Jeder kennt die Kritzeleien der Art „XY war hier“ – Graffiti, also Bilder, Schriftzüge oder Zeichen, die mit verschiedenen Techniken auf Oberflächen im privaten oder öffentlichen Raum zumeist unter Pseudonym oder abgekürzt und oft illegal angebracht werden. Oft beschädigen solche Graffiti wertvolle Oberflächen. Deshalb – bitte nicht nachmachen!
Im geschichtswissenschaftlichen Kontext sind Graffiti eine ganz eigene Quellengattung und gewähren spannende Einblicke – zum Beispiel in die Baugeschichte des Markgräflichen Opernhauses Bayreuth. Alle hölzernen Bauteile des Dachwerks und des Logenhauses sowie Einzelteile aus bemalter Leinwand wurden von zahlreichen Handwerkern außerhalb der eigentlichen Baustelle vorgefertigt und mit Markierungen, Nummerierungen und sogenannten Abbundzeichen versehen. Sie wurden dann zur Baustelle „Opernhaus“ geliefert und innerhalb des Gebäudes dank Fertigbauweise und Markierungssystem ratzfatz zusammengesetzt. So gelang der Aufbau des Zuschauerraums in nur etwa einem halben Jahr.
Damit die Fachwerkkonstruktion des Zuschauerraums gelang, ritzte der Baumeister den hufeisenförmigen Grundriss in den Boden aus großen Sandsteinplatten ein, der sich noch heute unter dem modernen Parkett des Logenhauses befindet und während der Bauarbeiten als ebene Arbeitsfläche diente.
Eine handschriftliche Notiz in luftiger Höhe, nämlich auf der Rückseite zwischen der nördlichen Trompeterloge und dem Bühnenbogen auf Ebene des vierten Rangs wurde bislang als Hinweis darauf gedeutet, dass ein Johann Gigoldt im Juli 1748 den heute nicht mehr erhaltenen Parkettboden im Zuschauerraum verlegte. Weshalb ein derartiger Hinweis in solcher Höhe angebracht worden sein soll, erschließt sich nicht ganz. Betrachtet man die Inschrift genauer, steht da aber auch etwas völlig anderes. Zu lesen ist: „Johann Gigoldt, [zu] Bayreuth, ist d(en) 12 Julli 1748 hie by gemacht seiner Luoster ein Sperins“.
Der Cabinetschreiner Johann Gichthold oder Gigoldt ist in den Bayreuther Schriftquellen allerdings erst etwa zehn Jahre später und dann bis in die späten 1770er Jahre in Potsdam nachzuweisen, wo er im neuen Palais einen Fußboden im Tanzsaal verlegte. Wäre es dieselbe Person, wären seit seiner Notiz im Bayreuther Opernhaus 30 Jahre vergangen – eine für die damalige Zeit sehr lange Berufstätigkeit, zumal man davon ausgehen muss, dass sich 1748 kein Lehrling oder Gehilfe im Opernhaus so selbstbewusst verewigte. Vergleichbare Inschriften andernorts standen nur den Meistern zu. Vor allem aber steht in der Notiz ja gar nichts vom Parkettboden, sondern das letzte Wort bezieht sich auf den alten Begriff Sper, das Sparrwerk oder eben auf eine hölzerne Sperre. Johann Gigoldt hat also eine wohl hölzerne Befestigung für die Lüster angebracht. Das deckt sich mit einer archivalischen Quelle, die bezeugt, dass 500 vorgefertigte Wandleuchter durch den Hof- und Universitätsflaschner Johann Christian Drechsler aus Erlangen ebenfalls im Juli 1748 geliefert und montiert wurden. Die Beleuchtung des Bühnenportals muss sich zudem auf der Höhe der Gigoldtschen Notiz befunden haben, zumindest sind dort noch heute entsprechende runde Öffnungen.
Aber es gibt auch Graffiti jüngeren Datums im Opernhaus – wenn auch nicht mehr an Ort und Stelle. Im Rahmen einer umfassenden Sanierungs- und Restaurierungsmaßnahme 1935/36 wurde ein neues Bühnenbild aus bemalter Leinwand, mit Sperrholz und Holzleisten stabilisiert, für das Markgräfliche Opernhaus gefertigt. Diese Kulissen (heute sorgfältig in Kisten verpackt und eingelagert) boten den Rahmen für zahlreiche Opern- und Theateraufführungen, von denen einige auf der Rückseite der vorderen Seitenkulisse notiert wurden – zunächst in einer blasseren Farbe, dann mit kräftigen, schwarzen Strichen wiederholt. So wissen wir, dass 1949 „Dido“, also Henry Purcells (1659–1695) Oper „Dido und Aeneas“ aufgeführt wurde. In den Folgejahren standen „Don Giovanni“, „Ariadne“, „Cosi fan tutte“ und die „Entführung aus dem Serail“ auf dem Programm. 1953 folgten „Die Magd als Herrin“, also „La serva padrona“ von Giovanni Battista Pergolesi (1710–1736), sowie der „Betrogene Kadi“, eine komische Oper von Christoph Willibald Gluck (1714-1787), 1954 dann neben einem Ballett die Oper „Don Pedros Heimkehr“, für die einige Nummern aus den 1783 entstandenen Opernfragmenten „L’Oca del Cairo“ und „Lo sposo deluso“ von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) neu kombiniert wurden.
Die Idee zu dieser neuen „Mozartoper“ dürfte auf Hans Erismann (1911–1988) zurückgehen, der die Aufführung 1952 in Zürich verantwortete, bevor sie auf Tournee geschickt und auch in Bayreuth gezeigt wurde. 1955 scheint es gemäß der schwarzen Eintragungen keine Opernaufführung im Markgräflichen Opernhaus gegeben zu haben, aber in der darunterliegenden Schicht ist noch die Konversationsoper „Capri[ccio]“ von Richard Strauss (1864–1949) zu erahnen, die im Rahmen der Fränkischen Festwoche im Mai 1955 auf dem Programm stand. Neben dem Komponistennamen „STRAUSS“ waren bei der darunterliegenden, blassblauen Schrift zusätzlich noch „GLUCK“ und „MOZART“ vermerkt. 1956 und 1957 wurde dann jeweils die „Zauberflöte“ inszeniert.
Kulissenelemente, die während der letzten Restaurierung des Opernhauses 2012–2018 abgebaut werden mussten, boten den Künstlerinnen und Künstlern die Gelegenheit sich im Opernhaus zu verewigen: so beispielsweise der Musiker Oli(ver) Trahndorff, der wohl im Rahmen des Osterfestivals 2008 in Bayreuth ein Werk von Gluck darbot, oder der Charakterdarsteller und Tänzer der Bayerischen Staatsoper Jürgen Wienert, der sowohl 1972 als auch in den Jahren 1994, 1995 und 1996 im Opernhaus auftrat. Und auch Mitglieder der Filmcrew, die 1994 im Markgräflichen Opernhaus Szenen für den Film „Farinelli, der Kastrat“ von Gérard Corbiau drehten, unterschrieben.
Doch auch die Innenseite der ehemaligen Souffleurmuschel bietet interessante Einblicke in die Aufführungsgeschichte des Markgräflichen Opernhauses. So soufflierte Helga Korks am 23. Mai 1986 bei der Aufführung von „Ariadne auf Naxos“ oder 1995 bei der „Zauberflöte“. Anscheinend war das Ensemble gut, denn sie hatte ausreichend Zeit ihre Graffitis mit hübschen Bildern zu ergänzen. Helga Korks kam wohl eher zufällig zu ihrem Beruf als Souffleuse. Sie war zunächst mehrere Jahre Sängerin an verschiedenen Bühnen der ehemaligen DDR. Nachdem sie durch einen Autounfall Witwe geworden war, kam sie als alleinerziehende Mutter in den Westen, wo sie als Sängerin nicht Fuß fassen konnte und deshalb versteckt im Souffleurkasten arbeitete. Auch Renate Ruff, Souffleuse am Münchner Residenztheater, saß in den 1980er Jahren mindestens zweimal in der Bayreuther Muschel.
Vor allem in den 1990er Jahren signierten an der Tür des ehemaligen Kassenhäuschens zahlreiche Prominente, die das Markgräfliche Opernhaus besuchten. Darunter finden sich auch namhafte Interpreten aus der Klassik-Szene wie der deutsche Pianist Gerhard Oppitz, der am 28. Juli 1994 in Bayreuth war, oder Cecilia Bartoli, die 1996 auf der Tür unterschrieb und sich dabei fotografieren ließ. Sie wurde nach eigener Auskunft unter anderem von Daniel Barenboim entdeckt und gefördert, der ebenfalls auf der Tür aufzuspüren ist. Der Schauspieler Hans-Jürgen Schatz ließ am 13.10.2000 eine Autogrammkarte „mit guten Wünschen“ zurück und der US-amerikanische Dirigent und Pianist James Lawrence Levine (1943–2014) unterschrieb im August 1996 mit seinem Spitznamen Jim und kommentierte begeistert: „I love this house!“ Wir auch und deshalb freuen wir uns, dass wir bald das Museum zum Markgräflichen Opernhaus eröffnen dürfen.