Hinter den Kulissen

Versteckte Zimmermannskunst von Weltrang – Das Dachwerk des Markgräflichen Opernhauses Bayreuth

opernhaus bayreuth dachstuhl

Über dem Markgräflichen Opernhaus hat sich ein Meisterwerk der barocken Zimmermannskunst erhalten, das von der UNESCO 2012 bei der Ernennung zum Weltkulturerbe ausdrücklich gewürdigt wurde. Das 1747 errichtete Dachwerk über dem Bühnen- und Logenhaus ging mit seiner Spannweite von fast 25 Metern an die Grenze des Machbaren in seiner Zeit und wäre auch heute noch für jeden Ingenieur eine Herausforderung.

Im Jahr 1747 standen die Bayreuther Zimmerleute unter Hofzimmermeister Adolf Feulner vor einer gewaltigen Aufgabe: Für den von Markgräfin Wilhelmine gewünschten festlichen Theaterraum zu den Hochzeitsfeierlichkeiten ihrer einzigen Tochter war ein außergewöhnlich großes Dachwerk aufzurichten. So etwas hatte die kleine Residenzstadt Bayreuth noch nicht gesehen. Das 60 Meter lange und 30 Meter breite neue Opernhaus musste mit einer stützenfreien Konstruktion überspannt werden, die es sprichwörtlich in sich hatte: Eine Unmenge an Bauholz – die Länge aller Balken summiert sich auf fast 8,5 Kilometer! – wurde dafür aus den umliegenden markgräflichen Forstrevieren geliefert und verbaut. Mächtige Fichten- und Tannenstämme von bis zu 30 m Konstruktionslänge waren hierfür notwendig. Einzelne Balken wogen dabei fast 5 Tonnen und ihr Einbau auf halsbrecherischer Höhe flößt uns heute noch Respekt ein. Für die Besucher des Opernhauses aber bleibt diese beeindruckende Zimmermannskunst leider vollständig verborgen – ihre kaum bekannten Raffinessen sollen deshalb im Folgenden vorgestellt werden.

längs und querschnitt markgräfliches opernhaus carl christian riedel 1817

Längs- und Querschnittszeichnung des Markgräflichen Opernhauses. Nachzeichnung eines verlorenen Plans von Carl Christian Riedel, um 1817

Schon das unregelmäßige Baugrundstück bereitete den Zimmerleuten sicherlich Kopfzerbrechen. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Gebäudebreiten für Logen- und Bühnenhaus zwangen sie dazu, vier verschiedene Dachquerschnitte zu konstruieren. Oberstes Gebot war ein nach außen einheitliches Erscheinungsbild des Operndaches und das hieß, eine einheitliche, über alle Unregelmäßigkeiten des Grundrisses hinweglaufende Firstlinie zu schaffen. Dies konnte nur durch Anpassungen in der Querschnittsgeometrie bewerkstelligt werden, sprich: kaum eine Binderebene gleicht der anderen. Ein ungeheurer Aufwand der vor Ort tatsächlich aber nur bei genauester Kenntnis der Konstruktion auffällt, ohne den jedoch die baulichen wie gestalterischen Zwänge nicht unter einen Hut zu bringen gewesen wären.

Grundrisse_Versprünge markgräfliches opernhaus bayreuth

links: Asymmetrische Querschnitte der Dachbereiche mit Eintragung der Raumachsen und der durchgehenden Firstlinie (rot); rechts: Der Grundriss des Daches reagiert auf die unterschiedlichen Raumbreiten und Funktionen

Aber das waren nicht die einzigen Herausforderungen die hier zu meistern waren: Die bis zu 25 m weit gespannte Dachkonstruktion musste nicht nur sich selbst, sondern auch eine ausgefeilte barocke Bühnenmaschinerie mit erheblichen Gewicht tragen. Und schließlich standen die Zimmerleute unter enormen Zeitdruck, da der Fertigstellungstermin des Daches mit der angekündigten Ankunft des Theaterstararchitekten Giuseppe Galli-Bibiena für Anfang 1748 nicht verschiebbar war. Somit blieb für die Fällung, Bearbeitung, den Abbund und das Aufrichten des riesenhaften Mansarddaches über dem Opernhaus nicht viel mehr als ein Jahr Zeit. Ein logistischer Kraftakt, bei dem nichts schief gehen durfte. Hofzimmermeister Adolf Feulner und seine Gehilfen meisterte diese Schwierigkeiten ebenso bravourös wie die vorgegebene stützenfreie Überspannung des Bühnen- und Logenhauses, ohne die keine barocken Opernaufführungen möglich gewesen wären.

Logenhaus_Oberdach_Hängewerk

Einblick in das Oberdach des Logenhauses mit Anschluss der seitlichen Hängesäule

Sprichwörtlich bis an den Rand der Bearbeitungsfähigkeit nutzten die Zimmerleute die überlangen Bauhölzer um die gewünschten Anforderungen der Bauherrin und des italienischen Maestros zu erfüllen: Alle Zerrbalken laufen ungestoßen quer von Außenmauer zu Außenmauer. Für diese konnten die runden Zopfenenden der über 27 Meter langen Tannen- oder Fichtenhölzer nur noch für die notwendigen Anschlusspunkte hergerichtet werden, eine Bebeilung zu quadratischen Querschnitten war hingegen nicht mehr ausführbar. Diese unkonventionelle maximale Ausnutzung der Bauhölzer ermöglichte eine sehr effiziente Ausbildung der Dachkonstruktion. Eine steile, doppelte Stuhlkonstruktion – typisch für barocke Dachwerke – auf fünfkantigen Schwellen bildet die Grundtragstruktur der barocken Zimmermannsarbeit. Spannstreben, gekippte Rähme und überkreuzte Windverbände vervollständigen die liegenden Stuhlkonstruktionen, die grundsätzlich ähnlich – aber viel flacher geneigt – im Oberdach wiederholt werden.

querschnitt dachstuhl markgräfliches opernhaus

Querschnitt des Daches mit Bezeichnung aller Bauteile

Um ein Durchhängen der langen Zerrbalken zu vermeiden, ordnete der Hofzimmermann ein dreifaches Hängewerk an. Die geschossübegreifenden Hängesäulen halten drei längslaufende Überzüge, an die wiederum die einzelnen Zerrbalken mit eisernen Bolzen und Splinten fixiert sind. Lange Spannstreben leiten die enormen statischen Kräfte aus den Dachquerschnitten zu den massiven Auflagerpunkten. Jedes einzelne Holz wurde vor dem Einbau markiert und probehalber auf dem Abbundplatz zusammengesetzt. Dies schützte vor bösen Überraschungen bei der komplizierten Aufstellung. Die bauzeitlichen Markierungen sind noch heute gut sichtbar im Dach zu finden und geben uns wichtige Hinweise zur Reihenfolge der Aufrichtung der Konstruktion.

Abbundzeichen Dachstuhl markgräfliches Opernhaus bayreuth

Abbundzeichen mit römischen Ziffern und „Fähnchen“

Durch die gewagte Verwendung von überlangen Bauhölzern vermieden die Zimmerleute aufwendige Verbundkonstruktionen wie zum Beispiel Sägezahnverbindungen. Überhaupt ist im ganzen Dachwerk relativ wenig Eisen verarbeitet, abgesehen vom Bühnenhausdachwerk, wo die barocke Bühnenmaschinerie keine vollständige Ausbildung der Querschnittsbinder zuließ. Das bautechnisch gewagte stützenfreie Mansarddachwerk mit einer Spannweite von bis zu 25 Metern steht zeitgenössischen Holzbrückenkonstruktionen nahe und ist im heute noch erhaltenen Bestand barocker Dachstühle ohne Vergleich. Diese Leistung der Bayreuther Zimmerleute verdient deshalb heute zu Recht unsere Bewunderung und ihr Werk den langfristigen Schutz.

Jelschweski_Wiesneth_Opernhaus Bayreuth Dachstuhl Untersuchung

Die Herren Jelschewski und Wiesneth bei der Untersuchung des Dachstuhls