Unser heutiger Beitrag präsentiert eine Dame, die schon oft in stolzer Anmut über die Seiten dieses Blogs geschritten ist: Der mandeläugige, stets etwas kränklich hüstelnde und darob leider kurzlebige Paradiesvogel unter Bayerns Kurfürstinnen – Henriette Adelaide (1636-1676), geborene Prinzessin von Savoyen!
Mit nur 14 Jahren widerwillig dem gleichaltrigen zweiten Kurfürsten Bayerns angetraut, Ferdinand Maria (reg. 1651-1679), farbloser Sohn im ewigen Schatten des Übervaters Maximilian I. Sie selbst nach langer Kinderlosigkeit schließlich stolze und – ach! – zu ehrgeizige Mutter des ihr nacheifernden, flamboyanten Barockherrschers Max Emanuel. Die kulturell überfeine Italienerin auf Bayerns Thron. Soweit das bis heute oft kolportierte Bild jener facettenreichen, international gut vernetzten und in vielerlei Hinsicht sehr typischen Vertreterin weiblicher Hocharistokratie des 17. Jahrhunderts.
Dabei gründet diese Charakteristik weniger auf Aussagen von Zeitgenossen und mehr auf dem Urteil späterer Historiographen, die Henriette Adelaide als durchsetzungswillige Frau und Fremde teils misstrauisch, teils ratlos beäugten. So etwa Reichs-Archivrat Christian Häutle, erster wichtiger Erforscher der Residenz-Geschichte „bis herab zum Jahre 1777“, der – Henriette Adelaide übrigens grundsätzlich wohlgesinnt – vermerkte, mit der „Italienerin“ habe „sinnenreizende Üppigkeit“ und „das Auge blendender Luxus“ Einzug am biederen Münchner Hof gehalten (1883). Außerdem monierte Häutle unterschwellig eine zugleich einsetzende Günstlingswirtschaft, welche die zugezogenen ausländischen Künstler und Bediensteten zu Lasten heimischer Handwerker, Maler und Bildhauer protegierte.
Auch die politische Anlehnung der savoyischen Prinzessin an ihre französischen Verwandten, die der Sohn Max Emanuel später noch vertiefen sollte, sorgte für Irritation: Eine flatterhafte „Welsche“, die das stolze Bayernland in die Arme des Franzmanns trieb – das wirkte in den Jahren nach dem deutsch-französischen Einigungskrieg und der Reichsgründung nicht sonderlich gut. Später wurde Henriette Adelaide freundlicher, aber weiterhin als kapriziöser Fremdkörper wahrgenommen: Ihre Biographin Roswitha von Bary wird nicht müde, die fragile Schönheit der „Tenerina“ (der „Zarten“) zu preisen und betont die nervöse (und nervende), letztendlich sogar tödliche Empfindlichkeit der Kurfürstin.
Was stets anerkannt wurde, war ihre Bedeutung für den intensivierten Kulturtransfer und das künstlerische Leben bei Hofe. Im Fokus stand hier vor allem die barocke Festkultur, die nun in München erstmals international bedeutsame Blüten trieb. Doch blieb auch dies dem bürgerlichen Zeitalter lange Zeit suspekt – verdrängte hier nicht effeminierte Raffinesse den männlich-sittlichen Ernst der älteren maximilianischen Kunst und steuerte die Elite Bayerns ins frivole 18. Jahrhundert? Höfisches Ballett! – geschminkte Männer in albernen Tutus!! (Ach, meine Herren, es war ja alles viel schlimmer – Travestie in beide Richtungen gehörte im barocken Ballet de Cour zum Standard…).
In unserem Beitrag wollen wir einen etwas anderen Zugang zu dieser faszinierenden Frau suchen. Wie kann man sie beschreiben und fassen?
Wenig spricht dafür, dass man es bei der jungen Kurfürstin – Ehrgeiz hin, Engagement her – mit einem politischen Ausnahmetalent zu tun hat und übrigens gleichfalls nichts, dass Ferdinand Maria der träge Simpel war, als der er gerne dargestellt wird. Zutreffen dürfte, dass Henriette Adelaide dem Land Bayern und ihren Untertanen weithin eher emotionslos gegenübergestanden haben wird. Aber waren Kategorien wie „Heimat“ oder „Nation“ für eine barocke Fürstin von Relevanz? Ihre Solidarität galt primär der internationalen höfischen Gesellschaft, in deren Kontext sie sich handelnd bewegte, jenseits davon am ehesten wohl noch der Gemeinschaft katholischer Christen, die Ländergrenzen und soziale Hierarchien überschritt. Wie die meisten Fürstentöchter, die als Garantinnen politischer und dynastischer Allianzen per Heirat in die Fremde verpflanzt wurden, wirkt Henriette Adelaide rückblickend eher wie eine „Europäerin avant la lettre“ – allerdings eine versnobte…
An drei Beispielen wollen wir zeigen, wie sich unsere „Heldin am Hof“ in unterschiedlichen Kontexten selbst präsentierte:
Familie
Dem adeligen Selbstverständnis ihres Zeitalters folgend agierte Henriette Adelaide als ausgesprochener „Familienmensch“: Aus Abstammung und dynastischer Logik leitete sie ihre Stellung und Aufgabe in der Welt ab, ergaben sich überpersönliche Ansprüche, hinter die sie nicht guten Gewissens zurückfallen durfte. Das Haus Savoyen, selbst kaum machtvoll, aber aufgrund der geopolitischen Schlüsselstellung seiner Territorien zwischen Piemont und Alpenregion stets im begehrlichen Fokus stärkerer Nachbarn, war dauerhaft auf Selbstbehauptung angewiesen: Bezeichnend die Zähigkeit, mit der Henriette Adelaides Vater, Herzog Viktor Amadeus, auf einem ins ferne Mittelalter zurückdatierenden Anrecht auf die Krone Zyperns beharrte, das ihm schließlich auch seufzend zuerkannt wurde. Realpolitisch vollkommen irrelevant, die Insel war fest in osmanischer Hand. Als symbolisches Kapital aber war solch ein Titularkönigtum bedeutungsvoll und Steigbügel in eine glänzende Zukunft (– letztendlich sollten es die Savoyer, die einzige nationale Königsdynastie, sein, die ab 1861 den Thron des frisch vereinigten Italien besetzten).
Entsprechend stolz und häufig ließ Henriette Adelaide ihr Familienwappen samt Bügelkrone als Zeichen königlichen Ranges in der Münchner Residenz malen, schnitzen und meißeln – vorwiegend in ihrem neuen Appartement, das 1666-1669/71 durch Umbau der Räume ihrer ungeliebten Schwiegermutter Maria Anna von Österreich entstand. Hier umgab sie sich mit lebensgroßen Familienbildnissen, die dem Münchner Hof die Bedeutung des Hauses Savoyen und ihre enge Verwandtschaft sowohl mit Habsburgern (väterlicherseits) wie Bourbonen (seitens der Mutter) offenlegte – schließlich hatte vor allem Henriette Adelaides Position als Enkelin, Nichte und Cousine französischer Könige sie in den Augen ihres Schwiegervaters empfohlen, Braut seines Erben und künftige Kurfürstin zu werden.
Dessen eingedenk präsentierte sie ihre Heirat als eine Verbindung auf Augenhöhe, geeignet, die Bedeutung Bayerns wie Savoyens zu stärken, und zwar im elaborierten Bildprogramm ihrer Galerie im südwestlichen Bereich des Appartements (1826 leider abgerissen): An den Wänden die Savoyer Porträts, darüber an der Decke verherrlichten Malereien die Verdienste und Tugenden Maximilians I., der für sein Haus die Kurwürde erworben, die katholische Religion verteidigt und Bayerns Herrschaftsgebiet vergrößert hatte. Im Zentrum paradierte der bereits 1651 verstorbene Herrscher zu Seiten seiner Schwiegertochter (die sich zu Lebzeiten nicht mehr kennengelernt hatten).
Eine Inschrift verklärte die gesamte Ausstattung zur Huldigung einer respektvollen Tochter gegenüber dem Vater ihres Gemahls. Insgesamt signalisierten die Galeriebilder dem Betrachter Henriette Adelaides stolze Identifikation mit ihrer neuen Familie, ihre Selbsterhöhung zum Ideal traditioneller (schwieger)töchterlicher Liebe und die daraus abgeleitete, selbstbestimmte Rolle der Kurfürstin als verantwortliche Hüterin des Ruhms und Gedächtnisses der in ihrer Person alliierten Dynastien.
Weiblichkeit
Erstaunlicherweise lebte Henriette Adelaide in einer Epoche allgegenwärtiger, wiewohl irregulärer weiblicher Herrschaft: Sowohl ihre Mutter wie ihre Schwiegermutter amtierten über Jahre hinweg im Namen unmündiger Söhne gleichermaßen selbstbewusst wie erfolgreich als Regentinnen von Savoyen und Bayern, und gleiches tat ihre Tante Anne d’Autriche für den kindlichen König von Frankreich (und vor ihr deren Schwiegermutter!). Der Legitimationsdruck, der auf solcher weiblicher Geschäftsführung lastete, war enorm, und es ist ein spannendes Thema für sich, die Wege zu verfolgen, welche die einzelnen Regentinnen beschritten, um das offizielle Bild ihrer Herrschaft zu formen. Henriette Adelaide hatte dieses spezielle Problem nicht, aber auch sie war um die Kontrolle ihrer medialen Darstellung bemüht. In ihrer Korrespondenz klagte sie z.B. mehrfach über Schwierigkeiten, einen befriedigenden Porträtisten zu finden. Mit Blick auf die Maler am Savoyer Hof eine absolut berechtigte Beschwerde, da jene die gemeinhin als sehr attraktiv beschriebene junge Frau mit stereotypen Schönheitsattributen der Zeit anonymisierten – übergroße, verhangene Augenschlitze, dünne Stirnlöckchen und Spinnenfinger. Abhilfe brachte erst der Münchner Aufenthalt des französischen Malers Pierre Mignard, der einen ansprechenderen Bildnis-Prototyp schuf, den die geschmeichelte Kurfürstin als „wirklich ähnlich“, also als offiziell authentisch absegnete.
Als Person erkennbar, schlüpfte sie in ihren Porträts zugleich in unterschiedliche mythologische oder allegorische Rollen, um deren Eigenschaften für sich in Anspruch zu nehmen. Ein Gemälde des Malers Jean Delamonce im Residenzmuseum (um 1670) zeigt die sanft lächelnde Henriette Adelaide in halber Figur als streitbare Königin der kriegerischen Amazonen, mithin als Herrscherin aus eigenem Recht über ein Reich der Frauen. Mit Schuppenpanzer, wallendem Federbusch und Kommandostab vereint sie männliche Kennzeichen militärischer Stärke mit den Attributen der weisen Göttin Pallas Athene/Minerva. Zugleich handelt es sich um ein höfisches Bildnis, das eine konkrete Situation wiedergibt, den kostümierten Auftritt der theaterbegeisterten Kurfürstin im Rahmen festlicher Turnierspiele in der Residenz.
Überhaupt waren die höfische Kultur, die Etablierung eines galanten Musenhofs und Festlichkeiten gern genutzte, „weiche“ Kommunikationswege weiblicher Herrschaft – allerdings nicht risikolos, denn hier öffnete sich Gegnern die Flanke moralischer Bedenken, und verwitwete Regentinnen hatten stets schwer um ihren Ruf zu kämpfen: Sowohl Henriette Adelaides Mutter Christine de Bourbon, wie deren Schwägerin Anne d’Autriche wurden wegen langjähriger (Liebes)Beziehungen zu ihren Hauptberatern, Philippe d’Agliè, bzw. dem Kardinal Mazarin, hart bekriegt. Dass ihre bayerische Schwiegermutter Maria Anna, obwohl kaiserlicher Abkunft, statt zu feiern demonstrativ die brave Hausfrau spielte und zu Henriette Adelaides Entsetzen z.B. selbst Käse machte, war daher vielleicht weniger echte Leidenschaft, als kluge Inszenierung.
Zeitweilig stand übrigens Henriette Adelaide selbst wegen Flirts mit attraktiven Höflingen im Sperrfeuer der Kritik – vor allem in den ersten, kinderlosen Jahren ihrer Ehe, in denen sie unfähig schien, ihrer Pflicht nachzukommen und ihrem legitimen Gemahl zum Erhalt der Dynastie Söhne zu schenken.
Religiosität
Den probatesten Schutz gegen jeglichen moralischen Tadel sahen Aristokratinnen der Frühen Neuzeit in ostentativ geübter Frömmigkeit – Henriette Adelaide bildete hier keine Ausnahme, namentlich in Hinblick auf die besondere Verehrung der Gottesmutter: Bereits 1658 hatte sie sich (wie zuvor schon ihr Schwiegervater und Ferdinand Maria) mit einem eigenhändigen „Blutbrief“ in der Gnadenkapelle von Altötting dauerhaft der himmlischen Jungfrau überantwortet. Eigenständige religionspolitische Wege beschritt sie mit der besonderen Förderung des durch Cajetan von Thiene begründeten Theatinerordens, der ihr aus der Heimat vertraut war. Mit ihrer Hilfe entwickelte sich dieser zum Rivalen der bisher in München uneingeschränkt herrschenden „Societas Jesu“, dem Jesuitenorden, vor allem, nachdem die Anrufung des seligen Cajetan 1662 die glückliche Geburt des Thronerben Max Emanuel bescherte.
Mit dem zum Dank gelobten Bau der Theatinerkirche setzte die Kurfürstin ein weithin sichtbares Denkmal, das dynastisches und religiöses Kalkül in charakteristischer Weise vereinte.
Als eine gleichfalls langlebige Inszenierung weiblich-höfisch konnotierter Frömmigkeitskultur erwies sich Henriette Adelaides eigene Gründung eines adeligen Damenordens im März 1663, die der Kurfürstin und ihrem Hofstaat ermöglichen sollte, religiöses und weltliches Leben in Einklang zu bringen. Die ebenso exklusive wie prestigereiche Vereinigung unter der martialischen Bezeichnung der „Leibeigenen“ oder „Sklavinnen Mariens“ besaß Vorläufer in ihrer alten Heimat. Vor allem aber war nur kurz zuvor eine konkurrierende Stiftung am Wiener Kaiserhof unter Vorsitz der Kaiserin Eleonore Gonzaga erfolgt. Die Gonzaga und Henriette Adelaides Familie stritten in Oberitalien um Herrschaftsrechte, entsprechend konnte die bayerische Kurfürstin der Rivalin ihres Hauses auf religiösem Gebiet nicht kampflos die moralische Führung überlassen. Die fromme „Leibeigenschaft“ legte den Ordensdamen karitative Pflichten sowie die Teilnahme an bestimmten Gebetskreisen und Prozessionen auf. Zu diesen Gelegenheiten holten sie die kleidsame, nonnenähnliche Tracht samt blauem Überwurf nebst Rosenkranz mit kleinem Totenkopf aus dem Schrank, in der eine „Sklavin Mariens“ sich auch begraben lassen sollte.
Henriette Adelaide selbst starb jung, mit nur vierzig Jahren, angeblich an Spätfolgen der Überanstrengung, die sie sich während des Großbrands in der Residenz im Jahr Frühjahr 1674 zugemutet hatte, und wurde im Habit der „Sklavinnen“ in der von ihr begründeten Theatinerkirche beigesetzt. Nicht nur mit diesem Bau, sondern auch in den Überresten ihrer ehemaligen Wohnräume innerhalb der Münchner Residenz und natürlich vor allen mit ihrer „ureigensten Schöpfung“, Nymphenburg, ist Henriette Adelaide von Savoyen bis heute im Herzen der bayerischen Schlösserverwaltung dauerhaft präsent.
Titelbild: Ausschnitt aus ‚Henriette Adelaide im Theaterkostüm‘. Jean Delamonce, um 1674. Residenz München (Dauerleihgabe der BStGS).
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