Die Grundsteinlegung von Schloss Neuschwanstein am 05. September 1869, vor 155 Jahren, erregte kaum Interesse in der damaligen Zeitungslandschaft, wohingegen sich heute jede noch so kleine Neuigkeit zu Ludwigs Traumschloss mit Sicherheit internationaler Aufmerksamkeit erfreut. Warum wurde damals dieses Ereignis kaum wahrgenommen? Wieso fand die feierliche Grundsteinlegung seiner „Neuen Burg Hohenschwangau“ Anfang September 1869 ohne den König statt? Bis heute ranken sich noch (letzte) Geheimnisse um die Anfänge von Schloss Neuschwanstein, die durch die Presse alle Jahre wieder aufs Neue gelüftet werden müssen…
Seit Mitte 1868 wurde auf dem Burgberg von Vorderhohenschwangau mit täglich 200 bis 300 Arbeitern gesprengt und planiert. (Tagblatt Kempten vom 08.08.1869) Ziemlich schnell war die Öffentlichkeit über die Pläne König Ludwigs II. informiert, dort eine zweite Wartburg errichten zu wollen. Nach einem Jahr Baufortschritt forderte Ludwig ungeduldig, dass „die Grundsteinlegung in Hohenschwangau recht bald sein soll […].“ (Befehl an den Hofsekretär vom 6. Juni 1869) Irgendwie sickerte diese Information (gewollt?) an die Presse durch, da die gut informierte Augsburger Postzeitung am 12. Juli 1869 ihren Lesern mitteilte: „Demnächst soll in Hohenschwangau die Grundsteinlegung zu der neuen Burg stattfinden, und wird Se. Maj. der König sich hiezu, wie es heißt, nach Hohenschwangau begeben.“ Wann dieses „demnächst“ sei, war allerdings unklar. Dass die Grundsteinlegung aber „in Gegenwart des Königs“ stattfinden sollte, galt für das Würzburger Journal als sicher. (Ausgabe vom 13.07.1869)
Ende Juli konkretisierte sich für die Bayerische Landeszeitung der Termin: „Die Grundsteinlegung zur neuen Burg Schwangau wird Anfangs des kommenden Monats statthaben.“ (Ausgabe vom 29.07.1869) Auch andere Berichterstatter wollen den genauen Termin für „Anfangs August“ kennen. (Augsburger Neueste Nachrichten vom 31.07.1869) Für einen zeitnahen Termin spricht auch ein erster Entwurf der Grundsteinlegungsurkunde des Hofsekretärs Lorenz Düfflipp, der die Grundsteinlegung auf diesem Dokument eigentlich auf Juli datiert hatte, was später gestrichen wurde.
Jedoch sollte es noch etwas dauern und König Ludwig besuchte derweil die Stadt Landshut, um dort die altehrwürdige Burg Trausnitz zu besichtigten. Nun gingen Gerüchte durch die Gazetten, dass die Grundsteinlegung am Königsgeburtstag, dem 25. August 1869 sei, da seine Majestät an diesem Tag in Hohenschwangau erwartet würde: „Füßen, 25. Aug. Gestern Abend war in Hohenschwangau zahlreicher Besuch, weil eine Illumination und das Abbrennen eines brillanten Feuerwerks bei der Ankunft Sr. Majestät des Königs stattfinden sollte. […] Man spricht davon, daß heute der Grundstein zum „Neuen Schloß“ gelegt werden solle.– Heute um 3 Uhr Nachmittag trafen die Musiker des Infanterie-Leib-Regiments (31 Mann) in Hohenschwangau ein um durch ihre Mitwirkung das Fest der Grundsteinlegung zu verherrlichen.“ (Augsburger Tagblatt vom 26.08.1869)
Am Vortag des königlichen Jubelfestes hatte der Historiker und Gründer des Münchner Stadtmuseums Ernst von Destouches an König Ludwig II. das persönlich verfasste Huldigungsgedicht „Schwangau’s Wiederbegründung“ geschickt, das erst Jahre später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Im pathetischen Dichterduktus wünschte er der neuen Burg zur Grundsteinlegung: „Und wenn vollendet einstens werden ragen/ Stolz deine Zinnen auf zum Ätherblau,/ Dann soll kein böser Sturm mehr fürder wagen,/ Zu rütteln an dem hochgefeiten Bau!“ Gott sei Dank sind die Wünsche des Münchner Stadtpoeten bis heute erfüllt worden und werden es hoffentlich auch in Zukunft. Mit dem Termin zur Grundsteinlegung lag er allerdings daneben.
Gleichzeitig war am 29. August 1869 die Uraufführung von Richard Wagners Oper „Rheingold“ angesetzt, die allerdings auf Intervention des Komponisten – wegen der für ihn unzulänglichen Inszenierung – trotz gegenteiligem Befehl des Königs plötzlich abgesagt werden musste. Ludwig war erbost: „Wahrhaft verbrecherisch und schamlos ist das Gebahren von „Wagner“ und dem Theatergesindel; […] Eine solche Frechheit ist Mir noch nie vorgekommen.“ (Brief an Düfflipp vom 30.08.1869) Entspannung von diesen Strapazen suchte Ludwig Anfang September in seinen geliebten Bergen auf dem Hochkopf und war auch nicht mehr für den eilig herangereisten Komponisten zur sprechen.
Bei der ganzen Aufregung der Presse über die sogenannte „Rheingold-Affäre“ ging der dann doch noch angesetzte Grundsteinlegungsakt zum „Neuen Schloss Hohenschwangau“ am 5. September 1869 fast unter. „Heute Morgens 8 Uhr wurde am Fuße des Säulings angesichts der rauschenden Pöllath die Grundsteinlegung zum neuen Bergschlosse zu Hohenschwangau im allerhöchsten Auftrage durch Herrn Oberbaurath Riedel, welcher nach Hinterlegung eines Bildnisses Sr. Majestät des Königs, einer Urkunde und mehrerer Münzen ec. die üblichen drei Hammerschläge vornahm, in stiller, der Erhabenheit der dortigen Natur angemessener Feier vollzogen.“ (Augsburger Abendzeitung vom 07.09.1869) Ausdrücklich wünschte der König keinen Festakt und auch keine „besondere[n] Ceremonien“. (Augsburger Anzeigenblatt vom 08.09.1869) Nur wenige Zeitungen berichteten damals über die – in anderen Regierungen dieser Zeit üblicherweise groß zelebrierte – Grundsteinlegung einer königlichen Burg.
Keine aufwendig gestaltete Steinplatte sollte sichtbar sein, allein ein Backstein mit eingeritzter Jahreszahl an der südlichen Innenwand des Palas versteckt sich dort unter hunderten anderer Ziegel und weist auf die Stelle des eingemauerten Grundsteins von Neuschwanstein hin. Also so ganz unbekannt war die Position eigentlich nicht, aber trotzdem „entdeckten“ vor wenigen Jahren Spezialisten des Bayerischen Kriminalamtes (manche Zeitungen sprechen von einem „Sprengkommando“) und der Universität Bamberg den genauen Ort des Grundsteins und lüfteten somit wieder einmal ein „letztes Geheimnis“ von Neuschwanstein. Über die Dinge, die darin eingemauert sind, geben die Akten eigentlich schon seit 155 Jahren Auskunft: In einer mit Vorhängeschloss verschließbaren, ca. 80x60x40 cm großen Marmortruhe liegen eine Fotografie des Königs, ein Porzellanbild, einige Münzen (u.a. eine Medaille zum 200-jährigen Jubiläum der königlichen Leibgarde der Hartschiere) und natürlich die Grundsteinlegungsurkunde auf Pergament.
Dazu wurde ein Schlossplan aus dem Jahr 1869 beigefügt, dessen Inhalt unbekannt ist. Im Bauakt zu Neuschwanstein haben sich Fotografien eines Plansatzes erhalten, der dafür vielleicht als Vorbild gedient haben könnte. Dies aber bleibt Spekulation, wohingegen wir sicher sind, dass dies nicht das allerletzte Geheimnis zu Schloss Neuschwanstein ist.
Wie prophetisch das Dichterwort Ernst von Destouches damals zur Grundsteinlegung von Neuschwanstein am 5. September 1869 wirklich war, erfassen wir erst nach 155 Jahren in seiner ganzen Dimension und der heute weltweiten Faszination für König Ludwig II. und sein Traumschloss: „Dir aber, edler Gründer, sei beschieden/ Ein ruhmvoll Leben und Unsterblichkeit!/ Nach aber hundert Jahren sollen feiern/ Die Enkel dich mit dankendem Gemüt“.
Dem können wir uns nur anschließen!