Schwer zu glauben in Zeiten anvisierter Heiz-Sparpläne für die Museen und bedrohlicher winterlicher Kälteszenarien – doch speziell in den Sommermonaten kann es in den Räumen der Residenz zwischen Samttapeten und Holzvertäfelungen ganz schön warm werden! Das empfinden nicht nur die stundenlang inmitten des kostbaren Inventars treu ausharrenden Aufsichten, sondern bekommt auch so manche/r verschwitzte Besucher/in auf dem mitunter stickigen Weg durch Säle und Jahrhunderte zu spüren. Gern hätte man in solchen Momenten einen kleinen Pagen, der mit dem Straußenfeder-Fächer wedelt, wie man ihn z.B. auf zahlreichen Veronese-Gemälde als lebendiges Accessoire der höfischen Dame von Welt bewundern kann – doch müsste man den livrierten Ventilator heutigentags wohl an der Garderobe abgeben und die raren Straußenbuschen findet man in unseren Schlössern nur noch als Bekrönung hochherrschaftlicher Baldachinbetten…
Im 17. Jahrhundert hingegen, das sich gerade für Frauen durch eine im wörtlichen Sinne „vielschichtige“ und an heißen Tagen besonders unbequeme Kleidermode auszeichnete, wurde baulich auf Abhilfe gesonnen: Historische Fotos aus der Residenz, die vor den umfänglichen Kriegszerstörungen des Jahres 1944 entstanden, belegen als besondere Attraktion in den ehemaligen Gemächern der bayerischen Kurfürstinnen einen barocken Zimmerbrunnen, der mit sanftem Geriesel wohltätige Kühle verbreitet haben dürfte! Der schicke hydraulische Einbau in einer überwölbten, mit farbigen Gesteinsbrocken verkleideten und skulpturengeschmückten Nische gab dem sogenannten „Grottenzimmer“ seinen Namen (heutige Raumnr. 69). Sicher stellte er den zentralen Blickfang dieses Gesellschafts- und Sprechzimmers dar.
Um 1666 ließ es die aus Savoyen stammende Kurfürstin Henriette Adelaide (1636-1676) in den vormaligen Räumen ihrer ungeliebten Schwiegermutter zwischen dem südlichen Residenzgarten (heute: Königsbauhof) und der belebten Schwabinger Gasse (heute: Residenzstraße) einrichten. Der relativ kleine, aber ungeheuer aufwendig ausgestattete Raum markierte in gewisser Weise die Schnittstelle zwischen dem eher öffentlichen Bereich und den intimeren Privaträumen des neuen Appartements: von hier aus erreichte man „nach vorne“ den offiziellen Audienzsaal und „nach hinten raus“ Henriettes Schlafzimmer nebst Kabinetten. Die wohnliche „Grotte“ prangte mit allegorischen Deckenbildern, vergoldeten Schnitzereien, bildhaften Wandverkleidungen aus farbigem Stuckmarmor (sogenannter Scagliola) – und eben dem originellen Wandbrunnen an der Westwand, „gar dienlich die große Sommers-Hitz zu ringern und sich mit einer anemblichen Kühlung zu erfrischen“ wie ein früher Residenzführer von 1685 vermeldet.
Was gleichfalls erfrischend auffällt, ist die letztlich unspezifische, fast etwas willkürlich anmutende Motivwelt dieses kleinen Wasserspiels, obwohl sich gerade das Appartement der Kurfürstin durch den verschwenderischen Einsatz gemalter Sinnbilder, sogenannter Embleme, auszeichnete, die sich zu einer vielstimmigen, ziemlich lauten Ruhmespropaganda Henriette Adelaides und des Hauses Wittelsbach vereinten. Hingegen erscheint die künstliche Tuffsteinnische samt ihren gliedernden Friesen und Bögen aus gereihten Muschelschalen oder Kieselsteinen gleichsam als ikonographischer „Steinbruch“, in dem einzelne Fragmente verschiedener Künstler und Zeitstufen zu einer Art Capriccio zusammengefügt sind und mit den bizarren Naturformen des umgebenden Grottengesteins verschmelzen. Sein Zentrum bildete eine dreiteilige Arkade, besetzt mit Muschel-Obelisken und einem Korb „versteinerter“ Blumen, den man ähnlich an der knapp hundert Jahre älteren Fassade des in der Nähe liegenden Grottenhofes noch heute bewundern kann. Darunter flankierten zwei wild gestikulierende Putten, zwischen denen Wasser aus den Felsbrocken spritzte, eine wohl dem Bacchus-Gefolge zugehörige Gestalt, die einen gefüllten Weinschlauch hielt, aus dem einst ein dünner Strahl in das darunterliegende Rotmarmorbecken schoss. Ist es die photographische Perspektive oder himmelt unser „geschlauchter“ Wasserspender die schöne Nymphe im Schleiergewand an, die zusammen mit einem Pendant als Relief seitlich der Arkaden in den Tuff gebettet ist? Weitere Nymphen liegen nackt und träumend am Boden der künstlichen Höhle, als Naturwesen halb eingewachsen in den Felsengrund und kaum von diesem zu unterscheiden. Unter der Brunnenschale selbst wächst ein steinerner Wurzelstrunk hervor, neben dem ein bärtiger Muskelmann kauert.
Ein genauerer Blick erweist ihn als Abbild des Milon von Kroton, des berühmtesten Athleten und Kraftmeiers der Antike, auf dem tragischen Höhe- und Wendepunkt seiner Sportlerkarriere: Denn als Milon zum Beweis seiner Stärke einst einen aufgekeilten Baumstamm auseinanderstemmen wollte, klemmte er sich in dem gespaltenen Holz ein und wurde trotz aller Protein-Shakes hilflos von wilden Tieren zerrissen!
Originell – und etwas kapriziös! – oder besser: Verträumt und etwas gruselig? Gleiches möchte man ja auch für heutige Zierbrunnen im modernen Wohnbereich behaupten, die allerdings meist im Freien sprudeln und der Nachbarschaft Anlass zu Gemunkel geben: Denn gar nicht so selten pflanzt sich ein begeisterter Heimdekorateur frisch vom vorstädtischen Baumarkt weg eine neobarocke Schalenfontäne samt Betonputte und Plastikfrosch zwischen Grill und Ligusterhecke auf die Gartenterrasse. Allerdings nicht so im Inneren des Hauses: Hier gluckert höchstens ein kleiner Napf aus Kunststoffguss als Raumbefeuchter vor sich hin und lässt auf seinem matten Sprudel ein farbig beleuchtetes Bällchen tanzen, um die trinkfaule Familienkatze zu regelmäßigem Wasserkonsum zu motivieren.
Anders also, als im barocken Zeitalter Henriette Adelaides, in dem große, bisweilen monumentale Zimmerbrunnen als Ausweis luxuriöser Wohnkultur und gehobener Lebensart galten! So erwähnen zahlreiche Zeitgenossen die wohl besonders raffiniert ausgefallenen Grottenbrunnen, die Henriette Adelaides bewunderter und begeistert imitierter Cousin, der französische Sonnenkönig Ludwig XIV., in den Gemächern seiner verwöhnten Maitresse Madame de Montespan in Schloss Saint-Germain-en-Laye installieren ließ. Ein weiterer „Ludwig-Fan“, Henriette Adelaides Sohn Max Emanuel, konnte sich gleichfalls für derlei innenarchitektonische Spielereien begeistern: Die Ausstattung eines der sogenannten „Sommerzimmer“ der Residenz, die er in den 1680er Jahren neben der Wohnung seiner verstorbenen Mutter einrichten ließ, erlangte besondere Berühmtheit dank des von der Decke herab „hangenden raren Brünnleins, so mit schönster Grotten-Arbeit und corallenen Figuren reichlich pranget“.
Vielleicht hat sich der junge Kurfürst hier von älteren Vorbildern inspirieren lassen wie der manieristischen Entwurfszeichnung für einen „schwebenden“ Schalenbrunnen, die Friedrich Sustris wohl für seinen Urgroßvater Wilhelm V. (reg. 1579-1597) angefertigt hatte und die ein ausgetüftelten Leitungssystem aufzeigt, um das Wasser so unerklärlich wie zuverlässig hoch über den Köpfen sprudeln zu lassen.
Übrigens erreichte man von Max Emanuels „Sommerzimmern“ aus eine über dem angrenzenden Grottenhof liegende Dachterrasse, in deren Zentrum zwischen Kübelpflanzen ein weiteres Brunnenbecken aus Bronze seine Fontäne plätschern ließ. Die Häufung dieser originellen, mittlerweile allesamt versiegten und spurlos verschwundenen Wasserspiele hat sicher auch mit der Lage der kurfürstlichen Gemächer zwischen den verschiedenen Gartenanlagen des Residenzkomplexes zu tun: Diese waren natürlich gleichfalls mit diversen Brunnen ausgestattet, so dass deren Leitungen einigermaßen bequem ins Schlossinnere verlängert und von den nahen Pumpenwerken betrieben werden konnten.
Eine nähere Verbindung von Garten und Appartement, die Verschmelzung von Innen- und Außenraum als ästhetisches Prinzip, ist wohl auch ein Anliegen beim Einbau des Muschelbrunnens gewesen, um den Frauengemächern inmitten der um 1660 bereits recht „zugebauten“ Residenz mehr Großzügigkeit und Offenheit zu verleihen. Funktionelles Vorbild mag dabei die Sala terrena gewesen sein, der luftige, ebenerdige Saal, der in den Villen und Palazzi von Henriette Adelaides italienischer Heimat als Vestibül, Garten- oder Festsaal den Übergang zwischen innen und außen herstellte und meist gleich mehrere Wandbrunnen in Form von kleinen Kaskaden oder Grottennischen aufwies, welche mythologische Meereswesen bevölkerten. Nutzte man die Sala für Bankette, dienten die Wasserbecken häufig auch als Kühlbassins, in denen Weinflaschen gelagert werden mochten. Gespeist aus bärtigen Flussgöttermasken oder gerahmt von kindlichen Tritonen erfreuen sie noch heute vielerorts das Auge, zum Beispiel in Max Emanuels berühmter Badenburg im Nymphenburger Schlosspark.
Ob Henriette Adelaide aus Kupferstichen oder Reiseberichten ähnliche Anlagen wie den auf einer Hochterrasse angelegten Brunnensaal des Farnese-Schlosses Carparola bei Viterbo gekannt hat, in dem, ähnlich wie in München, kleine Puttenknaben vor Muschelgründen ihre Wasserscherze treiben? Die Verkleidung der Wände ihres Grottenzimmers mit Stuckmarmortafeln anstelle von Holzpaneelen verlieh dem Raum tatsächlich die Anmutung einer (wiewohl sehr kleinen) Sala terrena: Eines in einem spielerischen Bruch architektonischer Gepflogenheiten ins Obergeschoss verlegten Gartensaals. Auch die Motivik der Scagliola-Intarsien, die statt der üblichen ländlichen und wässrigen Gottheiten ebenso ungewöhnlich wie technisch perfekt die Schoßhündchen und Papageien der Kurfürstin zeigten, belegen, wie originell in München mit Traditionen und Raumfunktionen gespielt wurde!
Umso bedauerlicher scheint es, dass sich all diese hochbarocke, preziös verfeinerte Pracht nicht erhalten hat. Und wie groß war das Entzücken, als vor einigen Monaten bei Inventurarbeiten in den weitläufigen Depots der Residenz unter den als „hoffnungslose Fälle“ abgelegten Kriegstrümmern unsere schlafenden Nymphen zwischen geschwärzten Steinbrocken auftauchten – wiewohl lange „verlegt“ und unerkannt, weitgehend unbeschädigt und immer noch ruhig schlummernd! Auch Fragmente der Puttenknaben und Figurenreliefs haben die Jahrzehnte überlebt und – mittlerweile scharfsichtig geworden – kann man nun auch den Rumpf des Milon wieder zuordnen, während Kopf und Arme die wilde Bestie „Zeit“ weggefressen hat…
Zwar sprudelt Henriette Adelaides fantasievoller Grottenbrunnen nur noch in der Erinnerung und auf alten Fotografien – und ist so zuletzt doch noch zum barocken Bildsymbol schlechthin geworden, nämlich zum Emblem der Vergänglichkeit allen Menschenwerks. Doch ermöglichen die erhaltenen Fragmente nun zumindest eine künftige museale Aufbereitung, um die Erinnerung an eine der originellsten Raumschöpfungen der Münchner Residenz wiederzubeleben – wir arbeiten dran…