„Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage…“ Prinzessinnen im Märchen haben denen des wahren Lebens häufig etwas voraus: eine glücklich verlaufende Ehe. Die der Coburger Prinzessin Juliane besaß kein Happy End und höchstens anfangs märchenhafte Züge. Für das Coburger Herzogtum aber war sie überaus bedeutsam!
Zum „Vorstellungsgespräch“ nach St. Petersburg
Die russische Zarin Katharina II., genannt „die Große“, suchte 1795 für ihren Enkel, Großfürst Konstantin, eine Frau. Wie bei seinem älterem Bruder Alexander und weiteren Romanows zuvor, sollte die Braut – Katharina selbst war hierfür ein Beispiel – einem protestantischen deutschen Fürstenhaus entstammen.
So rückte das Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld in den Blick. Drei Töchter des Erbprinzen waren im heiratsfähigen Alter: Sophie, Antoinette und Juliane. Die Zarin kannte die Großmutter der Mädchen, schätzte ihren Großonkel für seine militärischen Erfolge und störte sich nicht an der miserablen Finanzlage der Familie. Wer hätte hierin dem Zarenreich schon das Wasser reichen können? Katharina wollte sich aber auf jeden Fall selbst ein Bild von den Kandidatinnen machen; die Zarin bat nach St. Petersburg!
Im August 1795 reisten Sophie, Antoinette und Juliane mit ihrer Mutter Auguste und Begleittross los. Westwärts von Coburg vollzog sich der Aufstieg eines Korsen namens Napoleon Bonaparte, der die folgenden 20 Jahre prägen sollte. Für die Reisegesellschaft ging es aber rund 2.000 Kilometer Richtung Osten. Unterwegs wurden die Französischkenntnisse der Mädchen aufgefrischt. Für die Verständigung am Zielort brauchte man jene im Adel universal verwendete Sprache. Mitte Oktober standen die drei Mädchen, wie Auguste im Reisetagebuch festhielt, in roten Pelzen, mit Zobelmützen und geröteten Wangen endlich vor der mächtigen Zarin, die sie den weiten Weg herbeigerufen hatte.
„Das sind aber Schönheiten“
Katharina zeigte sich sehr angetan von den Coburger Prinzessinnen, der 16-jährige Konstantin nicht minder. Seine Wahl fiel auf die jüngste der drei, die 14-jährige Juliane. Deren Leben änderte sich damit schlagartig: Sie würde nun Großfürstin am russischen Zarenhof werden! Vorab galt es, zum russisch-orthodoxen Glauben zu konvertieren. Miteinher ging ein neuer Name: Anna Feodorowna. Die Hochzeit wurde am 26. Februar 1796 gefeiert. Ein prunkvolles Fest, bei dem aus Brunnen Wein statt Wasser floss. Die märchenhafte Stimmung dürfte aber gedrückt haben, dass Julianes Angehörige nicht anwesend waren. Mutter und Schwestern waren schon im November, von der Zarin mit wertvollen Geschenken bedacht, doch mit Schwere im Herzen, zurückgereist.
Mit ihrer Familie in Coburg hielt Juliane Briefkontakt. Zudem sandte sie öfters Geld; es würde hier sonst eh nur „zum Fenster hinnaus geworfen“, so ihr Eindruck. Für Julianes Vater, Erbprinz Franz Friedrich Anton, stellte es eine willkommene Linderung dar. Denn das Herzogtum ächzte zur damaligen Zeit unter gewaltigen Schulden. Man stand unter der Kuratel einer kaiserlichen Debitkommission, deren Leiter in allen finanziellen Belangen das letzte Wort besaß. Wie klamm die Kassen waren, zeigte sich beispielsweise 1799, als Juliane auf Reisen bis in die Residenz Saalfeld kam, anschließend aber nicht noch nach Coburg. Die standesgemäße Beherbergung einer russischen Großfürstin samt Gefolge an zwei Orten hintereinander – das war finanziell einfach nicht drin.
Julianes Heirat in ein Kaiserhaus brachte ihrem heimischen Herzogtum dringend benötigte Geldspritzen, eine wieder steigende Kreditwürdigkeit, aber auch Aspekte, die mit Gold nicht aufzuwiegen waren. Coburgs russische Großfürstin bedeutete Renommee und war in den Wirrnissen der napoleonischen Zeit eine Art Rückversicherung. Coburg besaß durch Juliane ein auf verwandtschaftlichen Banden beruhendes Bündnis mit Russland, das auch Napoleon nicht ignorieren konnte. Angesichts der Coburg-Russland-Konstellation gab er das von Frankreich kontrollierte Herzogtum im Frieden von Tilsit 1807 auf und ließ Julianes Bruder, Herzog Ernst I., innerhalb des Rheinbundes als Souverän gewähren.
„ein wehnig hitzig“
Die Fürsprache und Gewichtigkeit Russlands für Coburg dauerte somit über das Jahr 1801 hinaus fort, das für Juliane als Mensch und Frau tief einschneidend war. Hintergrund war ihre zerrüttete Ehe. Hatte sie anfangs ihrem Gemahl noch den „besten Karakter“ und ein „Engelsherz“ attestiert, schwieg sie sich bald über Konstantin lieber aus. Von Julianes Gatten existieren wilde Geschichten. Man muss sie mit Bedacht lesen. Während das einfachere russische Volk Konstantin wegen seiner bizarren und unkonventionellen Art in Liedern und Geschichten gar bewunderte, hatte die Bevölkerung des damals als Staat aufgelösten Polens ihre Gründe, den dort stationierten Generalstatthalter kritisch zu beäugen. Doch Konstantin scheint wahrhaftig ein Mann mit schwierigen Charakterzügen gewesen zu sein, welche er nicht versteckte. Seinen Soldaten begegnete er mit brutalem Drill, Juliane mit herzlosem Verhalten. Der Zeremonienmeister seines Vaters erinnerte sich, dass Konstantin eines Morgens mit heimlich um das Bett der schlafenden Großfürstin postierten und ohne Vorwarnung losschlagenden Militärtrommlern seine Frau aus Fleiß fast zu Tode erschreckt habe.
Juliane nahmen diese Lebensumstände sehr mit. Von Zeitzeugen jener Jahre wird sie als attraktive, aber gesundheitlich angeschlagene Frau geschildert. Entsprechende Andeutungen schrieb sie auch nach Coburg. 1801 billigte ihr Schwager, inzwischen Zar Alexander I., dass Juliane Russland auf Dauer verließ. Das Ehepaar trennte sich, blieb aber bis 1820 noch offiziell verheiratet. Somit weiterhin Großfürstin erhielt Juliane finanzielle Zuwendungen für einen standesgemäßen Lebensunterhalt. Sie reiste viel und kaufte sich 1814 in Bern einen Landsitz, den sie „Elfenau“ benannte. Aus der Großfürstin am royalen Zarenhof wurde eine Frau, die selbst Hof hielt für ihre Familie, Diplomaten, russische Staatsbürger und die bessere Berner Gesellschaft.
Juliane heiratete kein zweites Mal, bekam aber Kinder, nach Meinung mancher gar von ihrem Schwager Alexander. Dass sein – auf welchem Grad der Verbundenheit auch immer beruhendes – Wohlwollen gegenüber Juliane und deren Familie prägend für die Coburger Geschichte des 19. Jahrhunderts gewesen ist, belegt auch die Begebenheit, dass es Zar Alexanders Gefolge war, in welchem Julianes Bruder Leopold 1814 England besuchte und die britische Thronfolgerin Charlotte lieben lernte. Aus Leopold wurde bekanntlich ein begnadeter Netzwerker, der „Onkel Europas“, und aus seiner – und Julianes! – Nichte Queen Victoria die „Großmutter Europas“. Das beeindruckende Zeugnis dynastischer Verflochtenheit, das sich anlässlich der Coburger Fürstenhochzeit 1894 bot, besitzt eine zentrale Wurzel in Julianes Heirat nach Russland ein knappes Jahrhundert zuvor. Und viele jener sich immer mehr verästelnden Familienverbindungen hat Juliane noch miterlebt. Sie starb am 15. August 1860 mit 78 Jahren in ihrer Schweizer Wahlheimat.