Heute handelt unser Beitrag von Mord und Totschlag, von Schuld und Unschuld, vom Recht auf Notwehr und von Verbrechen, die sich keusch hinter Fremdworten wie „Inzest“ und „Patrizid“ verstecken müssen. Und es geht um eine schöne junge Frau, die aus vergangenen Jahrhunderten mit großen Augen und ratlosem Lächeln auf uns und diesen Schlamassel aus Sex und Crime zurückblickt. Aber wie in jedem Kriminalfall ist Geduld gefragt, wir nähern uns dem blutigen Ende über Umwege und durch das Hintertürchen der Kunst:
In der Sammlung der Münchner Residenz finden sich nicht nur hunderte Gemälde, die mit weichem Pinsel gemalt wurden, sondern auch einige wenige, die aus einer Unzahl farbiger Steinchen zusammengetüftelt sind – großformatige Mosaikbilder aus dem 18. Jahrhundert, Kopien nach berühmten Vorlagen italienischer Renaissancekünstler, die von der römischen Kurie als diplomatische Geschenke verteilt wurden: 1578 hatte Papst Gregor XIII. beschlossen, Gewölbe und Kuppeln des neu errichteten Petersdoms statt mit Fresken, mit Mosaiken ausstatten zu lassen – zweifellos als Hinweis auf die unschuldige Frühzeit der Kirche, als die ersten großen Basiliken in dieser aufwendigen, dafür fast unzerstörbaren Kunsttechnik ausgeschmückt wurden. In Rom war die handwerkliche Tradition der Mosaizierung mittlerweile faktisch ausgestorben, doch in Venedig, das von jeher rege Verbindungen ins ehemalige byzantinische Reich unterhielt, hatte sie überlebt: Von dort warb der päpstliche Hof Künstler an, die im Lauf der Jahre eine neue römische Tradition des Mosaiks begründeten und im 1727 offiziell etablierten „Studio del mosaico vaticano“ zur Perfektion führten. Vor allem die kontinuierliche Weiterentwicklung der Glasurfarben, die auf die „Tesserae“, die winzigen Steinchen, aufgeschmolzen sind, ermöglichten immer differenziertere koloristische Effekte und schließlich ab den 1730er-Jahren die vollendete Imitation der Ölmalerei und ihrer Lasuren, so dass die vatikanische Werkstatt sich mehr und mehr auf das Kopieren berühmter Gemälde spezialisierte (interessanterweise sollte Anfang des 19. Jahrhunderts der bayerische Kronprinz Ludwig (I.) einen ganz ähnlichen Weg beschreiten, als er begann, Hauptwerke der Wittelsbacher Gemäldesammlung mit Einbrennfarben auf Porzellantellern und -platten kopieren zu lassen!).
Wann unsere drei Mosaike, die den Apostelfürsten Petrus sowie zwei junge Frauen mit Turbanen zeigen, in die Residenz gelangten, geht aus den historischen Inventaren bislang nicht hervor, doch gibt es Hinweise: Das ovale Steinbild, welches Petrus zeigt, der als erster Papst die Himmelsschlüssel umfasst, sitzt in einen aufwendigen Rahmen aus vergoldeter Bronze, den eine barock bewegte Kartusche bekrönt. Sie zeigt das Wappen seines Amtsnachfolgers aus dem 18. Jahrhundert: Prosper Lambertini, der von 1740 bis 1758 als Benedikt XIV. die päpstliche Tiara trug. Ein zweites, kleinteiliges Wappen mit Rauten und steigenden Löwen sitzt am unteren Rand und fungiert praktisch als Widmungsadresse des kostbaren Geschenks – es ist das heraldische Wahrzeichen der Herzöge von Zweibrücken aus der pfälzischen Linie des Hauses Wittelsbach!
Nun sind Bildgeschenke vom Stellvertreter Christi ja von vornherein eine schöne und ehrende Sache. In diesem Falle dürfte die diplomatische Aufmerksamkeit der römischen Kurie aber einen speziellen Anlass gehabt haben, da sowohl der regierende Herzog Christian IV. als auch sein Bruder und präsumtiver Nachfolger, der Pfalzgraf Friedrich Michael, unter dem Pontifikat Benedikts XIV. zum Katholizismus konvertierten!
Gewissensgründe für diese Entscheidung können wohl in beiden Fällen mit Ruhe ausgeschlossen werden – die pfälzischen Brüder waren Kinder der Aufklärung und dürften religiösen Fragen indifferent, im besten Fall konventionell gegenübergestanden haben. Es war vielmehr das politische Umfeld, in dem sie Karriere machten, der kaiserliche bzw. der französische Hof, das zum Konfessionswechsel drängte. In Versailles war man namentlich am Herzog Christian interessiert, der in mittelbarer Zukunft Aussicht auf die Regierungsübernahme sowohl in der Kurpfalz als auch in Bayern hatte. In charmanten Briefen wies seine Vertraute, die königliche Mätresse Madame de Pompadour, ihren „cher ami“ darauf hin, dass er nur als Katholik das pfalzbayerische Erbe würde antreten können. Die lebensklugen Zweibrücker ließen sich das gesagt sein – Friedrich Michael reiste 1751 sogar selbst nach Rom, um sich vom Papst firmen zu lassen. Vieles spricht dafür, dass Benedikt XIV. diesen prestigereichen Übertritt eines deutschen Fürsten außer mit seinem Segen mit üppigen Geschenken, darunter Präsente aus der päpstlichen Mosaikwerkstatt, honorierte, die dann Ende des 18. Jahrhunderts im Gepäck von Friedrich Michaels Sohn Max (I.) Joseph, dem ersten bayerischen König, nach München gelangten.
Im Weiteren soll unsere Aufmerksamkeit besonders einem der Residenz-Mosaike gelten: dem Bildnis eines schönen Mädchens mit verhülltem Haar. Vorbild ist ein berühmtes Porträt im römischen Barockpalazzo der Papstfamilie Barberini, das lange Zeit als Werk des bolognesischen Meisters Guido Reni (1575-1642) galt. Der Tradition zufolge zeigt es die junge römische Adelige Beatrice Cenci, die im September 1599 zum Abschluss eines verstörenden Kriminalprozesses, der die Ewige Stadt in Aufruhr versetzte, zusammen mit ihrem älteren Bruder und ihrer Stiefmutter vor den Toren der Engelsburg hingerichtet wurde.
In einer Septembernacht des Jahres 1598 hatten sie gemeinsam ihren Vater, respektive Ehemann, den fünfzigjährigen Francesco Cenci, in einer einsam in den Abruzzen gelegenen Burg brutal ermordet und die Tat als Unfall kaschiert. Bei all dem galt den Anklägern eindeutig Beatrice als Drahtzieherin des Anschlags. So weit, so unschön, aber juristisch eindeutig. Nicht zuletzt, da Geständnisse aller Verurteilten vorlagen, wenn diese auch – dem Strafrecht der Zeit folgend – unter der Folter abgegeben worden waren. Was jedoch alle Gemüter im Kirchenstaat inklusive der gesamten Kurie so bewegte, war das Tatmotiv, bzw. dass das scheinbare Oper, Beatrices Vater Francesco (1549-1598), so ein ausgesprochen mieser Charakter gewesen war. Unsere Darstellung schöpft hier vor allem aus der nachträglichen, literarisch geformten Reportage dieses berühmten Kriminalfalls aus der Feder des französischen Schriftstellers Stendhal, die 1839 erschien: Seinen Quellen zufolge soll es sich bei dem reichen Erben und Lebemann Francesco um einen pathologischen Dauerlüstling gehandelt haben, der stets wegen sexueller Übergriffe mit einem Bein im päpstlichen Gefängnis stak, aus dem er sich laufend freikaufen musste. Zweites Dauerthema seines Lebens sei der manische Hass auf seine erwachsenen Kinder gewesen, die sich ihm durch Flucht ins Ausland, in die Ehe oder ins Kloster zu entziehen versuchten und dabei umkamen oder ins Elend gerieten. Um ein Entkommen seiner restlichen Familie zu verhindern, schloss sich der Renaissance-Psychopath mit seiner zweiten Frau Lucretia Petroni und seiner jüngsten Tochter Beatrice in das abgelegene Bergkastell von Petrella Salto ein. In der Isolation fand das unerträgliche Leben der gefangenen Frauen eine neue schaurige Dimension. Die Prozessakten berichten von vergeblichen Hilfsappellen an die Kurie, von andauernden Demütigungen und schweren Misshandlungen. Beatrices Anwälte haben zudem zunehmende sexuelle Übergriffe Francescos auf seine Tochter angeführt, die von Stendhal voyeuristisch ausgebreitet werden (von der inhaftierten Beatrice aber anscheinend nicht selbst vorgebracht wurden). Irgendwann im Lauf des Sommers 1598 müssen die beiden Gefangenen beschlossen haben, der Situation ein Ende zu setzen. Sie fanden Verbündete, den Kastellan der Burg und einen Hufschmied aus der Gegend, den Beatrice angeblich mit dem goldgewirkten Mantel ihres Vaters verlockte. Der ältere Bruder Giacomo war eingeweiht und besorgte das Opium, mit dem Tochter und Stiefmutter am Abend des 9. September Francesco Cenci betäubten. Anschließend brachte Beatrice ihre zögerlichen Mitverschwörer dazu, den Vater durch Hammerschläge, mit denen sie Nägel durch Auge und Kehle trieben, zu töten. Den blutigen Leichnam schleiften die beiden Frauen dann quer durch das Castello und stürzten ihn beim Abtritt aus dem Fenster in den Burggarten, wo ihn die Zweige eines Baumes aufspießten. Die Nachbereitung des Verbrechens – oder war es Notwehr? – war hingegen weniger gut durchorganisiert: Der Versuch, den Toten im Baum mit einer falschen Abbiegung beim nächtlichen Toilettengang zu erklären, hatte kein wirkliches Agatha Christie-Format. Auch dass Beatrice die rot getränkten Betttücher der Wäscherin mit einer besonders heftigen Monatsregel erklärte, scheint aus der historischen Distanz ziemlich dilettantisch.
Nur kurz nach der verdächtig raschen Bestattung des bösen Francesco fiel daher auch der Polizei des Kirchenstaats so manche Ungereimtheit bei diesem tragischen Familienunglück auf. Beatrices Komplizen wurden gefasst, sie, ihr Bruder und Lucretia inhaftiert und das Verbot, Adelige peinlich zu befragen (also zu foltern), durch einen besonderen päpstlichen Erlass aufgehoben. Beatrice soll die Qualen stoisch ertragen haben, selbst das Verhör „ad torturam capillorum“, also während man sie an ihren Haaren aufhängte. Erst auf die flehentliche Bitte ihrer längst geständigen Stiefmutter hin sei sie bereit gewesen auszusagen. Angesichts der Umstände des Falls bestürmten angeblich Volk, Kardinalskollegium und namhafte Juristen vereint den amtierenden Papst Clemens VIII. (reg. 1592-1605), Gnade walten zu lassen. Beinahe hatte man den zunächst unwilligen Pontifex umgestimmt, als ein weiterer Verwandtenmord in der römischen Aristokratie Clemens dazu bewegte, an den drei Cenci in aller Härte ein Exempel zu statuieren: Als Vatermörder wurde Giacomo mit glühenden Zangen gezwickt, erschlagen und gevierteilt, Lucretia und die 22-jährige Beatrice hingegen zum Tod durch das Beil verurteilt.
Stendhals Gewährsmann berichtet bewundernd und teilnahmsvoll von der Charakterstärke, mit der sich die junge Frau auf den Tod vorbereitet habe. Dazu gehörte auch die Anschaffung eines schlichten, dem Habit einer Nonne ähnlichen Sackkleides für die Hinrichtung. In dieser Sterbe-Tracht soll dann Guido Reni die unschuldige Mörderin noch in ihren letzten Stunden im Kerker porträtiert haben.
Am Morgen des 11. September 1599 wurden Beatrice und ihre Stiefmutter schließlich unter allgemeiner Anteilnahme der römischen Bevölkerung öffentlich enthauptet. Noch unter dem Beil soll es zu einem Aufschub gekommen sein, um die aus der Ferne erteilte Generalabsolution des Papstes abzuwarten, der mit dieser geistlichen Unterstützung habe verhindern wollen, dass Beatrice durch aufrührerische Gedanken im Moment des Todes noch aus Versehen in der Hölle landete (nicht verhindert wurde allerdings, dass sich der päpstliche Neffe Kardinal Aldobrandini wenig später das restliche Cenci-Vermögen unter den Nagel riss…).
In Rom blieb die schöne Vatermörderin unvergessen. Letztlich wurde sie als moderne Nachfahrin der legendären Römerinnen Lucretia und Virginia verehrt, die ihren Widerstand gegen männliche Übergriffe zwar mit dem Leben bezahlten, ihre Peiniger aber mit in den Tod rissen.
Ist die in unschuldiges Weiß gekleidete Frauengestalt auf dem Residenz-Mosaik wirklich die wehrhaft-mörderische Beatrice, oder doch nur eine keusche Vestalin oder eine prophetische Sibylle? Mit stummem Blick wahrt sie ihr Geheimnis. Deshalb soll das letzte Wort noch einmal Stendhal gehören:
„Das Porträt der Beatrice Cenci, von dem es soviel schlechte Stiche gibt, […] ist zart und schön, der Blick sehr sanft und die Augen sehr groß: sie haben den erstaunten Ausdruck einer Person, die im Augenblick heftigen Weinens überrascht wird. Die Haare sind blond und sehr schön. Dieser Kopf hat nichts von dem römischen Stolz und von dem Bewusstsein der eigenen Kraft, wie man beides so oft in dem zuversichtlichen Blick einer Römerin antrifft, einer „figlia del tevere“, wie sie mit Stolz von sich selber sagen….“