Im Roten Empfangszimmer von Schloss Ehrenburg befinden sich vier Gemäldeporträts. Genauer gesagt hängen dort zwei Ehepaare sich gegenüber. Die Frau des einen Paares ist die Schwester des Mannes des anderen Paares gewesen. Besagten Mannes Gemahlin blickt demnach hinüber auf ihre Schwägerin und ihren Schwager, der zugleich aber auch ihr Onkel gewesen ist. Klingt kompliziert? Ist es auch. Aber was für ein wunderbares Beispiel für die dynastische Verflochtenheit der Familie Sachsen-Coburg! Widmen wir uns aus Anlass ihres 200. Geburtstags einer der beiden dargestellten Frauen ein wenig.
Was ist nicht alles schon geschrieben worden über den dynastischen Aufstieg des Coburger Herzogshauses im 19. Jahrhundert, über die vielen vorteilhaften Ehen und immer neuen verwandtschaftlichen Bande. Gerne wird bei solchen Gelegenheiten das vermeintliche Bismarck’sche Bonmot vom „Gestüt Europas“ herangezogen, recht treffend von „Ein Herzogtum und viele Kronen“ gesprochen oder natürlich der emsige Ehestifter und „Onkel Europas“ Prinz Leopold von Sachsen-Coburg hervorgehoben. Auch hier ist dieser kein schlechter Einstieg, denn Leopold ist einer jener vier im Roten Empfangszimmer Porträtierten. Ab 1831 König der Belgier stellte sich für den Witwer – seine erste Ehefrau Charlotte, Anwärterin auf den britischen Thron, war 1817 verstorben – die Frage nach einer weiteren Ehe. Leopolds Wahl fiel auf eine Tochter des Königs der Franzosen, Louise-Marie. Noch fester wurde die Verbundenheit zwischen Belgien bzw. Coburg und Frankreich, nachdem Louise-Maries Bruder Louis, der Herzog von Nemours, 1840 eine Nichte Leopolds zur Frau nahm.
Viktoria von Sachsen-Coburg und Gotha, geboren 1822, entstammte einer Linie des Hauses Coburg, die Leopolds Bruder Ferdinand durch die Heirat mit einer ungarischen Magnatentochter aus dem Hause Koháry begründet hatte. Ein entscheidendes Charakteristikum dieser Wiener Linie der Coburger wurde – neben einem sagenhaften Reichtum resultierend aus dem Koháry-Erbe –, dass die Nachkommen Ferdinands katholisch getauft wurden. Auf diese Weise standen dem an sich protestantischen Haus Coburg nunmehr auch Ehen mit katholischen Adels- und Herrscherhäusern offen. So heiratete Viktorias Bruder 1836 die Königin Portugals und sie selbst, wie erwähnt, ins französische Königshaus.
Dies stellte zum damaligen Zeitpunkt das Haus Orléans, das auf einen Bruder des berühmten Sonnenkönigs Ludwig XIV. zurückging. Die Orléans-Regentschaft währte zum Zeitpunkt von Viktorias Hochzeit allerdings noch recht kurz. Auf Napoleon waren zunächst noch einmal die Bourbonen gefolgt, also die in der Französischen Revolution gestürzte Dynastie. Gegen diese revoltierten die Bürger Frankreichs 1830 gleichsam erneut und erwählten Louis-Philippe von Orléans, Viktorias Schwiegervater.
Hatte somit die Julirevolution von 1830 den „Bürgerkönig“ Louis-Philippe auf den französischen Königsthron gebracht, stürzte ihn die Februarrevolution 1848 von dort wieder herunter. Die Nationalversammlung sprach ein Verbannungsdekret gegen das Haus Orléans aus. Man musste fliehen. Ziel wurde England unter Queen Victoria. Auch Viktoria, die Herzogin von Nemours, schlug sich mit ihren Kindern unter falschem Namen über den Ärmelkanal dorthin durch. Das Aufeinandertreffen der beiden gleichnamigen Frauen war herzlich. Man war über nahe Äste des Coburger Stammbaums verwandt!
Queen Victoria bemühte sich, ihrer aus Frankreich geflohenen Cousine, die sie mit Kosenamen „Vecto“ nannte und sehr mochte, sowie den weiteren royalen Exilanten den neu eingetretenen Lebensabschnitt angenehm zu gestalten. Durch die Monarchin klärte sich auch die Frage, wo die vertriebene französische Königsfamilie in England unterkommen konnte. Ihr Refugium wurde Claremont House in Surrey, nicht weit von London.
Claremont ist aus Coburger Perspektive ein sehr interessanter Ort. Das Anwesen gehörte eine Zeit lang Leopold, dem eingangs Genannten, später seiner Nichte Queen Victoria und schließlich deren Sohn Leopold, sodass Claremont House zum Geburtsort von Victorias Enkel Charles Edward wurde, der als Carl Eduard der letzte regierende Herzog von Coburg werden sollte. Doch das ist eine andere Geschichte.
In den 1850er Jahren war Claremont aus beschriebenen Gründen voller exilierter Franzosen. Mit zunehmender Zeit mussten die Versammelten feststellen, dass eine Rückkehr und Restauration der Regentschaft des Bürgerkönigs unwahrscheinlich wurde. Louis-Philippe verstarb auf englischem Boden, genau wie seine Frau. Sohn Louis sollte erst 1871 wieder nach Frankreich reisen, nachdem es dort – man ahnt es nach dem bisher Gesagten bereits – wieder einen Volksaufstand gegeben hatte, ohne freilich die Orléans wieder auf den Thron zu setzen – fortan gab es gar keinen Thron mehr in Frankreich. Viktoria lebte zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr. Sie hatte 1857 in England ihr viertes Kind zur Welt gebracht und war an den Folgen der Geburt mit nur 35 Jahren verstorben. Man setzte sie nahe Claremont bei. Heute ruht sie in der Grablege des Hauses Orléans im französischen Dreux.
Über Viktorias Nachkommen knüpfte sich das Netz verwandtschaftlicher Beziehungen der Coburger weiter fort. Ihr ältester Sohn ehelichte Brasiliens Kronprinzessin, ihre Tochter Marguerite einen polnischen Aristokraten. Sohn Ferdinand heiratete eine Wittelsbacher Prinzessin, die zuvor mit König Ludwig II. von Bayern verlobt gewesen war.
Viktoria von Sachsen-Coburg und Gotha, verheiratete Herzogin von Nemours, ist bis dato von der Geschichtswissenschaft wenig beachtet worden. Dabei berührt ihre Vita alles andere als heute uninteressante Aspekte wie zum Beispiel die Frage nach Privilegiertheit auf der einen und Gebundensein und Begrenztheit auf der anderen Seite als eine Frau des Hochadels der Zeit, als Figur wie Akteurin in einem von gesellschaftlichen Umbrüchen herausgeforderten dynastischen Netzwerk.
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