Von Tanja Kohwagner-Nikolai und Olga Reks //
Ob Maskenbälle, Festumzüge, Reiterspiele oder Theateraufführungen – kaum eine höfische Festlichkeit kam ohne Kostüme aus. Der Bayreuther Hof bildete hier keine Ausnahme. Obwohl eine große Zahl an Aufführungen überliefert ist, haben sich wohl aufgrund eines Brandes 1753 keine Kostüme, sondern nur zwei Inventare aus den Jahren 1716 und 1720 erhalten. Sie berichten detailliert über die Art der Verkleidungen und die dafür verwendeten, oft prächtigen Stoffe und Materialien. Johann Meßelreuter, der über 30 Jahre lang den markgräflichen Kostümfundus in Bayreuth hütete, veröffentlichte 1723 das Buch „Neu-eröffneter Masquen-Saal (…)“, das über 200 Kostüme für unterschiedliche Gelegenheiten zeigt. Auf Grundlage dieser Kupferstiche, der Inventare sowie kostümhistorischer Forschungen und auch anhand originaler Kostüme entstanden für das Markgräfliche Opernhaus: Welterbe & Museum drei Kostümrekonstruktionen: die antike Prinzessin Penelope sowie die Elemente Feuer und Wasser. Dazu gehören auch die entsprechenden Perücken.
links: Figurine des Wassers aus Johann Meßelreuter: „Neu eröffneter Masquen-Saal, Oder: Der verkleideten Heydnischen Götter, Göttinnen und vergötterter Helden Theatralischer Tempel: Darinnen In mehr als 200. Kupfer-Stichen vorgestellet wird, wie solche Gottheiten (…) eingekleidet (…) werden können (…) Bayreuth 1723. BSV; rechts: Ein Team um Dorothea Nicolai, Klaudia Pontz und Cordula Mauß rekonstruierte anhand historischer Quellen das Kostüm des Wassers. Olga Reks und das Team des Studiengangs Maskenbild der Theaterakademie August Everding sorgte für die Haarpracht. BSV
links: Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth und ihre Tochter Friederike, Gemälde von Antoine Pesne, um 1734, BSV; rechts: Barbara Rosina de Gasc (zugeschrieben), um 1750. BSV, Dauerleihgabe aus Privatbesitz
Perücken und Puder gehören im Barock unabdingbar dazu – sowohl zum Theater als auch zur adeligen Gesellschaft allgemein. Die feine Gesellschaft verzichtete damals bei der Körperpflege weitgehend auf die Verwendung von Wasser: Sich am ganzen Körper zu waschen war unüblich, ja galt sogar als unschicklich und vor allem gesundheitsschädlich. So wurde das Gesicht üblicherweise morgens nur mit einem wasser-, brandwein- oder rosenwassergetränkten Tuch abgerieben. Gegen Körpergeruch versuchte man, mit korrigierenden Duftmitteln anzukämpfen. Beim Schminken wurde das Gesicht weiß abgedeckt. Hier ein Rezeptbespiel für ein solches Weiß:
„Ein halbes Pfund guter weißer Bleizucker [Blei(II)acetat] wird in zwei Maaß kochenden destillirten Wasser gelöst und die Flüssigkeit auf ein Filtrum gebracht, damit sie recht hell ablaufe. Nun verfertiget man sich eine Auflösung von Potasche in reinem Wasser, und filtrirt sie ebenfalls. Jetzt tröpfelt man von der Potaschenauflösung in die Auflösung des Bleizuckers so lange, bis kein weißer Niederschlag entsteht, läßt diesen setzen, gießt die darüber stehende Flüssigkeit ab, übergießt den Niederschlag mit frischem Wasser und wiederholt dieses acht und mehrere Male. Endlich bringt man ihn auf ein Filtrum von weißem Druckpapier, und trocknet ihn im Schatten.“
Das weiße Schminken des Gesichts war jedoch für Damen und Herren mehr als nur Mode. Zwar schadete das verwendete Bleiacetat der Haut, aber das war meist egal. Denn mit der weißen Schminke konnten Hautunreinheiten, Pockennarben und andere Schönheitsfehler kaschiert werden – und weißer Bleizucker deckte wenigstens gut. Die zeitgenössischen Rezepturen erwähnen für weiße Schminke meist die Pulverform, weil Cremes ohne Konservierungsstoffe bzw. Kühlung zum Ranzigwerden oder Schimmeln neigten. Pulver wird zwar nicht schlecht, aber es staubt. Daher wurden weiße Schminken mit Hilfe eines Bindemittels zu einem Teig gemischt, zu Kügelchen gerollt und getrocknet.
„Will man sich derselben bedienen, so verfährt man dabei auf folgende Art. Man muß erstlich eine gute Pommade bereiten. Nun nimmt man die kleinen getrockneten Kügelchen der weißen Schminke, thut davon in ein kleines Büchschen von Porcellain, zerreibt es mit einem kleinen gläsernen Löffel und setzt von der Pommade hinzu, und such alles auf das genaueste zu vereinigen. Wenn man es braucht, so streicht man davon ins Gesicht, vertheilt es gleichförmig, und wischt es mit Fließpapier ab. Dadurch erhält das Gesicht den Glanz, und ist jetzt in den Stand gesetzt, das Roth aufzunehmen.“
Wangen und Lippen wurden also rot gefärbt. Auch für die Herstellung von Rouge gibt es zeitgenössische Rezepte wie dieses, dessen Basis der Karminfarbstoff aus den Cochenilleschildläusen bildet:
„Man nimmt zwei Unzen gepulverte Cochenille, läßt sie in einem reinen zinnernen Kessel mit 4 Maaß destillirten Wasser, oder auch blos Regenwasser 5 Minuten lang kochen; das Wasser muß aber vorher zum Kochen gebracht seyn, ehe man die Cochenille darein thut. Nun setzt man eine Drachme gepulverten römischen Alaun hinzu, nimmt den Kessel vom Feuer, und gießt die Brühe durch ein Tuch in eine saubere Porcelainschaale. Man setzt diese an einen kalten Ort, und bedeckt sie mit Fließpapier. Nun setzt man etwa alle 2 Stunden zwei Tropfen Zinnauflösung hinzu, so daß sechszehn Tropfen Zinnauflösung hinein kommen, und läßt alles einige Tage stehen. Nach Verlauf dieser Zeit wird sich der Carmin auf den Boden und an den Seiten des Gefäßes abgesetzt haben. Man gießt nun behutsam das Klare davon ab, läßt den Carmin im Gefäße trocken werden, und kehrt ihn mit einer reinen Feder auf ein geglättetes Papier.“
Bei Hof galt ein starker Kontrast zwischen Weiß und Rot als vorbildlich, auf der Bühne wurde er weiter verstärkt und sorgte so für weithin sichtbare Mimik.
Dazu trugen Groß und Klein der obersten Gesellschaftsschicht nach französischer Mode Perücken je nach finanziellen Mitteln aus Menschen-, Ziegen- oder Pferdehaar, die man mit einem je nach Mode weißen oder grau, lila, gelb und blau gefärbten Puder überstäubte:
„Man nehme ein Pfund der feinsten Stärke [Die Basis aller Poudres ist gewöhnlich Stärke (amylum) aus Waizen bereitet. Sie muß sehr weiß, locker, trocken und fein seyn, und durchaus keinen Geruch besitzen.], zwei Unzen florentinische Violenwurzel, mache alles zum feinsten Pulver …“
Damit dieser Puder nicht bei jeder noch so kleinen Bewegung von der Perücke auf Schultern und Kostüme niederrieselte, wurden wohlriechende Öle zugesetzt oder die Perücken durch Pomaden gefestigt, wobei Walrat – auch Spermazeti, Weißer Amber oder Cetaceum genannt – eine weiße bis leicht gelbliche, wachsähnliche Substanz aus dem Kopf bzw. Hohlräumen unter der Haut von Pottwalen eine gleichermaßen wichtige wie kostspielige Zutat war:
„Man lasse in einer zinnernen Pfanne eine Drachme weißes Wachs, 2½ Drachme Wallrath und zwei Unzen frisches Mandelöl bei gelinden Feuer schmelzen, entferne das Gefäß vom Feuer, und rühre es stark durcheinander, bis es zu erkalten anfängt, dann setze man tropfenweise eine Unze Rosenwasser hinzu, welches man durch starkes Durcheinander-Reiben damit zu vereinigen sucht.“
Diese Rezepte finden sich beispielsweise in dem Buch von Johann Bartholomäus Trommsdorff „Kallopistria, oder die Kunst der Toilette für die elegante Welt. Eine Anleitung zur Verfertigung unschädlicher Parfüms und Schönheitsmittel, Pulver, Pommaden, Schminken, Pasten, aromatischen Bädern und aller hierher gehörigen Mittel, welche dazu dienen, die Schönheit zu erhöhen, zu erhalten, oder herzustellen. Erfurt 1805“. Auf dergleichen authentische Rezepturen haben wir bei unserem Workshop aus vielerlei – sicher nachvollziehbaren – Gründen verzichtet. Schließlich sollen die Studierenden des Studiengangs Maskenbild der Theaterakademie August Everding in München lernen, mit modernen Mitteln Makeup und Perücken für Theater und Bühne zu schaffen, deren Optik den barocken Vorbildern so nah wie möglich kommen – ohne die Gesundheit von Schauspielerinnen und Schauspielern zu gefährden.
So hatten die Studierenden des Studiengangs Maskenbild zum Abschluss des ersten Studienjahres die einzigartige Möglichkeit, in die Welt des Barocks und Rokokos einzutauchen und auf der Bühne des Markgräflichen Opernhauses und der Museumsbühne in die Rollen der höfischen Damen zu schlüpfen. Dazu wurden im Vorfeld in der Werkstatt die Perücken vorbereitet. Ziel war es, dass die zukünftigen Maskenbildnerinnen so viel wie möglich selbst gestalten. Dabei war es eine wichtige Aufgabe, die Quellen zu analysieren, eigene Interpretationen zu entwickeln und diese mit historischer Ästhetik zu verbinden. Es wurden extra Perückenunterbauten und Haartressen hergestellt. Selbst die Kunstblumen aus Seide sind von Hand gemacht. So hat die Gestaltung der Frisuren einige Wochen in Anspruch genommen und Stück für Stück wurde eine vergangene Epoche zum Leben erweckt!
Es ist sehr faszinierend, die Entwicklung der Mode in der Menschengeschichte zu betrachten. Noch faszinierender ist es, die Epochen zu analysieren und dann nachzugestalten. Eine großartige Unterstützung leistete die Dozentin für Kostümgeschichte und Stilkunde, die Bühnen- und Kostümbildnerin Monika Gora, mit wunderbar passenden historischen Kleidern aus dem Fundus des Theaters Niedersachsen.
Sie unterstützte uns dann auch beim Workshoptag in Bayreuth, wo immer eine helfende Hand notwendig war, denn in Bayreuth ging es dann erst richtig los: bereits am Vortag wurde alles angeliefert und die Garderobe eingerichtet. Am nächsten Morgen starteten wir früh, die ersten Haare mussten „verräumt“ werden, denn die Studentinnen waren Maskenbildnerinnen und Model in einem. Was sie dabei erlebt haben, berichten sie am besten selbst – links stehen immer die Kommentare der jeweiligen Maskenbildnerin, die nur teileweise zu sehen sind, rechts (oder unter einem großen Bild) äußert sich das Model.
- „Das Frisieren der Perücke war eine spannende und zugleich herausfordernde Aufgabe. Während ich die Locken drehte und die Haare sorgfältig arrangierte, fühlte ich mich oft unentschlossen. Es war fast wie ein künstlerischer Prozess, bei dem jedes Detail zählte. Die Arbeit erforderte Geduld und Präzision, aber gerade das machte es so erfüllend und ich konnte meine Vorstellungskraft und mein handwerkliches Geschick dadurch stark verbessern. Es war auch ein besonderer Moment zu sehen, wie mein Model immer mehr in ihre Rolle eintauchte, während ich sie geschminkt habe. Es fühlte sich an, als würde ich Teil einer gemeinsamen kreativen Vision werden, die wir zusammen zum Leben erweckten. Zu wissen, dass ich dazu beigetragen hatte, diese historische Figur zu schaffen, motiviert mich für zukünftige Projekte.“
- Und so fühlte sich das Model: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so schnell an Perücke und Kostüm gewöhne, auch wenn es sehr heiß war und die Schuhe unbequem. Moni hatte unfassbar schönen Schmuck und die Kleider rausgesucht. Ohne sie hätte nichts geklappt. Witzig war auch, von jedem Besucher angehalten zu werden für ein Foto, oder das Highlight auf der großen Bühne zu sein – einmal alle Aufmerksamkeit auf einem selbst zu haben, das erste Mal selbst Model zu sein, fotografiert und bestaunt zu werden. Und gleichzeitig sehr ermächtigend, wie eine Superheldin. Im kompletten Barockkostüm hat es sich sehr majestätisch angefühlt, ermutigend und künstlerisch, als wäre man aus einem Gemälde gesprungen.“
- „Die Perücke zu frisieren war sehr stressig und mit Höhen und Tiefen verknüpft. Irgendwann konnte ich sie nicht mehr sehen, weil ich sie so lange beim Frisieren angeschaut habe. Aber im letzten Moment kam dann doch alles zusammen. Es war schwierig, nur Portraits als Vorlage zu haben, weil man sich selbst die Details und den Hinterkopf vorstellen musste, aber insgesamt sehr spannend, andere in die Zeit zu verwandeln. Ich glaube, jede hat sich selbst schön gefunden im Zusammenspiel von Kostüm, Perücke und Make-up.“
- „Als ich in das voluminöse Kostüm schlüpfte, fühlte ich mich sofort in eine andere Zeit versetzt. Die schweren Stoffe und besonders die aufwendige und majestätische Perücke gaben mir das Gefühl von Eleganz und Stolz. Im Markgräflichen Opernhaus zu stehen, umgeben von der opulenten Architektur, machte das Erlebnis noch intensiver. Ich fühlte mich aufgeregt und nervös, als ob ich gleich an einer bedeutenden Aufführung teilnehmen würde. Es war eine einzigartige Erfahrung, die mir nicht nur einen Einblick in die Mode und Kultur des Barock gab, sondern mir auch erlaubte, für einen Moment in die Haut einer historischen Figur zu schlüpfen.“
Das ist ein Selfie wert! Die beiden Studentinnen waren jeweils füreinander Maskenbildnerin und Modell.
„Eine historische Perücke zu frisieren, war für mich schwieriger als gedacht. Die Hände wollten automatisch in eine moderne Richtung gehen und ich musste mich selbst zwingen, davon wegzukommen. Doch dann das Endergebnis mit Make-up, Haaren und Kostüm zu sehen, war ein wunderschönes Gefühl.“ Und bei all den Haaren durften die Hände auch nicht vergessen werden …
„Außer, dass man zum Anziehen einige helfende Hände braucht, sind die Kleider – wenn man dann mal drinnen steckt – ziemlich bequem. Es ist spannend, wie schnell man sich an eine Ästhetik gewöhnt. Nach einem Tag, an dem man fast nur von weiß gepuderten Damen mit riesigen Turmfrisuren umgeben ist, kann man sich irgendwie schon vorstellen, dass das mal das gängige Schönheitsideal war. Es ist etwas ganz Anderes, das dann nicht nur zu sehen, sondern auch selbst in so einer Aufmachung zu stecken, mit den Kostümen auf so einer Bühne!“
- „Erstmal ist es schon gruselig, jemandem gefühlt 2 Kilo fast weiße Farbe ins Gesicht zu schmieren und dann noch mit Aprikot und Rosa so betonte Wangen zu schminken. Das Projekt als gesamtes war sehr besonders: das erste Mal eine Perücke frisieren und dann gleich so eine Besondere! Sehr viel Arbeit alles, handgemachte Blumen, …“
- „Obwohl ich selbst nicht so gerne Modell stehe, habe ich mich sehr wohl mit Perücke und Kleid gefühlt. Die barocke Bühne hat natürlich dazu den passenden Effekt geboten – wie in einer Zeitreise …“
- „Das Gestalten und die Recherche für die Frisur haben mir viel Spaß gemacht und ich hatte schnell einen Plan. Aber das Umsetzen ist mir sehr schwergefallen, vor allem die geordnete Unordnung, die so eine kleine Rokokofrisur hat – viel Volumen und Toupagé, aber geschmeidig. Das Blumenmachen aus Seide fand ich besonders schön und werde es auch für andere Projekte wiederverwenden. Lustig war es auch, als wir uns nicht ganz umziehen konnten und deshalb mit Rokokoperücke und Jeans im Maskenraum waren.“
- „Als ich so hell geschminkt wurde, dachte ich anfangs: ‚Oh Gott, das sieht ja schrecklich aus‘. Als dann aber die Perücke dazu gekommen ist, hat sich das Ganze plötzlich zusammengefügt. Mit dem Kostüm dazu war dann alles komplett und man fühlte sich in der Zeit zurück versetzt.“
- „Eine solche Perücke zu frisieren hat unglaublich viel Spaß gemacht. Ich selbst habe am Anfang den Aufwand unterschätzt. Jede Locke wurde einzeln aufgedreht, hingelegt und festgesteckt. Es passierte auch oft, dass man viel nochmal aufmachte und neu aufdrehte. Die Blumen selbst anzufertigen war das Highlight der Arbeit. Auch das Platzieren der Blumen hat einen halben Tag gedauert! Dieses kreative Ausprobieren und die Detailarbeit machen das Endresultat zu was Besonderem.
- „Auch selbst ein Barockkleid zu tragen, war eine ganz neue Erfahrung. Ich musste mehr auf meine Umgebung achten und vor allem auf meine Schritte, da das Kleid sehr viel Platz eingenommen hat. Jede Bewegung musste kontrollierter ausgeführt werden, wodurch ich mich gleich viel eleganter und gehobener gefühlt habe. Auf jeden Fall ist ein kleiner Kindheitstraum in Erfüllung gegangen!“
Aber wir haben nicht nur Fotos gemacht, sondern auf der Museumsbühne auch Videos gedreht, wobei jedes einzelne Haar sitzen und die Performance stimmen musste, denn aus dieser Reise in die Vergangenheit wird ein Imagefilm für den Studiengang entstehen.
Solche Projekte sind von unschätzbarem Wert für die Ausbildung im Bereich Maskenbild und Theater, da sie die theoretischen Kenntnisse mit praktischen Fähigkeiten und Erfahrungen verbinden.
Abschließend bedanken wir uns ganz herzlich bei allen, die diesen Workshop ermöglicht haben!