von Katharina Heinemann, Matthias Memmel und Bernhard Mintrop //
In der aktuellen Sonderausstellung Ganz neu und echt alt – Die Kaiserburg 2023 zeigen wir euch, wie sehr die Kaiserburg Nürnberg allein in den vergangenen 200 Jahren ihr Erscheinungsbild immer wieder verändert hat – von den vielen Jahrhunderten davor ganz zu schweigen. Bei vielem wissen wir, von wann es ist; manchmal sogar, von wem. Aber manchmal stehen wir mit einer Menge Fragezeichen wie vor einem Rätsel. Weil wir aber stets neugierig sind und als Schlösserverwaltung Burgen einfach lieben, gehen wir altem Gemäuer mit Vorliebe auf den Grund. Diesmal mit einer dendrochronolgischen Untersuchung – deren Ergebnis uns … Aber der Reihe nach!
In der Nürnberger Kaiserburg ist es im Grunde immer dieselbe Ausgangsfrage:
Ist das, was wir vor uns sehen, „ganz neu“, also zum Beispiel erst im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Oder vielleicht eben doch so richtig „echt alt“, also schon Jahrhunderte?
Zuviel ist einfach mit diesem Bauwerk und seiner Ausstattung geschehen. Auch mit der kaiserlichen Stube. Die liegt im ersten Obergeschoss des Palas und gehörte zu den Gemächern des Kaisers – Fürsten im deutschen Reich leisteten sich nämlich schon im Mittelalter sogenannte Stuben-Appartements, bestehend aus einer beheizbaren Stube (von ital. Stufa = Ofen) und einer Schlafkammer mit einem eigenen Aborterker.
Als Innendesigner brachten sich die Nürnberger Patrizier ein. Als die Kaiserburg in der Renaissance für den 1520/21 erwarteten ersten Besuch Kaiser Karls V. aufwendig renoviert und ausgestattet wurde, legte der Rat der Stadt kurzerhand fest:
„Des Königs [= der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs] Stuben und Camern auf der Vesten (…) nach dem gemachten Muster grün in grün malen [zu] lassen (…)“.
Spätestens im 19. Jahrhundert, als die Räume für den Aufenthalt des bayerischen Königs im neugotischen Stil als „lebendiges Museum des Mittelalters“ (so die Bezeichnung in den damaligen Akten) ausgestattet wurden, war grün aber anscheinend nicht mehr unbedingt die Farbe der Wahl. Man verdeckte die alten grünen Vertäfelungen hinter neuen Wandverschalungen – von denen wir die Farbe aus den schriftlichen Quellen nicht immer wissen. Und leider steckte die Farbfotografie, wie ihr seht, noch in den Kinderschuhen!
Was man aber sagen kann: Seit den 1830er Jahren erhielt die Stube jedenfalls ein neues Aussehen. Besonders fällt auf: Die Decke ist neu! Die 1520 von dem Dürer-Schüler Hans Springinklee gemalte Wappendecke – eine auf Holzrahmen gespannte Leinwandmalerei, welche die Decke der kaiserlichen Kammer ausgezeichnet hatte – wurde um 1834 von dem Neugotiker Carl Alexander Heideloff in die Stube versetzt. Sie verdeckte die um 1520 dort angebrachte grün in grün bemalte hölzerne Decke.
Im Zuge der neugotischen Umgestaltung wurde aber auch die Wandschale verändert. Und hier wird es nun spannend:
Bestandteil der Wandschale der Stube ist ein Maßwerkfries direkt unterhalb der Decke. Er besteht aus mehreren Teilen. Zwei Teile davon, die seit der Wiederaufbauzeit deponiert waren, hatten wir im Jahr 2013 schon dendrochronologisch untersuchen lassen mit dem Ergebnis: Die Bretter mit ihren handwerklich sehr gut ausgeführten Maßwerk-Schnitzereien stammen aus den 1850er Jahren!
Besagte Bretter zeigen wir euch derzeit in der Sonderausstellung. Aber was ist mit ihren Artgenossen, die noch in der Stube hängen?
Aus welcher Zeit stammen die Friese, die sich heute in der Stube befinden?
In Akten aus dem Jahre 1952/53 haben wir den Hinweis gefunden, dass die Stuben-Friese ergänzt oder ersetzt werden sollten. Aber was bedeutet das? Wurden beim Wiederaufbau der Stube Friesteile aus dem 19. Jahrhundert mit Neuanfertigungen kombiniert? Oder sind vielleicht alle Teile erst beim Wiederaufbau entstanden?
Folgende Notiz aus den Akten der Bayerischen Schlösserverwaltung vom 5. Nov. 1952 löst die Fragen nicht auf:
„Die Friese (…) sollen im Lauf des Winters durch den bei der Bauleitung der Residenz beschäftigen Bildhauer Schwarz ergänzt und soweit es sich um schlechte Nachbildungen des 19. Jahrhunderts handelt, in einer mehr der ursprünglichen Form sich nähernden Behandlung ersetzt werden.“
Gab es also noch Relikte der „ursprünglichen Form“? Was heißt hier „ursprünglich“?
Wir wollten nun endlich Klarheit bekommen und ließen noch kurz vor der Fertigstellung der Sonderausstellung „Ganz neu und echt alt“ in der Stube alle Friese abnehmen und dendrochronologisch untersuchen:
Das Ergebnis ist eine kleine Sensation: Alle alten Teile des Frieses gehören in einen spätgotischen Entstehungszusammenhang (etwa von 1400 bis 1420)!
Damals spielte die Kaiserburg als zeitweiliger Residenz- und Repräsentationsort der Kaiser des Hl. Röm. Reichs eine wichtige Rolle. In Nürnberg gab es Bildhauer, die sich auf die Herstellung von sogenanntem Schleierwerk spezialisiert hatten (sie leisteten die Zuarbeit bei den vielen spätgotischen Schnitzaltären). Allerdings konnten die hier verwendeten Fichtenbretter nicht eindeutig dem Nürnberger Reichswald zugeordnet werden; auch Süddeutschland käme als Herkunft der Hölzer in Frage.
Es gab dann noch einen weiteren unerwarteten Befund, als wir für die Untersuchung nun alle Maßwerkfriesteile abnahmen: Beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wurden überhaupt keine Teile aus den 1850er Jahren mehr eingesetzt. Was also nicht „echt alt“ aus dem späten Mittelalter ist, stammt von dem Bildhauer Franz Schwarz aus München:
Offenbar wollte man nach 1945 dem „ursprünglichen“, also spätgotischen Zustand möglichst nahe kommen. Vielleicht wurden beim Wiederaufbau die neugotischen Teile aber auch zugunsten eines harmonischeren Gesamtbildes weggelassen.
Wir sind ein großes Stück weitergekommen. Ein Rätsel ist jedoch noch ungelöst:
Wenn die Stube bereits in der Renaissance eine neue Vertäfelung mit grüner Rankenmalerei erhielt, müssen die älteren gotischen Wandfriese bis zu ihrer Entdeckung in den 1830er Jahren von der grün in grün bemalten Vertäfelung verdeckt gewesen sein oder der geschnitzte Maßwerkfries befand sich ursprünglich in einem anderen Raum der Burg.
Noch gibt es darauf keine zweifelsfreie Antwort. Vielleicht wird es sie auch nie geben, denn der Raum samt Decke, Wänden und Fußboden wurde im Zweiten Weltkrieg bis auf die vorsorglich ausgebauten und nur deshalb erhaltenen Vertäfelungen und Friese fast vollständig zerstört.
Aber eines ist sicher: Mittelalterliche Ausstattung gibt es heute noch auf der Burg, und wir haben in der Stube doch Bedeutendes davon gefunden.
Was ist eine dendrochronologische Untersuchung?
Eine dendrochronologische Untersuchung hat das Ziel, durch den Vergleich von Jahrringbreiten auf das genaue Alter eines Holzobjektes zu schließen. Und das geht so: Pro Jahr wächst bekanntlich jeder Baum um einen weiteren Jahrring an, der außen am Stamm gebildet wird. Die Breite eines Jahrringes ist vom Standort des Baumes und vor allem durch die Witterung beeinflusst. Regnet es in einem Jahr viel und ist das Wetter warm, so werden auch die Bäume stärker wachsen und die Jahrringbreiten entsprechend größer sein als in Jahren, in denen die Bäume „hungern“ müssen. Dann sind die Zuwachsraten des Holzes klein und die Jahrringe fallen charakteristisch schmal aus. Sind Baumstämme derselben Holzart in einer Region zur selben Zeit gewachsen, so stimmt die Abfolge der Jahrringbreiten weitgehend überein. Wäre nun ein Baum von 1550 bis 1850 gewachsen und ein anderer von 1750 bis heute, so würden die Jahrringbreiten zwischen 1750 und 1850 übereinstimmend sein, sozusagen „überlappend“. Werden nun die Jahrringmuster vieler hölzerner Bauteile unterschiedlichen Alters auf diese Weise untersucht und über Datenbanken abgeglichen, so ist es möglich, wie in einer Zeitreise sehr weit in die Vergangenheit einzutauchen. Das Alter eines Brettes und auch der Standort, an dem der Baum wuchs, sind so herauszufinden.
Die Untersuchungen wurden über das Institut für Archäologische Wissenschaften, Denkmalwissenschaften und Kunstgeschichte der Otto-Friedrich-Universität Bamberg durchgeführt.