beschützerin an der Seite ihres jüngeren Bruders, zu dem sie auf höfischen Gemälden oder im Rahmen barocken Herrscherlobes stets in dienende Beziehung gesetzt wird: Man preist sie als verheißungsvollen Morgenstern, der der strahlenden „Sonne“ Max Emanuel voran leuchtet, besingt sie als kleine Göttin Diana, die im Licht der brüderlichen „Luna elettorale“ auf die Jagd geht, oder malt die Geschwister als modisch gekleidete, flaumig geflügelte Engelchen in Anbetung der majestätischen Mutter, die mit dem jüngsten Kind im Arm hoheitsvoll-galant als Madonna posiert. Ein Doppelporträt des Hofmalers Bombelli zeigt schließlich sehr niedlich die etwa Sechsjährige, die im steif gestickten Hofkleid, schon ganz Haltung und Erwachsene, sorgsam dem kleineren Maxl den Arm reicht, der an ihrer Seite als winziger Grandseigneur paradiert.
Auf ein Leben als wohl instruierte Ergänzung an der Seite eines großen Mannes war auch die (für ihre Zeit ausgesprochen umfassende) Erziehung Maria Anna Christines ausgerichtet, denn die politische Großwetterlage gab einiges zu hoffen. In Ferdinand Marias Kabinett verfestigte sich in 1660er-Jahren die Ansicht, dass das Habsburger Kaiserhaus wittelsbachische Loyalität niemals ausreichend honorieren würde und zudem dynastisch nach einer Reihe betrüblich früher Todesfälle auf sehr schwachen Füßen wankte. Ein in Geheimverhandlungen lange vorbereiteter Allianzvertrag (1670) mit dem jungen französischen „Sonnenkönig“ Louis XIV. war die Folge: regelmäßige Hilfsgelder für Bayerns Unterstützung französischer Interessen im Reich. Die symbolische Bekräftigung und einen zentralen Vertragspunkt formulierte § 7: die künftige Vermählung des 1661 geborenen französischen Kronprinzen (des „Dauphin“) – eines weiteren Louis – mit der bayerischen Kurprinzessin…
Das Interesse des „Sonnenkönigs“, stets im Konflikt mit dem Kaiser, an einem dauerhaften Bündnis mit dem mächtigsten katholischen Reichsfürsten lag auf der Hand. Als Ferdinand Maria 1679 noch jung starb und einen politisch unsicheren Nachfolger hinterließ, drängte Versailles daher mit Nachdruck auf baldmöglichste Hochzeit – nicht zur Freude aller: So hätte etwa Maria Annas kurpfälzische Cousine Elisabeth Charlotte, die Schwägerin Ludwigs XIV., gerne eine protestantische Verwandte als alternative Ehekandidatin ins Spiel gebracht und mokierte sich brieflich über die Münchner „Großmaulige“. Doch sei alles vergebens: Der arme, streng erzogene Dauphin litte an erotischem Notstand und sei bereit, kritiklos alles zu heiraten, was ihm sofort legitime eheliche Beziehungen gestatte. Je nun. In München jedenfalls feierte man im Januar 1680 nach zähen Verhandlungen über die Aussteuer mit Opernaufführungen, kostümiertem Reiterspiel, Feuerwerk und vielen dekorativ verteilten Delfinfiguren aus Pappmaché die prestigereiche Fern-Trauung der neuen „Dauphine“ – aufmerksam beobachtet vom Korrespondenten der Pariser Modezeitschrift „Mercure Galant“, der seinem mondänen Lesepublikum auf vielen Druckseiten im Duodezformat berichtete, wie ein entlegener „cour germanique“ inmitten seines altväterlichen Residenzschlosses zu Frankreichs Ehren ordentlich auf die Pauke haute und eine neue Kronprinzessin über Straßburg und Chalôns nach Versailles verschickte, dem einzigartigen Hort höfischer Zivilisation.
…Oder doch eher ein Schlangennest?
Besonders schön am Quellenstudium zum französischen Ancien Régime ist, dass man es mit einer Menge auskunftsfreudiger Zeitgenossen zu tun hat, deren standesgemäße Pflicht es war, Esprit zu produzieren und dem mit viel natürlicher Bösartigkeit oblagen. Vor allem das Aussehen der bayerischen Neuerwerbung wurde ausdauernd kommentiert, während man mit vergifteter Bewunderung den Geist der Prinzessin rühmte. „Ihr Gesicht steht ihr nicht, ihr Verstand hingegen perfekt“ kommentierte prägnant die berühmte Briefeschreiberin Madame de Sévigné. Bündig fasst sie so zusammen, was der Brautwerber Colbert de Croissy noch von München aus gestelzt umschrieben hatte (Obacht! Die Allianz!!) – nämlich: soo schlimm sei es gar nicht…
Nachträglich sind solche ästhetischen Verdikte schwer zu bewerten. Ein Blick auf offizielle, das heißt letztlich geschönte Porträts, lässt ahnen, dass die Nase ein Problem war. Offenbar hervorragend dominantes Genmaterial des mütterlichen Stammhauses Savoyen, denn auch Henriette Adelaide und Max Emanuel prangen auf ihren Bildnissen mit prägnanten Zinken.
Trotzdem war Maria Annas Start an sich nicht schlecht: Strategisch klug gelang es ihr, den allgewaltigen Schwiegervater Louis für sich einzunehmen, und das war wesentlich wichtiger als die Frage, ob sie auch bei Louis, dem Sohn und Ehemann reüssierte. Offensichtlich konnte „die Neue“ anfänglich ihre umfassende Bildung und ihr Sprachtalent im permanenten Schaulaufen des höfischen Alltags zur Geltung bringen. Auch half ihr Rangbewusstsein über Schüchternheiten hinweg (gegenüber den Uralt-Wittelsbachern waren die Bourbonen eigentlich Parvenüs – leider sehr mächtige…). Und Selbstvertrauen war nötig, denn nur zwei Jahre nach Maria Annas Ankunft starb ihre königliche Schwiegermutter, wodurch die Dauphine automatisch zur ersten Frau des ersten Hofes Europas aufrückte. Zu ihren umfassenden Repräsentationspflichten gehörte auch die Sorge für das international berühmte Versailler Unterhaltungsprogramm, vor allem für die Theater- und Opern-Sparte, die der Sonnenkönig seiner literarisch versierten Schwiegertochter übertrug. Vor allem aber gelang es Maria Anna Christine zügig ihrer wichtigsten Pflicht als kostenträchtiger Auslandsinvestition nachzukommen: Zwischen 1682 und 1686 gebar sie gleich drei lebende Knaben
…die französische Herrschaftspropaganda kochte vor Enthusiasmus fast über!
Eigentlich machte die Wittelsbacherin in der Fremde also keinen Fehler. Und stolperte schließlich doch über zwei Hindernisse: Das eine stellte sich in Gestalt ihrer zweiten Dame d’atour (Ehrendame) dar, der berühmt-berüchtigten Madame de Maintenon, Louis XIV. letzter Geliebte und heimlicher Ehefrau, die er in den Hofstaat seiner Schwiegertochter einschleuste, um ihr eine offizielle Position innerhalb der Versailler Hierarchie zu sichern. Das Nebeneinander der offiziellen „Première Dame“ des Königreichs und seiner Schatten-Herrscherin war auf lange Sicht unhaltbar und führte fast zwangsläufig zu Konflikten, die die rangbewusste Maria Anna ohne ausreichenden Rückhalt in der Herrscherfamilie, der Regierung und der Hofgesellschaft mittelfristig verlieren musste.
Das zweite, letztlich wohl gravierendere Problem war der Verlust ihres politischen „Kurswerts“: Parallel zu der immer aggressiveren Okkupationspolitik Louis XIV. im westlichen Grenzgebiet des Reichs vollzog Bayern im Lauf der 1680er-Jahre einen Richtungswechsel hin zum Kaiserhof. Dort winkten dem kleinen Bruder Max Emanuel einflussreiche Militärposten und die Hand der Erzherzogin Maria Antonia. Dem gegenüber vermochten die brieflichen Appelle einer lang entschwundenen Schwester, an der französischen Allianz festzuhalten, wenig. Damit verlor aber auch Maria Anna, das Faustpfand eines nun toten Bündnisses, ihre Bedeutung. Das rächte sich: Wesenszüge, die vormals als vornehm gepriesen wurden, galten jetzt als Problem. „Man schlägt ihr vor zu spielen und sie sagt: ʽIch liebe das Spiel nichtʼ. Man bittet sie, zur Jagd zu gehen, und sie antwortet ʽIch habe die Jagd nie gemochtʼ. Was mögen Sie dann? ʽIch liebe die Konversation, ich bin gerne friedlich in meinem Zimmer, ich mag gerne arbeitenʼ, so antwortet sie“ – das hatte Madame de Sevigné ursprünglich lobend über die langnasige Bavaroise geschrieben. Nun aber wurden Maria Annas Rückzugstendenzen zunehmend als unangemessen kritisiert. Gesundheitliche Probleme traten hinzu: Die drei Söhne, die liebevoll mit den Namen der ihnen in der Wiege übertragenen Herzogtümer angesprochen wurden (nämlich „Bourgogne“, „Anjou“ und der kleine „Berry“) gediehen zwar prächtig. Die schweren Schwangerschaftsverläufe hatten ihre Mutter allerdings nachhaltig entkräftet. Vielleicht ist die fortwährende, übel vermerkte „Mélancholie“ der zunehmend introvertierten und kränkelnden Dauphine aus heutiger Sicht als fortschreitende Depression zu bewerten. Von den Hofärzten fühlte sie sich allemal nicht ernst genommen. Ihr fast trotziger Kommentar „Heute werde ich erweisen, dass ich nicht närrisch gewesen, wenn ich geklagt und gesagt habe, dass ich krank bin“ läutete im April 1690 das auch für damalige Verhältnisse frühe Ende der erst Dreißigjährigen ein, unterstützt mit jeder Menge Aderlässen, Klistieren und Brechmitteln, der Standard-Therapie zeitgenössischer Medizin.
Viel Ehrgeiz, Hoffnungen und Mühe also,…
aber am Schluss keine Krone. Stattdessen ein kaum betrübter Ehemann, ein salbungsvoller, aber ungerührter Souverän und ein pompöses Trauergerüst in der royalen Grablege Saint-Denis. Dennoch ist die bayerische Prinzessin zumindest für die Zukunft zweier der mächtigsten Dynastien Europas von zentraler Bedeutung geblieben: Zwar wurde weder ihr Mann, der dicke „Grand Dauphin“ Louis, König. Und auch nicht Louis, ihr gemeinsamer ältester Sohn (a.k.a. „Bourgogne“). Aber ihr Enkel: Louis (XV.); und dessen drei Enkel – sodass von Maria Anna Christine in direkter Linie alle französischen Herrscher des 18. und eine gerüttelte Menge des 19. Jahrhunderts abstammen. Und gleichfalls (über den „kleinen Anjou“) die sämtlichen Könige Spaniens bis heute!
Ob es das wert war?
Überlassen wir das Wort unserer Heldin selbst, die ihrer anfänglich so missgünstigen Cousine Elisabeth Charlotte, später eine ihrer wenigen Freundinnen und Leidensgefährtin am Versailler Hof, anvertraute: „Wir sind beyde unglücklich, aber der Unterschied zwischen uns beyden ist, dass E[euer] L[iebden] sich so lange gewehrt haben, als es immer möglich gewesen, ich aber habe stark gearbeitet, um hierher zu kommen…“
Titelbild: François de Troy (Umkreis), Maria Anna Christina, Dauphine von Frankreich (1660-1690), um 1700, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek, München, URL: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/artwork/k2xnB9bxPd (Zuletzt aktualisiert am 07.08.2020).