Ein Gastbeitrag von Dr. Angelika Schuster-Fox //
Bayerisches Nationalmuseum
Vor 230 Jahren, am 17. August 1794, schloss die pfalz-bayerische Kurfürstin Elisabeth Auguste (oder Elisabeth Augusta) in Weinheim an der Bergstraße für immer ihre Augen. Hinter ihr lag ein bewegtes Leben: Früh verstarben ihre Eltern, aufgewachsen ist sie am Hof ihres greisen und rigiden Großvaters Kurfürst Karl Philipp von Pfalz-Neuburg. Von zentraler Bedeutung war ihre Erziehung im römisch-katholischen Glauben sowie eine strenge Disziplinierung des Alltags, einer kindlichen Prägung, die Elisabeth Auguste ihr gesamtes Leben hindurch genauso zu eigen war wie das höfische Leben des galanten Rokoko, das in Mannheim vor der Französischen Revolution eine letzte Blüte hatte.
„Amo te solo“ – aber nicht ihren Gatten Karl Theodor!
Schon in Kindertagen war Elisabeth Auguste ihrem vier Jahre jüngeren Cousin Karl Theodor, mit dem sie seit 1734 gemeinsam am Mannheimer Hof erzogen wurde, versprochen worden. An ihrem 21. Geburtstag, am 17. Januar 1742, heiratete sie mit päpstlicher Dispens ihren eigentlich zu nahen Verwandten in einer glanzvollen Doppelhochzeit (ihre jüngere Schwester, Maria Anna, wurde mit Clemens Franz de Paula, Herzog von Bayern, Enkel Kurfürst Max Emanuels und damit durchaus möglicher Erbe der bayerischen Kurwürde, vermählt). Mit ihrem Gatten verband Elisabeth Auguste von Anfang an wenig. Lediglich die Leidenschaft für die Jagd sowie der Enthusiasmus für Musik und Theater scheint bei beiden ähnlich groß gewesen zu sein.
Der von Zeitgenossen als „wenig ansehnlich“ beschriebene, gehemmte, übermäßig ernste und verschlossene, zuweilen melancholische bis depressive Karl Theodor war für seine selbstbewusste Gattin wenig attraktiv. Während er sich bald dem Geist der Aufklärung öffnete, blieb die charakterlich dominante Elisabeth Auguste den alten Traditionen und Formen des höfisch-konservativen Lebens verhaftet; ein Lebensstil, den sie aber durchaus zu genießen wusste. Da die arrangierte Ehe nicht mehr als eine Zweckgemeinschaft darstellte, wussten sich zunächst die Kurfürstin und später auch ihr Gatte vor allem außerhalb des gemeinsamen Schlafzimmers zu amüsieren. Bereits vor der Hochzeit ging die angehende Kurfürstin mit ihrem Schwager Clemens Franz de Paula eine Liaison ein, die in sehnsuchtsvollen Liebesbriefen mit eindeutigen Beteuerungen ihrer Zuneigung ihren Niederschlag fanden und erst mit dem Tod des altbayerischen Verwandten 1770 endete. Kürzer waren dagegen die Beziehungen zu ihrem anderen Schwager, Pfalzgraf Friedrich Michael von Pfalz-Zweibrücken, dem Gemahl ihrer jüngsten Schwester Maria Franziska Dorothea, oder dem piemontesischen Grafen Karl Piosasque. 1754 lernte Elisabeth Auguste schließlich den Mann kennen und lieben, der bis zu ihrem Lebensende ihr ständiger Begleiter werden sollte: Carl Ludwig Freiherr von Rodenhausen, der durch seine Verbindung zur pfälzischen Kurfürstin eine steile Karriere am Pfälzer Hof hinlegte.
Zerrüttete Ehejahre
Auf die leichtlebige und teils sogar unverhohlen frivole Lebensweise Elisabeth Augustes reagierte Karl Theodor – wie auswärtige Gesandte zu berichten wussten – mit erstaunlichem Langmut. Mitte der 1750er-Jahre erreichte das Intrigenspiel am Mannheimer Hof ihren Höhepunkt – und nicht selten war es die Kurfürstin selbst, die die Strippen zog. Es gelang ihr, auch in politischen Dingen die Oberhand zu gewinnen, zumal dann, wenn es ihre persönlichen Belange betraf: „Sie erreichte praktisch alles, was sie sich zu erreichen vornahm“, konstatierte der französische Gesandte.
Erst 1758 wendete sich das Blatt – Karl Theodor ließ sich nicht mehr auf der Nase herumtanzen: Er nahm sich seine Gattin nicht nur in Sachen amouröser Abenteuer zum Vorbild, sondern war nun auch gewillt, die Zügel in politischen und wirtschaftlichen Fragen selbst in die Hand zu nehmen. Gleichzeitig begann er sich auf seine ganz persönliche Art für die Schamlosigkeiten zu rächen, die ihm seine Gattin all die Jahre zuvor zugemutet hatte.
Aber trotz ihrer beiderseitigen, immer offener ausgelebten Affären hielten die im katholischen Glauben verwurzelten Eheleute an der Unauflöslichkeit der vor Gott geschlossenen Verbindung bis zum Tode der Kurfürstin fest. In den ersten Jahren ihrer Verbindung hatten sie ihre Pflichten als Landevater und -mutter noch gemeinsam wahrgenommen. Mehr und mehr jedoch entfernten sie sich voneinander – bis 1760 die nicht mehr erwartete Schwangerschaft der Kurfürstin bekanntgegeben wurde. Der gemeinsame Sohn starb allerdings im Juni 1761 unmittelbar nach seiner Geburt – und mit ihm der einzige Lichtblick, der ehelichen Verbindung doch noch einen, auch für die Dynastie der Wittelsbacher, sinnstiftenden Inhalt zu geben. Elisabeth Auguste erholte sich nur langsam, von einer weiteren Schwangerschaft rieten die Ärzte ab.
Als Karl Theodor seiner Gattin 1768 Schloss Oggersheim schenkte, war der Bruch zwischen den Eheleuten nun auch für Außenstehende offensichtlich: Während Karl Theodor die Sommermonate in Schwetzingen (mit seinen Mätressen) verbrachte, reiste Elisabeth Auguste (mit ihren Liebhabern) nach Oggersheim.
„Die guten Tage sind vorbei …“
In der Silvesternacht 1777 starb in München Kurfürst Max III. Joseph ohne legitime Erben: Da in den wittelsbachischen Erbverträgen die bayerische Landeshauptstadt als Residenz festgelegt worden war, trennten sich ab 1778 die Wege des Kurfürstenpaares auch in den Wintermonaten: Elisabeth Auguste, nun Kurfürstin von Pfalz-Bayern, verachtete die (nicht nur) aus ihrer Sicht rückständige und unzivilisierte Residenzstadt München und hielt sich deshalb keinen Tag länger als notwendig an der Isar auf. Kurz nach ihrer Ankunft im Oktober 1778 versicherte sie wiederholt, dass sie erst wieder glücklich sein werde, wenn sie zu ihren geliebten Pfälzern zurückkehren könnte – was sie bereits im Mai 1779 in die Tat umsetzte. In Mannheim wurde sie jubelnd empfangen: Die Zeit als alte und neue Landesmutter brachte ihr vorübergehend noch einmal eine bisher nie dagewesene Popularität. Für die Bevölkerung war die Kurfürstin der letzte Rest der einstmals glanzvollen kurfürstlichen Hofhaltung.
Lediglich ein einziges weiteres Mal, im Winter 1780/81, sollte Elisabeth Auguste nach Bayern kommen, ohne es allerdings allzu lange in München und mit ihrem Gemahl auszuhalten: Im März 1781 kehrte sie „mit wehenden Fahnen“ nach Mannheim zurück, ohne die Stadt an der Isar je wieder zu betreten oder von den Münchnern vermisst zu werden: „Ihre nur zu deutlich geäußerte Abneigung gegen alles, was bayerisch ist, (…) hatte vieles zur allgemeinen Misstimmung beigetragen. Mit desto größerem Frohlocken wurde sie von den Pfälzern empfangen (…)“.
Die letzten Lebensjahre
In der Pfalz führte Elisabeth Auguste fortan das Leben einer Kurfürstin im Verborgenen, da ihr Karl Theodor öffentliche Auftritte oder Festivitäten untersagte. Sie wohnte, gesundheitlich angeschlagen, von April bis November in ihrer Sommerresidenz Oggersheim und in den Wintermonaten im Mannheimer Schloss. Als sie 1786 schwer erkrankte, hoffte Karl Theodor insgeheim, dass seine Frau nicht überleben würde und sich für ihn doch noch die Möglichkeit eröffnen könnte, die Nachfolge mit einer jüngeren, willfährigeren Gattin zu sichern. Als Elisabeth Auguste jedoch unerwartet schnell ihre Gesundheit wiedererlangte, war die gegenseitige Abneigung abgrundtiefer denn je.
Elisabeth Auguste zog sich nicht zuletzt aufgrund ihres Gesundheitszustandes in ihren letzten Lebensjahren fast vollkommen aus der Öffentlichkeit zurück: Sie hatte sich von einer lebenslustigen, ja leichtsinnigen jungen Kurfürstin zu einer alten, manchmal tragischen und bigotten Frau, einer Herrscherin im Abseits gewandelt, und beschränkte sich auf religiöse Andachten, die Betreuung der von ihr geförderten Wallfahrt zur Loreto-Kapelle in Oggersheim sowie ihrer großen Leidenschaft, der Jagd. Dieser beschauliche Alltag wurde nur kurzzeitig gestört, als ihr verhasster Gemahl 1788/1789 für neun Monate in die Pfalz zurückkehrte, da seine Auseinandersetzungen mit den Münchner Bürgern und dem Magistrat eskaliert war und sein rigider Führungsstil mehr und mehr missbilligt wurde. Es war das letzte Mal, dass sich Karl Theodor und Elisabeth Auguste als Ehepaar präsentierten, seine Rückkehr an die Isar bedeutete für beide ein kaum beschreibbare Erleichterung.
Wenige Tage nach Karl Theodors Abreise wurde in Paris die Bastille gestürmt. Infolge der revolutionären Ereignisse verlegte unter anderem die Verwandtschaft aus Zweibrücken, die zukünftigen Erben der pfalz-bayerischen Länder, 1790 ihren Wohnsitz nach Mannheim. Für die Kurfürstin ein glücklicher Umstand, da dies Unterhaltung und Abwechslung in ihren eintönigen Alltag brachte. Aber die positive Veränderung war nicht von langer Dauer: Elisabeth Auguste musste im Januar 1794 überstürzt nach Weinheim an der Bergstraße fliehen, wo sie am 17. August nach kurzer schwerer Krankheit verstarb: Ihr geliebtes Oggersheim war da schon den Zeitläuften zum Opfer gefallen und das Schloss fast vollständig zerstört. Ihre letzte Ruhestätte fand Elisabeth Auguste in der Karmeliterkirche zu Heidelberg. 1805 jedoch überführte man ihren Sarg in die Münchner Michaelskirche an die Seite ihres ungeliebten Gemahls.
Karl Theodor seinerseits verlor nach dem Tod seiner Gattin keine Zeit und vermählte sich bereits im Februar 1795 mit der mehr als 50 Jahre jüngeren Maria Leopoldine von Habsburg-Este; natürlich in der Hoffnung, doch noch einen legitimen Erben vorweisen zu können. Die junge Kurfürstin jedoch verweigerte sich standhaft: Nach dem Tod Karl Theodors im Februar 1799 übernahm die wittelsbachische Linie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld Regierung und Kurfürstenhut und ab 1806 dann sogar die Königskrone in Pfalz-Bayern.
Zitate aus:
Susan Richter, u.a. (ed.): Amo te solo: Briefe der Kurfürstin Elisabeth Augusta an Clemens Franz, Herzog in Bayern 1743–1770, Heidelberg 2021.
Stefan Mörz: Die letzte Kurfürstin. Elisabeth Augusta von der Pfalz, die Gemahlin Karl Theodors, Stuttgart/Berlin/Köln 1997.
Stephan Freiherr von Stengel: Denkwürdigkeiten, hrsg. von Günther Ebersold, Mannheim 1993.