Hinter den Kulissen

Was hat das Bindemittel einer Farbe mit Politik zu tun? – Oder: Die unterschätzte Bedeutung des Bindemittels für die Malerei

Opernhaus_2017

Ein Gastbeitrag von Restaurator Andree Tesch //

Andree Tesch ist seit 2001 selbständiger Restaurator für Malerei und arbeitete von 2013 bis 2018 an nahezu allen gefassten Oberflächen im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth. Er war unter anderem für Rekonstruktionen von Malereien verantwortlich. Im folgenden Blogbeitrag berichtet er uns von der unterschätzten Bedeutung des Bindemittels in der Malerei – und was das Ganze mit dem Markgräflichen Opernhaus zu tun hat. Viel Vergnügen bei der spannenden Lektüre!


 

Die Erfahrungen mit dem Dreißigjährigen Krieg, in dessen Folge die deutsche Bevölkerung um ein Drittel schrumpfte, führte zu einem stärkeren Bewusstsein um die eigene Vergänglichkeit und damit zu einem erhöhten Drang nach Sinnes- und Lebensfreuden. Die Vermögenden, zu denen vor allem der Hochadel gehörte, nutzten ihren Reichtum, um sich im verstärkten Maße den materiellen Genüssen des Lebens zuzuwenden. Während die einfache Bevölkerung in Armut lebte, herrschte an vielen Fürstenhöfen Luxus und Verschwendung.

Es war eine Zeit, in der die europäischen Monarchen mehr denn je darum bemüht waren, ihre Macht zu festigen oder weiter auszubauen. In diesem Zusammenhang diente die Präsentation von Luxus zur Machtdemonstration gegenüber der Bevölkerung aber auch anderen Höfen und passte deshalb sehr gut zu den Machtambitionen des Adels. Kultur, Bildung und Religion waren im 18. Jahrhundert ebenfalls sehr eng mit der Demonstration von Macht verbunden. Hierfür waren alle Mittel der Repräsentation recht. So konnte der Adel zum Beispiel durch Einbeziehung der Mythologie in der Kunst seine absolutistische Stellung unterstreichen.

Das gesteigerte Bedürfnis, sich prunkvoll darzustellen und zu präsentieren, gipfelte in rauschenden Festen und Feuerwerken vor den Kulissen imposanter Schlösser und architektonisch angelegter Gärten. Bei den Herrschern der Barockzeit war eine Art Wettbewerb gegenseitiger Prachtentfaltung entbrannt. Am eindrucksvollsten gelang das wohl mit der Baukunst, die uns auch heute noch in Erstaunen versetzt.

Es gab jedoch einen Ort, an dem die Repräsentation von Macht über die Baukunst hinaus in noch höherem Maße zur Schau gestellt werden konnte. Einem Ort, an dem sich der Barock in seiner Idee nicht stärker hätte versinnbildlichen lassen. Dieser Ort war das Opernhaus. Hier waren alle Künste dieser Zeit versammelt: Musik, Gesang, Dichtkunst, Bildhauerei, Malerei und Architektur. Vor diesem Hintergrund wurde kommuniziert, gespeist und gefeiert. Nicht zuletzt war es ein hervorragender Ort für Konspirationen zur Machtentfaltung.

Opernhaus Detail Malerei Restaurator Tesch

Markgräftliches Opernhaus Bayreuth, bemalte Holztafeln oberhalb des 3. Ranges während der Restaurierungsmaßnahme bis 2018

Die Künste dienten somit auch politischen Interessen. Und je mehr der Betrachter beeindruckt werden konnte, umso mehr schien die Macht zu wachsen oder zumindest gesichert zu sein.

Schlösser, Feste, Kunst und Hofstaat verschlangen jedoch Unsummen an Geld. Der Adel befand sich in einer Zwickmühle. Wenn er mithalten wollte, musste er einen kostenintensiven Statuskonsum betreiben. Die Aufnahme von Schulden galt es unbedingt zu vermeiden, denn sie stellten eine Bedrohung des Güterbesitzes, der ständischen Ehrenrechte und schließlich der Macht dar.

Markgräfliches Opernhaus Detail Malerei Restaurator Tesch

Restaurierung des Markgräflichen Opernhauses bis 2018: Brüstungsfläche einer Loge während der Abnahme von Schmutz und ölhaltigen Substanzen, die vor allem von Holzschutzmitteln stammen. Nach der Konservierung erscheinen die Flächen in einem mehr oder weniger hellen Grün, das ursprünglich in aller Regel deutlich heller erschien.

Malerei als Mittel gegen Verschuldung

Mit der Illusionsmalerei gelang ein Kunstkniff, diesem Dilemma etwas entgegenzusetzen. Mit einer gemalten Architektur, also einer Scheinarchitektur, konnte Opulenz ohne allzu hohe Kosten entstehen. Die Scheinarchitektur war schon in der Renaissance ein traditionelles Element der Kunst. Im 18. Jahrhundert war sie jedoch viel stärker mit politischen Zwängen verknüpft und gelangte nicht zuletzt deshalb in ihre volle Blüte.

Scheinarchitektur beziehungsweise Illusion von Raumtiefe, plastischem Reichtum und Imitation wertvoller Materialien dienten demgemäß auch als zeit- und kostensparende Methode, sich an den Höfen gegenseitig an Prachtentfaltung zu übertreffen. Die bauzeitliche Ausmalung des Markgräflichen Opernhauses bietet dafür ein Beispiel auf allerhöchstem Niveau. Die Malereien wurden gleichsam äußerst rationell und in Technik und Ausführung routiniert und durchorganisiert ausgeführt.

Auf den überwiegend zweidimensionalen Oberflächen der Decke, den Wandtafeln oberhalb des dritten Ranges, den Logenbrüstungen bis hin zu den Proszeniumslogen entstanden mit relativ wenigen Pinselstrichen Imitationen von Profilen, Ornamenten, Balustern sowie Vasen und Blumenarrangements. Teils wurde das gemalte Zierwerk perspektivisch verkürzt, teils überschnitten dargestellt.

Durch aufgemalte Lichtreflexe und Schatten, die sich an einem fiktiven vor der Bühne hängenden Leuchter fest machten, entstand schließlich eine dreidimensionale Architektur mit einer reich ornamentierten prunkvollen Ausstattung, die von Elementen aus Stein und Bildhauerarbeiten nicht mehr zu unterscheiden war.

Zur Erzeugung von Raumillusionen waren helle pastellige Farbtöne erforderlich, denn erst durch sie konnte ein Höchstmaß an Plastizität erreicht werden. Schattenbildungen sind Kennzeichen dreidimensionaler Gegenstände und damit für deren Imitation unverzichtbar.

Markgräfliches Opernhaus Detail Malerei Vergoldung

Rekonstruktion nach den analysierten Bestandteilen der originalen Bemalung.
Kreide und Kasein dominieren in der Farbzusammensetzung. In den Rücklagen wurde die Kreide mit etwa 5 % eines Kupferpigmentes und etwas blauer Smalte vermischt. Diese Pigmente besitzen die Oberflächenstruktur zerbrochenen Glases und waren dadurch in der Lage, der Farbe ein gewisses Funkeln zu verleihen, wodurch sie zusätzlich Licht reflektierte und besonders edel in Erscheinung trat.

Es versteht sich von selbst, dass ein gemalter Schatten auf einem dunkelfarbigen Bauteil keinen Kontrast erzeugt und deshalb kaum zu erkennen ist. Somit ist auch klar, dass die gemalte Imitation von Architekturteilen mit ihren plastischen Elementen, die in dunklen Farbtönen daherkamen, zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Eine hervorragend ausgeführte Scheinarchitektur musste also sehr helle, nahezu weiße Bauelemente abbilden.

Vermutlich hatten die alternativlos hellen Farbtöne der Illusionsmalerei einen gewissen Einfluss auf die gesamte Farbgebung und Fasstechnik des 18. Jahrhunderts. Die pastelligen Farben der Barockzeit werden heutzutage häufig als „kitschig“ empfunden. In gewisser Weise waren sie jedoch maltechnische Notwendigkeit, wenn eine Illusionsmalerei, insbesondere eine Scheinarchitektur entstehen sollte.

markgräfliches opernhaus

Die richtige Maltechnik für die Illusion

Natürlich verlangte ein Opernhaus, das ohne Tageslicht auskommen und seine Beleuchtung aus dem schwachen Schein der Kerzen beziehen musste, prinzipiell eine sehr helle Ausmalung, die das Licht nicht absorbierte, sondern reflektierte. Andernfalls wäre sogar die Pracht einer realen Architektur nicht zur Geltung gekommen. Eine möglichst helle Farbgebung war also nicht nur für das Gelingen illusionistischer Darstellungen zwingende Voraussetzung, sondern auch für die Erhellung eines sonst völlig dunklen Raumes, damit das wenige Kerzenlicht möglichst große Reflexionsflächen erhielt.

Es waren wohl 1000 Kerzen für ein Opernhaus, wie das der Markgräfin Wilhelmine in Bayreuth nötig, damit die Illusion von Opulenz aufging. Mindestens ebenso wichtig war also auch die Dominanz sehr heller, „leichter“ Farben, damit das Markgrafenpaar ihre Tugendhaftigkeit in Gleichnissen der Darstellungen auf prunkvolle Weise zur Schau stellen konnten.

Zur Herstellung ausreichend vieler lichtreflektierender Flächen mussten vor allem die monochromen Rücklagen und Architekturelemente, die große Teile des Opernhauses ausmachen, eine maltechnisch angemessene Farbgebung erhalten. Die Fassmaler des Opernhauses wussten genau, welche Zutaten für die Farben erforderlich waren, damit die gewünschte Wirkung eintrat, und sie wussten auch, dass nicht die Pigmente, sondern das Bindemittel für die Bewahrung der Leuchtkraft verantwortlich war.

Jede Malfarbe besteht aus mindestens zwei Materialien, zum einen aus dem Farbmittel, wofür zum Beispiel Pigmente zerriebener farbiger Steine verwendet werden können und zum anderen aus einem Bindemittel, also einem „Klebstoff“, dessen Aufgabe es ist, die einzelnen Pigmente miteinander zu verkitten und sie dann zum Beispiel mittels Pinsel auf einer Fläche zu „verkleben“.

Ein etwas außergewöhnliches Pigment zur Erzeugung einer Illusion

Bei der Ausmalung des Opernhauses entschieden sich die Künstler für ein sehr günstiges und leicht zu beschaffendes weißes Pulver, das als Pigment für die Malerei grundsätzlich nicht geeignet ist und eher als Füllstoff beziehungsweise Grundiermaterial Verwendung fand. Die Rede ist von Kreide, dem natürlichen Calciumcarbonat, das als Pigment zur Herstellung einer hellen Farbe mit den meisten Bindemitteln vollkommen versagt. Mit Bindemitteln aus Eiweißstoffen und hier allem voran Kasein entfaltet Kreide jedoch eine erstaunliche lichtreflektierende Wirkung. Durch Zugabe einer geringen Menge farbiger Pigmente entstand eine hell „leuchtende“ Farbe, die im Gegensatz zu den Farben mit Leinöl weder vergilbt noch verbräunt. Da Kreide über hervorragende Eigenschaften als Grundiermaterial verfügt, ist verschiedentlich auf eine zuvor angelegte Grundierung verzichtet worden. Auf diese Weise ließ sich bei der Ausmalung des Opernhauses erheblich Zeit einsparen.

Kreide als Pigment

Kreide als Pigment in einer Versuchsreihe. Kreideaufstriche mit unterschiedlichen Bindemitteln auf einer Holzplatte. Die stärkste lichtreflektierende Wirkung zeigt sich mit den Eiweißbindemitteln, insbesondere bei Kasein (oben rechts) und einer Mischung aus Kasein und Hautleim (unten rechts). Die ölhaltigen Bindemittel sind in Kombination mit Kreide als Farbe völlig ungeeignet. Am wenigsten deckend hat sich Leinöl erwiesen, das auch zu gleichen Teilen mit Eidotter eher dunkelbraun als weiß erscheint (zweite Reihe, rechts)

Für eine Scheinarchitektur im Opernhaus war das Bindemittel ebenso wichtig wie Pigmente und Kerzenlicht. Zur künstlerischen Umsetzung des Konzeptes schieden Farben mit ölhaltigen Bindemitteln aus. Grundsätzlich neigen „trocknende Öle“, vor allem das häufig verwendete Leinöl zur Verdunkelung der Farbe. Dieser Vorgang wäre in einem Raum ohne Tageslicht wie dem Opernhaus noch beschleunigt worden. Darüber hinaus büßen die meisten Weißpigmente in Öl oder harzhaltigen Bindemitteln einen erheblichen Teil ihrer Fähigkeit, Licht zu reflektieren ein. Dieser Effekt lässt sich auf ähnlich große Lichtbrechungseigenschaften von Bindemittel und Pigment zurückführen und hätte im starken Gegensatz zur gewünschten Wirkung gestanden.

Also musste eine Maltechnik angewendet werden, die zur Ausmalung eines Raumes ohne Tageslicht die Brillanz weiß ausgemischter Farben mit Kreidepigmenten erhielt und gleichsam ein gewisses Maß an Beständigkeit besaß.

Solche Voraussetzungen bieten sich in der Verwendung von Kasein, dem Eiweißstoff der Milch als Bindemittel an, das die Grundlage für weite Teile der Ausmalung bildete und kaum Alternativen zuließ. Grundsätzlich wäre auch Eiklar in Frage gekommen. Wenn überhaupt, so ist es jedoch nur als Zusatz vermalt worden, weil es für sich allein sehr spröde Malschichten ergab und erst nach längerer Zeit eine wasserunlösliche Schicht mit Hilfe von Tageslicht ausbildet.

Tierische Leime als eiweißhaltige Bindemittel sind Umwandlungsprodukte tierischer Haut, Knochen oder Knorpel. Sie bleiben in der Regel wasserlöslich und wurden trotz ihrer extremen Empfindlichkeit gegen Wasser vor allem für die mit Smalte (blaues zerstoßenes Glas) bemalten Flächen eingesetzt, wo sie sich seit Jahrhunderten bewährt haben. Mit den Erfahrungen der jüngst durchgeführten Restaurierung könnten tierische Leime jedoch einen Teil der Bindemittel ausgemacht haben, zumal sie zusammen mit Kasein und dem Kreidepigmenten ein perfektes Deckvermögen beziehungsweise eine hervorragende Reflexionsfähigkeit für Kerzenlicht besaßen.

Wie hervorragend gut die Illusion einst funktionierte, lässt sich in seiner Gesamtwirkung heute nur noch erahnen, denn bei der Restaurierung, die vor wenigen Jahren beendet wurde, war schnell klar, dass es nicht gelingen konnte, die öligen Bestandteile späterer Holzschutzmittel und Übermalungen, von denen die leuchtenden Farben der Barockzeit zusammen mit Ruß und Schmutz durchdrungen waren, restlos zu beseitigen. Eine nahezu vollständige Beseitigung wäre jedoch erforderlich gewesen, um die lichtbrechende Wirkung vieler Pigmente in Annäherung dessen, was einmal war, zurückzugewinnen.

Opernhaus gemalte Architektur

In einem Raum ohne Tageslicht erhalten die monochromen Rücklagen und Architekturelemente eine äußerst wichtige Funktion als lichtreflektierende Flächen für das schwache Kerzenlicht. Nach Demontage einer Volute zeigt sich noch die starke lichtreflektierende Wirkung der originalen Kreidefassung. Die eher grünen Flächen der übrigen Bemalung, die sich fertig restauriert präsentieren, leuchteten ursprünglich genauso hell!

 


Die Ausstellung rund um das Markgräfliche Opernhaus und die barocke Fest- und Theaterkultur lädt Klein & Groß zum Mitmachen ein: ein Spaß für alle Wissensdurstigen und neugierigen Entdecker! Alle Informationen rund um euren Besuch des UNESCO-Welterbes findet ihr auf unserer Webseite.