Geheimnisse

Unterwegs in den „Park-Wäldern“ König Ludwigs II. – Eine Entdeckungsreise

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Zum Tag des Waldes: Eine poetische Entdeckungswanderung mit dem Team Baum-Management-Süd der Bayerischen Schlösserverwaltung durch die waldähnlichen Bereiche der Parkanlagen König Ludwigs II.


 

Der Wald übt eine besondere Anziehungskraft aus, er ist in Kindheitstagen ein Ort des Abenteuers, unheimlich und faszinierend zugleich, ein Ort voller Magie und unentdeckter Geschichten, die hinter jedem Baum zu lauern scheinen – die Kulisse von Märchen, ja ein unendliches Märchenbuch. Bei manchen reißt diese Faszination auch in späteren Jahren nicht ab, sie schreiben und fügen ihr eigenes Kapitel hinzu und der Wald und die Bäume werden zur beruflichen Passion und Lebensaufgabe.

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Waldähnlich ≠ Wald

Als Verantwortliche für die Kontrolle und Erhaltung des Baumbestandes der südbayerischen Schlossanlagen ist es unsere Aufgabe, seine Schönheit und Funktionalität zu bewahren. Im Gegensatz zu – meist auch wirtschaftlich genutzten – Wäldern im Sinne des Waldgesetzes liegt unser Fokus auf dem Erhalt der (Alt)-Baumsubstanz und der Abwehr der Gefahren, die von Bäumen potentiell ausgehen, z.B. durch die Kontrolle der Standsicherheit. Wir Arboristen, die „Förster im urbanen Raum“ haben einen anderen Fokus als „Waldförster“. Unsere Arbeit wird nicht von wirtschaftlichen Interessen geleitet, denn wir betreuen eben keine wirtschaftlich genutzten Wälder, sondern waldähnliche Bereiche in gestalteten Parkanlagen; vielmehr ist vor allem der Erhalt der einzelnen Baumindividuen unsere Aufgabe.

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Unsere täglichen Streifzüge führen uns u.a. durch die waldähnlichen Bereiche der Parkanlagen in Linderhof und Herrenchiemsee („Ludwigs-Wälder“), wo wir verschiedenen interessanten Phänomenen begegnen. Drei davon stellen wir euch im Folgenden vor: Archebäume, Ökotorsen und den Vorgang der Kadaververjüngung.

Archebäume – monumentale Zeugen vergangener Zeiten

Archebäume sind die „Waldmonarchen“, quasi die „verlängerten, hölzernen Arme“ König Ludwigs II. in unseren Waldbereichen, die zum Teil schon lange vor dessen Geburt sprossen und aufwuchsen. Diese uralten, monumentalen Bäume, welche die Jahrhunderte überdauert haben, sind lebende Archive, Relikte vergangener Zeiten, das Gedächtnis der Wälder und Teil der lokalen Geschichte und Kultur – sie sind lebende Denkmale, deren weitausladende, knorrige Äste, ihre überwallten Wunden und Jahrringe Geschichten der Vergangenheit in die Gegenwart tragen.

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Obwohl sie ihren Standort niemals verändern konnten, trotzten sie Stürmen und Blitzeinschlägen, Kälte- und Wärmephasen und damit verbundenen Schneeereignissen und Dürren, aber sie überstanden bisher auch das Tun des Menschen und fielen keiner Axt oder Säge zum Opfer. Die vielen Höhlungen und Fäulen am Stamm, die Spalten und Risse auf der Rinde, und das verbliebene Totholz bieten unzähligen von Pflanzen- und Tierarten einen Unterschlupf, eine Brutstätte aber auch Nahrung. Vom Kronendach, über die Äste und den Stamm bis zur Wurzel, sowohl auf ihnen, als auch im Inneren dieser Bäume, ist Leben zu finden.

Archebäume sind majestätische Gestalten, die uns in unserer Beurteilung zur Verkehrssicherheit immer wieder herausfordern. Wir versuchen den Baum zu lesen und zu verstehen, wir diskutieren ausgiebig, schöpfen unser bisher erlangtes Wissen aus und holen uns Rat und Ideen bei Dritten ein, kurz gesagt, wir investieren viele Gedanken und Zeit in diese einzelnen, uralten Lebewesen – sie haben sich diesen angemessenen Umgang verdient!

In den Worten des Lyrikers Eugen Roth:

Zu fällen einen schönen Baum,
braucht’s eine Viertelstunde kaum.
Zu wachsen, bis man ihn bewundert,
braucht er, bedenkt es, ein Jahrhundert.

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Ökotorsen – wichtige Lebensräume für Tiere und Pflanzen

Ökotorsen werden Bäume genannt, die ihre Lebenskraft bereits verloren haben – sei es durch natürliche Prozesse oder durch Eingriffe zur Gewährung der Verkehrssicherheit. Sie sind Mosaike der Biodiversität, ein Ökosystem für sich. Ihr äußeres Erscheinungsbild hat sich durch Ast- und/oder Stämmlingsbrüche oder menschliche Eingriffe bereits gewandelt und sie werden über die nächsten Jahre und Jahrzehnte durch Zersetzungsprozesse allmählich in den Lebenszyklus der Natur zurückgeführt. Auf diesem Weg erfüllen sie jedoch noch eine Vielzahl wichtiger Aufgaben, bevor sie endgültig in ihrer Erscheinung als Baum verschwinden. Wie Archebäume auch, sind Ökotorsen ein wichtiger Lebensraum, vor allem für viele Käferarten, die auf Totholz angewiesen sind, und Rückzugsort für zahlreiche weitere Tier- und Pflanzenarten im komplexen Netzwerk der Natur. Die Rolle der Ökotorsen im ökologischen Gleichgewicht kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

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Kadaververjüngung – Neues Leben auf toten Bäumen

Der Begriff der Kadaververjüngung hört sich zuerst einmal irritierend an, ist jedoch ein faszinierender Vorgang in der Natur. Er beschreibt den Prozess, wie der Tod dem Wald neues Leben ermöglicht. Der Prozess wird in jenem Moment eingeleitet, in dem ein Baum sein Leben aushaucht, zu Boden fällt und dort verbleibt. Der einstige Baum wird zu einem Nährstoffreservoir für unzählige Pflanzenarten, Mikroorganismen und holzabbauende Pilze. Diese speziellen Pilze sind es nämlich, die als einzige in der Lage sind, das Holz aufzuspalten und in den Kreislauf zurückzuführen. Auf diesem nährstoffreichen und von den Pilzen langsam zersetzenden Stamm wachsen nun neue Bäume – diese kontinuierliche Abfolge von Verfall und Wiedergeburt veranschaulicht auf faszinierende Art und Weise den Kreislauf des Waldes.

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Schaut mal genau hin!

In den „Wäldern Ludwigs“ aber auch andernorts in unseren Schlossanlagen offenbart sich eine faszinierende Welt voller, von den Besuchern oft unbemerkter, Wunder und Geheimnisse der Natur – Archebäume, Ökotorsen und der Prozess der Kadaververjüngung sind hier nur einige Beispiele. Schaut bei eurem nächsten Besuch doch einmal genau hin, lasst euch von der majestätischen Schönheit unserer Baumgiganten verzaubern, erahnt die Vielfalt des Lebens, die unsere Ökotorsen beherbergen und staunt über den magischen Vorgang der Kadaververjüngung. Wenn ihr Glück habt, trefft ihr dabei vielleicht ja auch mal auf uns.

Zum Schutz und zur Erhaltung dieser sensiblen Ökosysteme bitten wir euch jedoch, unbedingt auf den vorgesehenen Wegen zu bleiben!