Von Alexander Wiesneth & Florian Schröter //
Vor 150 Jahren, am 22. Mai 1872, fand die Grundsteinlegungsfeier zum Richard Wagner‘schen Festspielhaus im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth statt
Im Frühjahr 1871 überfiel die Stadt Bayreuth „eine fieberhafte Aufregung […] als urplötzlich das Gerücht auftauchte […] der unfehlbare Musikpapst, der kühne Reformator des deutschen Musikdramas, Richard Wagner, sei sammt ,Huldgöttin‘ von den Ufern des Luzernersees“ dort eingetroffen. Der Besuch galt dem „königlichen Opernhaus – bekanntlich eines der größten und kunstreichsten in Deutschland“ (Neue Freie Presse aus Wien vom 30. April 1871), „welches der Componist zur Aufführung seiner Nibelungentriologie ausersehen hat.“ (Freier Landbote vom 26. April 1871).
Seit der schlagzeilenträchtigen Rheingoldaffäre im September 1869 – König Ludwig II. hatte die Uraufführung gegen den Willen des Komponisten durchgesetzt – suchte Richard Wagner einen passenden Ort für die Aufführung seines „Ring des Nibelungen“ ohne die verhassten „Münchner Verhältnisse zu berühren“ (Brief von Richard Wagner an Lorenz Düfflipp am 25. April 1870). Um aber weiterhin vom kunstsinnigen Monarchen Unterstützung zu genießen, sollte dieser Ort am liebsten im Königreich Bayern sein. Wagners Wahl fiel auf Bayreuth, wohl wegen der riesenhaften Bühne des dortigen Markgräflichen Opernhauses, worauf er kurioserweise durch die Lektüre eines „Conversationslexicons“ aufmerksam geworden war. Zum Glück entsprach das barocke Kleinod nicht seinen Intentionen, wie der Komponist am 20. April 1871 dem Hofsekretär König Ludwigs II., Lorenz Düfflipp, schrieb: „Vor meiner heutigen Abreise von Bayreuth schreibe ich Ihnen zunächst nur eilig das Hauptergebniss meiner Untersuchung, welches nach der Besichtigung des Theaters sich dahin herausgestellt hat, dass dieses Theater das phantasievollste Roccoco ist, welches leicht vorhanden sein könnte, und an ihm durchaus nicht das mindeste verändert werden darf. Da dieses Theater andrerseits aber meinem Zwecke durchaus nicht entsprechen kann, habe ich sofort den Wunsch seiner Benutzung zu meinem Bühnenfestspiel vollständig aufgegeben.“
Mit der Idee, in Bayreuth ein „provisorisches Festtheater“ zu realisieren, war der passende Ort dennoch gefunden. Aber der auserkorene Bauplatz am „Stuckberg, der auch bei der kürzlichen Anwesenheit Wagners in Bayreuth dessen Billigung gefunden hatte, wurde vom Besitzer dieser Stelle nicht abgegeben“, weshalb rasch ein Ersatz gefunden werden musste, wobei die „Schwierigkeit war, Hrn. Wagner von der neuen Sachlage zu unterrichten„, was aber [vielleicht mit Odins Hilfe?] zur „vollsten Zufriedenheit“ gelang, nämlich der heute weltberühmte Grüne Hügel. (Oberfränkische Zeitung vom 11. Januar 1872) Schon bald wurde der „Tag für die Grundsteinlegung […] unabänderlich [auf den] 22. Mai angesetzt“ (Lindauer Tagblatt vom 11. Februar 1872) und vom berühmten „Architekt Brandt [der] Entwurf und Grundriss des Theaters gemacht.“ (Neueste Nachrichten vom 15. Februar 1872) Nun musste schnell Geld her, weshalb überall Wagner-Vereine gegründet und Spenden „aus England und […] aus Amerika, darunter Boston“ eingesammelt wurden. (Erheiterungen, 26. Februar 1872) Als musikalischer Festakt der Extraklasse sollte für die edlen Spender zur Grundsteinlegung am 22. Mai 1872 eine Musteraufführung von Ludwig van Beethovens 9. Symphonie mit den besten Musikern Deutschlands unter der Leitung Richard Wagners im alten Markgräflichen Opernhaus stattfinden.
Der Maestro selbst kam erst einen Monat vor der offiziellen Grundsteinlegung mit seiner Familie nach Bayreuth. Zu diesem Zeitpunkt war schon „auf dem Bauplatz reges Leben“ (Fürther Tagblatt vom 26. April 1872) und auch im Markgräflichen Opernhaus wurde Hand angelegt: „der Bühnenraum wird bedeutenden Umänderungen unterzogen, da derselbe zu einem vollständig abgeschlossenen Konzertsaal hergerichtet werden soll.“ (Augsburger Postzeitung vom 04. Mai 1872)
Das über fünf Tage andauernde Festprogramm vom 19. bis 23. Mai 1872 ließ erahnen, was die Einwohner Bayreuths einmal im Jahr bis heute erdulden dürfen: „Schaarenweise zogen sie ein, die gläubigen Pilger, und überfüllen […] alle Gast- und Privathäuser unserer Stadt.“
Am 20. Mai fanden „im Opernhause, einer glänzenden Ruine aus der Markgrafenzeit, die Proben für das große Concert […] statt.“ (Allgemeine Zeitung vom 23. Mai 1872) Zur zweiten Probe tags darauf gingen leider die Lichter aus „weil die Gasflammen plötzlich zusammenschrumpften.“ (Augsburger Tagblatt vom 22. Mai 1872) Das barocke Opernhaus imponierte der internationalen Presse trotzdem: „Auf graugrünem Grunde zeigt der Zuschauerraum im Rococostyhle strotzende Vergoldung.“ (Neue Freie Presse vom 22. Mai 1872)
Die Grundsteinlegungsfeierlichkeit zum Wagner‘schen Festspielhaus am 22. Mai 1872 – dem Geburtstag des Komponisten – fiel sprichwörtlich ins Wasser und fand deshalb „wegen Regenwetters nur in symbolischer Weise im Opernhaus“ statt. (Regensburger Tagblatt, 24. Mai 1872) Noch am Morgen hatte König Ludwig II. seinen Künstlerfreund telegrafisch mit dem „wärmsten aufrichtigsten Glückwunsch“ vom Kochelsee überrascht. (Pfälzischer Kurier vom 25. Mai 1872) Die glanzvollen Höhepunkte dieses Tages waren Richard Wagners leidenschaftliche Festrede und die Aufführung der 9. Symphonie Ludwig van Beethovens im Markgräflichen Theater, worin die „Bühne zu einem Saale umgewandelt worden [ist], dessen Decke und Seiten durch mit Malerei bedeckte Holzwände hergestellt wurden.“ (Oberfränkische Zeitung vom 24. Mai 1872)
Der Bayreuther Künstler Louis Sauter hielt glücklicherweise die historische Aufführung in einer Zeichnung fest, die am 15. Juni 1872 in der Leipziger Illustrirten Zeitung als Holzstich veröffentlicht wurde.
Nicht nur die Ränge quollen über von den zahlreichen Besuchern, gleich mehrere Chöre und zahlreiche Instrumentalisten aus ganz Deutschland und Österreich wirkten mit. Die seit einer Renovierung von 1817 deutlich verkleinerte Bühnenöffnung erweiterte man für die Veranstaltung wieder auf ihre originale Größe. Beleuchtet wurde das Konzertzimmer von einem Gasleuchter, den die israelitische Gemeinde großzügigerweise geliehen hatte.
Dieser für Bayreuth so denkwürdige Tag endete schließlich in einem festlichen Bankett im Saal des Gasthofs zur Sonne, „das unter Reden und Toasten in der heitersten Stimmung verlief.“ (Didaskalia, 26. Mai 1872) Auch Richard Wagner war sichtlich zufrieden und in bester Laune verriet er die Gründe seiner Ortswahl für das Zukunftstheater, die für ihn vor allem in der herzlichsten Gastfreundschaft der Bayreuther Bürger lagen und weniger daran – wie böse Zungen behaupteten – „daß Bayreuth auch eine sehr gute Irrenanstalt besitzt, so daß wer bei viertägiger Anhörung Wagner’scher Musik seinen Verstand verliert, dort gleich Unterkunft finden kann.“ (Erheiterungen, 16. Januar 1872)
Titelbild: Richard Wagner dirigiert Beethovens 9. Symphonie im Markgräflichen Opernhaus, Kolorierter Holzstich nach einer Vorlage von Louis Sauter, Bayreuth, Bernd-Mayer-Stiftung