Residenz München

„Alle Vögel sind schon (wieder) da“! Ein restauriertes Vasenpaar mit Mikromosaik im Residenzmuseum stellt sich vor

vögel vase

Mit Reiseandenken ist es so eine vertrackte Sache! Wer kennt das nicht? – vor der beglückenden Traumkulisse des geliebten Urlaubsorts und von südlicher Sonne vorteilhaft ausgeleuchtet, wirkt die Auslage der Touri-Shops an der Strandpromenade nur allzu verheißungsvoll. Der Preis, vielleicht auch noch in einer in Ferienlaune schwer berechenbaren Fremdwährung, scheint für ein landestypisches Stück Kunsthandwerk angemessen. Beschwingt greift man ins Portemonnaie, um eine unsterbliche Erinnerung zu erwerben, die den faszinierenden Kultur-Trip an kalten Wintertagen immer auf’s Neue vergegenwärtigt. Und dann verstaubt für Zeit und Ewigkeit so ein knallbunter griechischer Teller oder die venezianische Miniaturgondel aus brutal vergoldetem Plastik auf der Kommode – im schlimmsten Fall mit integriertem Batterie-Blinklicht: Das Entzücken der Enkel, das Entsetzen der Erben…

Muss aber nicht sein! Farbenfrohe Gegenbeispiele bieten seit wenigen Wochen zwei neue, eigentlich aber alte Inventarstücke im Residenzmuseum, die lange Jahre in anderen Schlössern und im Depot standen: Zurückgekehrt im Anschluss an eine spannende Restaurierungsmaßnahme, die wir in einem eigenen Beitrag vorstellen, erstrahlen sie nun wieder in ursprünglichem Glanz. Es handelt sich um ein Paar schlanker Alabastervasen mit reichem Dekor aus Steineinlegearbeiten, die wohl an der Wende zum 19. Jahrhundert in Rom entstanden.

Mit modernem Touristen-Nippes teilen unsere wohlgeformten Schönheiten die Tendenz, bekannte künstlerische Vorbilder der Vergangenheit in freier Abwandlung aufzugreifen – hier etwa den Umriss der antiken Amphore oder eines altitalienischen Kultgefäßes, der Nestoris. Auch die Tendenz zu einer gewissen Überdekoration und Buntfarbigkeit mag an Gegenständen, die zeitlich in die Kunstepoche des Klassizismus gehören (der bekanntlich „edle Einfalt“ und „stille Größe“ predigte), zunächst etwas marktschreierisch wirken: Man beachte etwa die knallig orangen Glasflüsse an den Henkelansätzen! Doch fügen sich diese „Hingucker“ glücklich und harmonisch zu einem wohl ausgewogenen Miteinander, das in handwerklich aufwendiger Perfektion den Rahmen bildet für die eigentliche Attraktion: Es sind die jeweils vier ovalen Bildfelder mit verblüffend naturalistischen Vogeldarstellungen aus Mikromosaik, die in solcher Form an einer altrömischen Vasenwandung wohl nie vorgefunden werden dürften.

Leider hat die kunsthistorische Brille oft beschlagene Gläser und so reichen die kümmerlichen ornithologischen Kenntnisse des Autors (ein Stadtkind…) nicht, die frechen kleinen Sänger artensicher zu bestimmen: Aber immerhin können wir dank der präzisen Wiedergabe (und mit Googles Hilfe) den pummeligen, blauroten Gimpel, den neugierigen Stieglitz mit seinem weiß-roten Köpfchen und den schöngefärbten Buchfink identifizieren – wieder was gelernt! Ob es sich bei den restlichen Kollegen tatsächlich um Sperling und Eichelhäher handelt, müssen wir hingegen der kundigeren Leserschaft anheimstellen. Gleichfalls kann hier nicht beantwortet werden, ob diese bunte Truppe zu Cäsars Zeiten tatsächlich in den Pinien der Via Appia zwitscherte, oder ob der Künstler mit Blick auf eine nordeuropäische Kundschaft speziell deren heimische Vogelfauna porträtierte.

Faszinierend ist die Technik, mit der man die Vögel, die (zur besseren Sichtbarkeit vor neutralem Hintergrund) auf „Staffage-Ästen“ so verblüffend lebendig posieren, für die Ewigkeit festhielt: Aberhunderte von kleinen und kleinsten Würfelchen aus Stein und farbigem Glas, die nur Millimeter messen, fügen sich zu buntem Gefieder, zu Schnäbeln und schwarzglänzenden Perl-Äuglein zusammen. Dazu kommen die noch winzigeren Bilddetails: Etwa der überaus schmackhafte Schmetterling mit geflecktem Flügelmuster, den nur der Kitt rettet, dank dem das Mosaik des hungrigen Vogels fest an seinen Platz klebt.

Anders als seine „großen Brüder“, die hellenistischen und altrömischen Bodenmosaiken, deren gröbere Farbsteine (die sogenannten „Tesserae“) sich erst aus einer gewissen Distanz zu geschlossenen Bildflächen und Mustern zusammenfügen, erlaubt und verlangt das Mikromosaik die Nahsicht: Das kleine Format und die engere Gruppierung der verlegten Steinchen ermöglicht eine viel differenziertere Nuancierung der Töne, die an die Farblasuren von Ölmalerei erinnert und besondere Verblüffung hervorruft, weil sie im gesuchten Kontrast zu der spröden Härte des Werkstoffes steht. Ende des 18. Jahrhunderts erfreuten sich die kostbaren Steingemälde größter Beliebtheit auf dem römischen Kunstmarkt, namentlich unter dem internationalen, wohlhabenden Reisepublikum, das der Ewigen Stadt auf der obligaten „Grand Tour“ von Venedig bis Neapel einen mehr oder minder langen Besuch abstattete. Die Verkaufsläden moderner Mosaizisten boten englischen Lords, französischen Kunstjüngern und deutschen Italienschwärmern von Wilhelmine von Bayreuth bis Johann Wolfgang von Goethe Reiseandenken, deren ungewöhnliche Machart eine Verbindung zur bewunderten Antike und ihren verloren geglaubten Kunstgattungen herstellte. Zudem waren diese (übrigens sehr kostspieligen) Souvenirs im Gegensatz zu den originalen Vorbildern transportabel und nicht mit staatlichen Ausfuhrverboten belegt.

Dieses Mosaikbild des Apostelfürsten Petrus aus den vatikanischen Werkstätten erhielt der Zweibrücker Pfalzgraf Friedrich Michael, 'Vater von Bayernkönig Max I. Joseph, anlässlich seiner Firmung 1751

Dieses Mosaikbild des Apostelfürsten Petrus aus den vatikanischen Werkstätten erhielt der Zweibrücker Pfalzgraf Friedrich Michael, Vater von Bayernkönig Max I. Joseph, anlässlich seiner Firmung 1751

Die Voraussetzung für diese florierende Produktion bildete eine Wiederbelebung der Mosaikkunst auf hohem Niveau, die ihren Ausgang von den päpstlichen Werkstätten nahm: 1578 hatte Gregor XIII. beschlossen, den im Bau befindlichen Petersdom statt mit Fresken, mit Mosaiken ausstatten zu lassen – einer Kunstform, die mit ewiger Dauer assoziiert wurde und mit der Frühzeit der Mutter Kirche: Deren erste Basiliken beeindruckten dank mosaizierten Kuppeln und Wänden mit leuchtendem Goldgrund, der als Abglanz des göttlichen Lichts erschien. Byzantinische Mosaizisten, in deren Werkstätten die aufwendige Kunsttechnik im oströmischen Reich überlebt hatte, gaben ihr Wissen weiter. Mit ihrer Hilfe konnte im Barock-Italien eine neue Kunsthandwerkstradition entstehen, die schließlich in der Gründung eines „Studio del mosaico vaticano“ (1727) gipfelte. Dieses bis heute bestehende Prestigeunternehmen fertigte vor allem Kopien berühmter Gemälde, die gern von der Kurie als schwergewichtige Diplomatengeschenke verteilt wurden – nicht zuletzt an durchreisende Mitglieder des Hauses Wittelsbach!

Die Idee, kleine, besonders feine Mosaikminiaturen für „Jedermann“ zu kreieren, ist hingegen vor allem mit dem Namen und der Person des Giacomo Raffaelli (1753-1836) verbunden, aus dessen Atelier wohl auch unsere Vasen hervorgegangen sind: Als Erbe eines alteingesessenen Handwerkerbetriebs, der die römischen Mosaikkünstler mit Glasflüssen für die Herstellung farbiger Tesserae versorgte, entwickelte der junge Raffaelli zusammen mit dem Mosaizisten Cesare Aguatti um 1775 eine Technik, mit der die glühende Masse kontrolliert in winzige Stücke zersprengt werden konnte: Dieses „smalto filato“ oder „gesponnene Email“ diente als kleinteiliges Baumaterial für das neuartige „mosaico minuto“. Auf Tabaksdosen und Broschen aufgebracht, als gerahmtes Bildchen oder – wie in unserem Falle – als Vasenschmuck begeisterten die hochartifiziellen Kunststücke die frühmodernen Touristen: Sie nahmen mit Vorliebe die miniaturisierten Ansichten römischer Ruinen, der Wasserfälle von Tivoli oder eben die von Raffaelli besonders häufig dargestellten Vögel mit nach Hause.

Durstige

Durstige „Plinius-Tauben“: Diese antike Kopie des berühmten Original-Mosaiks aus Pergamon ist in den Kapitolinischen Museen in Rom zu sehen

Vielleicht hat ihn besonders gereizt, in der mühsamen, trockenen Technik, die pedantisch das akkurate Versetzen von Stein verlangt, ausgerechnet die lebendige Leichtigkeit fliegender Geschöpfe einzufangen. Nicht zuletzt dürfte dieser Ehrgeiz auch in einem kunstliterarischen Vorbild gewurzelt haben, das vielen von Raffaellis gebildeten Kunden bekannt gewesen sein dürfte: Der berühmte römische Schriftsteller Plinius verzeichnet in seiner im ersten nachchristlichen Jahrhundert niedergeschriebenen „Naturgeschichte“ unter den herausragenden historischen Kunstleistungen ein besonders lebensnahes Mosaik: Es handelte sich um eine Gruppe von vier trinkenden Tauben von der Hand des Sosos von Pergamon, übrigens dem aufgrund dieser Nennung einzigen namentlich bekannten Mosaizisten der Antike!

Raffaellis eigener wachsender Ruhm führte schließlich 1804 zu seiner Abberufung aus dem Kirchenstaat nach Mailand, der Hauptstadt des von Napoleon neugegründeten Königreichs Italien, wo der Künstler die Leitung eines dort neu etablierten Mosaikateliers übernahm. Erst 1817 sollte er in seine Heimatstadt zurückkehren.

Bildnis des Eugène de Beauharnais, um 1820, Residenzmuseum. Nach Napoleons Sturz in Frankreich nicht mehr geduldet, erhielt Eugène 1817 als Herzog von Leuchtenberg und Fürst von Eichstätt in Bayern einen neuen Wirkungskreis. Er starb 1824 in München.

Bildnis des Eugène de Beauharnais, um 1820, Residenzmuseum. Nach Napoleons Sturz in Frankreich nicht mehr geduldet, erhielt Eugène 1817 als Herzog von Leuchtenberg und Fürst von Eichstätt in Bayern einen neuen Wirkungskreis. Er starb 1824 in München.

Als (Vize)König dieses jungen „Royaume d’Italie“ regierte in Mailand ab 1805 Napoleons Stiefsohn, Eugène de Beauharnais (1781-1824), der im Folgejahr in München die älteste Tochter des bayerischen Monarchen Max I. Joseph heiratete. Am Hof des Schwiegervaters sollte Eugène nach Napoleons Sturz, der zugleich das Ende seines italienischen Königtums bedeutete, auch als „Herzog von Leuchtenberg“ seine letzten Lebensjahre verbringen. Es ist also gut möglich, dass unsere Vasen ursprünglich als Präsente Eugènes oder in seinem Fluchtgepäck in die Residenz gelangten.

1825 bestieg Ludwig I. den Thron. Stielers Staatsporträt zeigt den König und hinter ihm ein Monument seiner Antiken-Liebe. Die tempelartige Walhalla

Staatsporträt Ludwigs I. als König, Kopie nach Stieler im Residenzmuseum

 

Es ist aber gleichfalls denkbar, dass die beiden Stücke tatsächlich als Reiseandenken, in diesem Falle wohl noch direkt aus Rom, nach München kamen: Seit 1804 besuchte Eugènes Schwager, der damalige Kronprinz Ludwig (I.), Italien gern und häufig und begann schon damals seine für die Münchner Museumslandschaft so ersprießliche Ankaufstätigkeit auf dem römischen Kunstmarkt – vielleicht auch im Atelier Raffaelli? Im Jahr 1830, Eugène war mittlerweile schon mehrere Jahren tot und Ludwig schon seit einem halben Jahrzehnt König, listet jedenfalls das Residenzinventar die beiden Vasen im Schlafzimmer seiner Gemahlin Therese auf als: „2 Vasen von weißen Marmor mit eingelegten Vogeln u. a. Verzierungen von Mosaik“. Im späten 19. Jahrhundert zeigen historische Fotografien unsere Vögelchen dann in den sogenannten „Päpstlichen Zimmern“ – vielleicht als Reminiszenz an die vatikanische Mosaikwerkstatt? An diesen zuletzt dokumentierten Standort sind die restaurierten Vasen nun auch nach langem „Urlaub“ heimgekehrt!

Das Vasenpaar gestern und heute im sog.

Das Vasenpaar gestern und heute im sog. „Grotten-“ bszw. „Grünen Zimmer“ der Residenz, Raum 69