Im April 2018 ist es 250 Jahre her, dass eine bedeutende Künstlerpersönlichkeit des Rokoko, François Cuvilliés, mit 73 Jahren nach einem langen, arbeitsreichen, mit Erfolgen, Enttäuschungen und Überraschungen gut gefüllten Leben starb – fern seiner niederländischen Heimat in München, wo er unter der Herrschaft dreier Kurfürsten als „Dessinateur“ und später als Hofbaumeister gedient hatte.
Eine Überraschung für ihn selbst dürfte die bayerische Karriere Cuvilliés durchaus gewesen sein, fing es doch schon damit an, dass die Wiege des kleinen, 1695 geborenen François beim Schaukeln nicht das Gefälle des Voralpenlandes nutzen konnte, sondern im flachen Hennegau stand.
Zum Glück für die Residenz war es auch das Jahr, in dem der umtriebige und ehrgeizige Wittelsbacher Max Emanuel (reg. 1679-1726) aus dem provinziellen München ins kosmopolite Brüssel umzog, um hier einige Jahre als Statthalter für den spanischen König, den Herrn der reichen Südlichen Niederlande, zu regieren. Um 1706, Max Emanuel hatte nach einigen gravierenden politisch-militärischen Fehlkalkulationen deutlich abgewirtschaftet, trat der kleine Cuvilliés in die Dienste des prunkliebenden Barockfürsten – „klein“ übrigens im Wortsinne, denn in den Quellen taucht der offensichtlich kurz geratene Jüngling zunächst als „Hofzwerg“ auf! Von dieser wenig begehrenswerten Narren-Position aus, die andererseits häufigen, vergleichsweise unmittelbaren Kontakt zu den Mächtigen des Zeitalters bedeuten konnte, gelang es Cuvilliés, auf seine künstlerischen Talente aufmerksam zu machen. Prägende Ausbildungsjahre im Kunstzentrum Paris folgten und dann, unter der Regierung von Max Emanuels Sohn und Nachfolger Karl Albrecht (reg. 1726-1745) auch die ersten großen Aufträge: Mitwirkung an der Dekoration der neuen Ahnengalerie und des anschließenden Schatzkabinetts in der Residenz, ab 1729/30 Neugestaltung des kurfürstlichen, ab 1742 dann sogar kaiserlichen Paradeappartements, dazu Arbeiten für den bayerischen Adel und den Kurkölner Hof… Weniger bekannt als sein Talent als Architekt, Ausstatter und Dekorationskünstler ist hingegen das innovative Potential Cuvilliés im technischen Bereich. Zum Beispiel brachte er für das neue Hofopernhaus neben der Residenz theoretisch schon länger diskutierte Planungen zur Ausführungsreife, den Boden des Zuschauerraums durch ein mechanisches Hebewerk im Bedarfsfall auf Höhe des Bühnenboden zu bringen und so eine weitläufige ebene Fläche bereitzustellen, die als höfischer Fest-, Bankett- und Ballsaal dienen konnte!
Noch weniger bekannt, aber für uns bis heute von Bedeutung ist aber vor allem die kleine Revolution, die Cuvilliés im Küchenbereich losgetreten hat: In der Amalienburg, dem bezaubernden, pavillonartigen Jagdschlösschen, das er 1734/39 für die Gemahlin Karl Albrechts im Park von Schloss Nymphenburg erbaute, richtete Cuvilliés 1735 eine kostbar mit bemalten Kacheln ausgeschmückte Prunküche ein, für die er einen ganz neuartigen Kochstelle, den bald sogenannten „Castrolherd“ entwarf („Castrol“ von frz. „Casserole“, also Kochtopf). Es war der erste Herd mit geschlossenem Feuerkasten und einer obenliegender, durchlöcherter Herdplatte, durch die allein Flammen und Hitze austreten konnten. Was sich simpel anhört, war ein bedeutender Komfort. Nicht nur wurde die Brandgefahr ganz erheblich reduziert, sodass eine Kochstelle in unmittelbarer Nachbarschaft mit kostbar eingerichteten Herrschaftsräumen überhaupt denkbar wurde. Es war auch eine Frage von Hygiene und Bequemlichkeit – waren doch ältere Herde mehr oder minder nur aufgemauerte, offene Feuerstellen, auf denen mit Tiegeln, Pfannen, auf Bratspießen und Kesseln mit verstellbarer Hängung direkt über und neben der Flamme hantiert werden musste, das Ganze wohl verbunden mit viel Ruß und Husten im Schatten eines gewaltigen Rauchfangs (und der war schon ein gewaltiger Fortschritt!)
Für die höfische Inszenierung hausfraulicher Herrscherinnentugend war das nichts: Von Karl Albrechts robuster Urgroßmutter, Kurfürstin Maria Anna, war noch überliefert, dass sie selbst manchmal am Herd stand und das auch von ihrer feinen, von derart profanen Anwandlungen zutiefst verstörten Schwiegertochter Henriette Adelaide von Savoyen verlangte. Von Maria Amalias Talenten als gekrönter Küchenfee ist hingegen wenig bekannt, (ihre Leidenschaft galt der Jagd), es war aber vemutlich das Sicherste, dafür zu sorgen, dass es in ihrer Modellküche sauber, angemessen prunkvoll und möglichst modern zuging!
Cuvilliés neuartiger Castrol-Herd war Teil der Antwort auf diese Anforderungen und seine Schauküche als Raumkunstwerk ein repräsentatives Highlight! Noch die Schwester des Komponisten Mozart, das berühmte „Nannerl“, befand bei einen Nymphenburger Besuch (als Zwölfjährige) 1763: „Amalienburg ist das schönste, worinen das schöne Bett ist und die Küchel, wo die Kurfürstin selbst gekocht hat!“
Aber nicht nur Touristen waren begeistert: Von München ausgehend sollte der Ahnherr unseres modernen Standard-Vierplattenherds – vielfach abgewandelt – einen Siegeszug durch die europäischen Küchen antreten!
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