Eine der ältesten und schönsten Kutschen im Marstallmuseum gehörte Kurfürst Karl Theodor von Pfalz-Bayern: Seine Gala-Berline brachte der pfälzische Kurfürst 1777 aus Mannheim mit nach München, als er Kurfürst von Bayern wurde.
Die exquisite Lackmalerei und die vergoldeten Bronzeverzierungen im Rokoko-Stil machen diesen eleganten Stadtwagen zu einem Kunstwerk auf vier Rädern. Er wurde um 1750 in Paris gebaut, dem damaligen Zentrum für Kunst und Mode.
Rokoko-Kunstwerk
Das Besondere an der Gala-Berline ist, dass sie fast unverändert erhalten geblieben ist. Sie ist also noch im Originalzustand seit der Erwerbung durch den Kurfürsten.
Die Gemälde auf dem Wagenkasten stammen von namhaften Künstlern zum Teil nach Vorlagen des berühmten Rokoko-Malers Watteau. Der goldbraune Lackgrund verleiht der Kutsche einen sehr speziellen, kostbaren Glanz. Für den Lack wurden viele dünne Schichten aufgetragen, geschliffen und poliert, bis der Glanz die gewünschte Tiefe und Brillanz erreichte.
Rokoko kommt von Rocaille
Die Dachaufsätze sind luftige Verzierungen aus vergoldeter Bronze. Sie zeigen ebenso wie die geschnitzten und vergoldeten Ornamente am Fahrgestell und am Wagenkasten immer wieder die für das Rokoko typische, in C-Form geschwungene Rocaille. Diese kann Muscheln, Blätter und andere organische Formen darstellen – Hauptsache, es kommt Bewegung in den Dekor!
Seide, Samt und Goldfäden
Nicht nur Außen, sondern auch Innen ist die Kutsche überaus hochwertig ausgestattet. Der kostbare rote französische Seidensamt stammt wahrscheinlich aus Lyon und ist sehr gut erhalten. Mit ihm wurde der Innenraum tapeziert, die Sitzkissen, die Rolljalousien, die Vorhänge und die Haltegriffe gefertigt – alles aus demselben prachtvollen Seidenstoff mit Goldstickerei, Goldpailletten und Goldfransen. Auch die Haltegurte bestehen aus Seide mit eingeflochtenen Goldmetallfäden.
Auch Perückenträger wurden durchgeschaukelt
Da die Kutsche beim Fahren stark schwankte, konnten sich die Fahrgäste an Schlaufen festhalten, die in verschiedenen Höhen angebracht sind. Die Rolljalousien an den Fenstern sollten vor der Sonne oder vor neugierigen Blicken schützen. Die Vorhänge in Kopfhöhe der Passagiere waren hingegen kein Sonnenschutz, sondern sie schützten die wertvollen Textilien vor dem weißen Puderstaub, der aus den modischen Perücken der hochgestellten Persönlichkeiten herausrieselte.
Die Berline war ein damals sehr beliebter Kutschentyp, in dem mehrere Personen gemeinsam fahren konnten. Kurfürst Karl Theodors Gala-Berline konnte – seinem hohen Rang entsprechend – sechsspännig mit einem Vorreiter gefahren werden. Die kostbaren Ledergeschirre mit roter Samtauflage sind im Marstallmuseum im 1. Obergeschoss ausgestellt.
Inkognito unterwegs
Da kein Wappen die Türen ziert, konnte der Kurfürst im Wagen quasi inkognito in der Stadt oder im Park fahren. Durch die kostbare Ausstattung war natürlich trotzdem klar, dass eine besonders hochstehende Person darin unterwegs ist.
Auch als das Rokoko außer Mode kam, wurde der schöne Wagen des Kurfürsten weiter wertgeschätzt und im königlich-bayerischen Marstall aufbewahrt. Sein Wert wurde 1877 noch auf über 10.000 Reichsmark beziffert. In den offiziellen Verzeichnissen, den Inventaren aus dieser Zeit, steht der „rothe Pariser Wagen“ immer an zweiter Stelle, gleich hinter dem Krönungswagen Kaiser Karls VII. Gegenüber vom Krönungswagen hat er heute seinen Platz im Marstallmuseum.
Londoner Qualitätsprodukt
Kurfürst Karl Theodors Gartenwagen, ein so genannter Phaeton, ist optisch ein ganz anderes Fahrzeug als seine Gala-Berline: kleiner, zierlicher, schlichter, dabei aber technisch auf der Höhe der Zeit und eines Kurfürsten mehr als würdig.
Als Phaeton bezeichnet man einen offenen Kutschentyp, der ohne Kutscher selbst gefahren wurde. Der Name geht auf Phaeton, den Sohn des griechischen Sonnengottes Sol zurück. Dieser lieh sich den vierspännigen Sonnenwagen seines Vaters, mit dem er allerdings von der Sonnenbahn in die Tiefe stürzte. Das beabsichtigte Kurfürst Karl Theodor mit seinem Gartenwagen sicher nicht.
Kurfürst Karl Theodor „up to date“
Der um 1775 in London erworbene Park-Phaeton war damals sehr innovativ und modern. Durch die frühe Industrialisierung erreichte England gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine herausragende Stellung in Wissenschaft, Technik und Kultur. Auch Kurfürst Karl Theodor war „up to date“, sprach Englisch, las Shakespeare-Texte im Original und schickte seinen Hofbaumeister Nicolas de Pigage nach England, um die Kunst des neuen Englischen Gartens kennenzulernen.
Intelligente Leichtbauweise
Eine der bedeutendsten technischen Fortschritte im Kutschenbau war die Erfindung der leichten Metallkonstruktion, die schrittweise das schwere hölzerne Fahrgestell ersetzte. Der Park-Phaeton wiegt nur ca. 140 kg – im Gegensatz zu großen Kutschen, die etwa eine Tonne schwer sind. Sein Drehkranz aus Metall war eine kleine Sensation, da 1775 noch fast alle Drehkränze aus Holz gefertigt wurden.
Bemerkenswert ist auch die Komfortfederung mit mehreren S-Federn, die sonst nur in großen Luxuskutschen verbaut wurden.
„Coole“ Technik für sommerliche Luftigkeit
Die Sitzlehnen sind aus Peddigrohr gearbeitet. Peddigrohr wird aus der Rattanpalme gewonnen, die vorwiegend in Indonesien vorkommt. Rattan ist nicht nur luftdurchlässig, sondern auch schweiß- und mottenresistent.
Die beiden Kutschen von Kurfürst Karl Theodor, der innovative englische Parkwagen und die elegante Pariser Kutsche, bezeugen den Sinn des Kurfürsten für künstlerische Qualität und technischen Fortschritt. Beide Fahrzeuge sind besondere Highlights der Kutschen-Sammlung des Marstallmuseums.