Im August 1873 ereignete sich im Königshaus auf dem Schachen ein denkwürdiges Treffen zwischen König Ludwig II. und dem Dichter Felix Dahn. In seinen 1895 publizierten „Erinnerungen“ gibt uns der Schriftsteller einen lebhaften Einblick in dieses „etwa sechstündige“ Gespräch über Politik und Poesie im hochalpinen Türkischen Saal des Schachenhauses.
Der heute kaum mehr bekannte Schriftsteller und Dichter Felix Dahn (1834-1912) war im 19. und frühen 20. Jahrhundert einer der populärsten deutschen Buchautoren. Älteren Lesern ist vielleicht sein Bestseller „Ein Kampf um Rom“ (Erstveröffentlichung 1876, Verfilmung 1968) noch als packende Jugendlektüre in Erinnerung. Fast 10 Jahre nach dem Tod König Ludwigs II. berichtete Felix Dahn in seinen Memoiren („Erinnerungen von Felix Dahn, Viertes Buch, erschienen 1895) über ein außergewöhnliches Gespräch mit König Ludwig II. Mitte August 1873 im Königshaus auf dem Schachen, in dem ein authentisches Bild des Königshauses gezeichnet wird und das darüber hinaus einen einzigartigen Blick in die Gedankenwelt des Königs zulässt.
Eigentlich war der Zutritt zum erst ein Jahr zuvor vollendeten Bergschloss strengstens verboten und nur wenige zeitgenössische Berichte über die Außenerscheinung und die aufsehenerregende Anfahrt König Ludwigs II. drangen in die Öffentlichkeit: „Von einem kräftigen Gebirgspferd gezogen, das ein Hoflakai, nebenhergehend, an der Hand leitet, wird langsam der niedrige, zweirädrige Wagen vorübergezogen, dessen sich der König für diese Fahrt bedient. […] Was nun das Königshaus selbst betrifft, so können wir darüber leider nur wenig berichten, da der Besuch desselben nicht gestattet ist.“ (Gartenlaube Nr. 13, 1873)
Für den damals schon bekannten Dichter Felix Dahn, dessen Eltern der König verehrte, machte der bayerische Monarch aber eine Ausnahme als dieser im Sommer 1873 hier in der Gegend Urlaub machte: „Das galt als ein Ungeheuerliches, noch nie Dagewesenes! […] ließ er doch […] seine Bergburgen nicht leicht einen Sterblichen betreten.“ (DAHN 1895, Bd. 4, S. 279–333, alle folgenden Zitate ebd.)
„Nach wunderschöner Bergfahrt“ und „Hemmnißen […] in Gestalt eines jungen Stieres“ durfte der vom König schon erwartete Dichter die Wunderwelt des Königshauses am Schachen betreten. : „An der Thür von einem Diener empfangen, ward ich sofort an eine schmale, dunkle Wendeltreppe geführt: die Räume unten waren ganz schlicht in der Art eines Gebirgshauses gehalten: desto stärker war der Eindruck, als ich nun plötzlich, wie aus einer Versenkung auftauchend, in dem Wohngemach des Königs vor ihm stand.“ Der im vollem Glanz erstrahlende Türkische Saal auf dem Schachen beeindruckte den Dichter Felix Dahn gewaltig: „[…] Das Zimmer, achteckig (glaub‘ ich), war mit überwältigender Pracht in orientalischem Stil eingerichtet und geschmückt: obwohl draußen heller Tag leuchtete – Mitte August, 4 Uhr Nachmittag – waren doch alle Läden geschlossen und eine geradezu blendende Fülle von Licht strömte aus zahlreichen Wand-Lampen in weißen geschliffnen Kugeln auf mich ein. […] Wir nahmen nun Platz auf einem der Divane, die in türkischer Weise alle Wände des kioskähnlichen Achteckes umzogen.“
Aber das Gespräch zwischen König und Dichter entwickelte sich sogleich rasant in politische Themenbereiche und weg von der betörenden Pracht des Raumes. Felix Dahn zeichnet in seinen Erinnerungen einen emotionalen diskutierenden Monarchen, der um die Eigenständigkeit seines Königreichs Bayern nach der Reichsgründung 1871 fürchtete. König und Dichter tauschten in erregter Diskussion ihre Einstellungen zum Kaiser, dem Kronprinzen und dem geeinten Deutschen Reich aus, so offen und ehrlich, dass Dahn bald dachte „jetzt hast du’s gründlich mit dem König Sonne II. verdorben“. Auch Ludwig gab unverblümt seine antipreußischen Einstellungen gegenüber seinem Gast kund: „Ich hasse, ich verachte den Militarismus.“ Neben politischen Themen, über die der bayerische Monarch ausgezeichnet informiert war, führte die angeregte Diskussion auch zum Kunstschaffen und der eigentümlichen Lebensweise Ludwigs: „Ist es wahr, daß Majestät die ganzen Nächte hindurch lesen?“ Er nickte:“ Ja, ich mache die Nacht zum Tage. Die Stille, die Einsamkeit!“
Unverständlich für den national-deutsch gesinnten Dichter war des Königs Faible für den französischen Absolutismus: „Ja wohl,“ rief er leuchtenden Blickes. „Louis Quatorze! Le Roi Soleil! Er ist mein Ideal.“ Die Einwände Dahns gegen die absolute Monarchie erwiderte Ludwig mit einem Appell an den Dichter: „Ich weiß! Ich weiß! Heutzutage geht das nicht mehr. Aber Sie“ – rief er nun wieder mit jenem Aufschlag des Auges, der ihm so gut ließ [sic] – „Sie, der Poet, müssen mich darin verstehen: ich liebe in dem König Sonne die Poesie des Königthums.“ Ehrlicher hatte König Ludwig II. sich noch keinem anderen offenbart und ihm die wahren Gründe seiner Interessen für das Zeitalter der Bourbonen eröffnet, über die in der Presse schon länger durch seine Planungen für einen Nachbau von Schloss Versailles in Linderhof mit Kopfschütteln berichtet wurden.
Die im Wortsinn „hitzige“ Diskussion zwischen König und Poet („[…] sein Gesicht ganz blutroth: ich hielt einen Gehirnschlag für nicht ausgeschlossen […]“) verlief bis in die Abendstunden, so dass ein Abstieg bei Dunkelheit für den Gast nicht mehr in Frage kam, weshalb der König Dahn einlud auf der Schachenalpe zu übernachten: „Es ist spät geworden,“ sagte er. „Sie können nicht mehr hinunter. Sie sind mein Gast für die Nacht.“ Trotz unterschiedlicher Meinungen und Gegenreden des Dichters hatte König Ludwig das ehrliche Gespräch mit echtem Großmut aufgenommen und war anscheinend sehr beeindruckt von Felix Dahn: „So wie Sie hat noch kein Mann zu mir gesprochen. Ich danke Ihnen. Ich werde Ihnen das nie vergessen. Leben Sie glücklich.“
Literatur
Erinnerungen von Felix Dahn. Viertes Buch. Würzburg – Sedan – Königsberg (1863–1888). 2. Abtheilung (1871–1888), Leipzig 1895.