Derzeit arbeitet die Bayerische Schlösserverwaltung an einem neuen Ausstellungsraum zu den Pferden des Ansbacher Hofs im 18. Jahrhundert, insbesondere zu drei historisch bedeutsamen Pferdepräparaten. Von vielen Ansbachern stark vermisst, waren die kuriosen Vierbeiner viele Jahre nicht ausgestellt. Als kleinen Vorgeschmack und für mehr Hintergrundinformationen gibt es für euch auf unserem Blog nun ein paar spannende Beiträge rund um das Thema „Pferde am Hof“. Heute erzählt die Barockpferde-Spezialistin Magdalena Bayreuther vom Leben des Bereiters Georg Simon Winter von Adlersflügel.
Job-Hopping ist ein neues, von der Generation Praktikum betriebenes Phänomen unserer modernen, globalisierten Welt?
Mitnichten. Bereits in der Frühen Neuzeit brachten einige Berufe häufige Arbeitsplatzwechsel mit sich, zum Beispiel der des Bereiters. Welch ein Exotenberuf? Ebenfalls mitnichten. Bereiter sind Pferde- und Reitausbilder und Reiten lernen war bis zur Erfindung des Automobils ebenso essenziell wie heutzutage der Führerschein. Anstatt in die Fahrschule ging es in die Reitschule, von denen es zahlreiche in Städten, Universitäten und an den Adelshöfen gab.
Auch am Ansbacher Markgrafenhof des 17. Jahrhunderts. Direkt gegenüber der um 1570 zum Renaissance-Wasserschloss aufgewerteten markgräflichen Residenz befand sich ein Reithaus. Es war 35 Jahre lang der Arbeitsplatz des Oberbereiters Johann Winter. Und da ein Job an einem Fürstenhof eine einkommens- und prestigeträchtige Sache war, sollte Johanns 1629 geborener Sohn Georg Simon in die Fußstapfen seines Vaters treten. Zunächst sah auch alles nach einer glatten, sicheren Karriere im idyllischen Ansbach aus: Georg Simon überlebte seine acht Jahre Dienstzeit als Musketier, Fourier und Quartiermeister im Dreißigjährigen Krieg und wurde mit Anfang 20 unter Markgraf Albrecht II. von Brandenburg-Ansbach fürstlicher Oberbereiter und zusätzlich Gestütsmeister. Er behielt diese Posten 17 Jahre lang. Zwischendurch verbrachte er – für einen Bereiter-Lebenslauf typisch – zwei Jahre in Heidelberg, um sich dort beim berühmten Universitätsreitmeister Frobenius fortzubilden, und zeichnete um 1660 ein an seinen Dienstherrn gewidmetes „Gebissbuch“, in dem er kreativ designte Hebelstangengebisse und Trensen für Reitpferde vorstellte.
Dann aber starb Markgraf Albrecht 1667 und hinterließ einen erst 13jährigen Sohn. Der Hofstaat wurde verkleinert und Georg Simon Winter arbeitslos. Kurzzeitig war er am kurpfälzischen Hof tätig, kam aber mit zwei Empfehlungsschreiben hochrangiger Adliger mit einem monatlichen, von der Vormundschaftsregierung gezahltem Wartegeld über 50 fl. zurück nach Ansbach, um darauf zu hoffen, dass er bei Volljährigkeit des Prinzen im Jahr 1672 wieder als Bereiter eingestellt wird. Vielleicht ein bisschen aus Langeweile, aber sicherlich auch im Hinblick auf seine zukünftige Karriere ging Georg Simon Winter unter die Buchautoren. 1670 gab er im Selbstverlag sein erstes Werk, das Pferdezucht-Buch „Stutherey Mercurius“ heraus. Eine Marktlücke: Das letzte Buch dieser Art hatte 1578 Marx Fugger geschrieben. Bereits zwei Jahre später erschien in Nürnberg bei der renommierten Endter-Buchdruckerei die zweite Auflage – diesmal viersprachig auf Deutsch, Latein, Italienisch und Französisch, womit alle wichtigen Gelehrten- und Hofsprachen abgedeckt waren. Das Werk war europaweit verständlich und sein Autor erhielt den Touch eines humanistischen Universalgelehrten. Ein kluger Schachzug. Es folgten zwei weitere, ebenfalls mehrsprachige Bücher über Reitkunst (1674) und Pferdeheilkunde (1678), die während und nach Winters Leben mehrere Auflagen erlebten.
Der Clou der frühneuzeitlichen Buchproduktion war die Widmung an hochrangige Persönlichkeiten. Da Buchinhalte nicht urheberrechtlich geschützt und somit frei abschreib- und kompilierbar waren (auch Winter bediente sich dieser Methoden, schrieb aber daneben eigene Passagen), bestand der „Lohn“ des Autors in Geschenken, Geld oder Ämtern durch den Widmungsempfänger. Der schlaue Winter widmete seine Bücher deshalb ausschließlich Adligen, bis hin zum Kaiser. Zusätzlich betätigte er sich freischaffend-künstlerisch als Choreograph: Ebenfalls an den Kaiser und ausgesuchte andere Fürsten (= Wunscharbeitgeber in spe) schickte er ein von ihm selbst entworfenes, kompliziertes „Rossballett“ inklusive Musikkomposition – ähnlich heutigen Reiter-Quadrillen, aber mit allegorischer Rahmenhandlung und Figuren der hohen Reitkunst.
Literarische und künstlerische Beschäftigung hin oder her – wie verdiente Winter nun sein Geld?
Hier kommen wir zum Job-Hopping. Winter verzichtete auf die sichere Stelle in Ansbach unter dem neuen Markgrafen und nahm 1672 einen prestigeträchtigeren Ruf von Herzog Eberhard III. von Württemberg als Oberstutenmeister an, um die herzoglichen Pferde- und Eselgestüte zu leiten. Dort verbrachte er mindestens die nächsten zwei Jahre, bevor der Herzog starb. Um seine Jobchancen zu verbessern, besuchte er im Herbst 1675 den Kaiserhof in Wien. Dort übergab er zwei seiner Kaiser Leopold I. gewidmeten Bücher sowie sein Rossballett mit Hoffnung auf entsprechende Entlohnung und erhielt ein Empfehlungsschreiben für den – wer hätte es gedacht? – heimatlichen Ansbacher Hof. Und tatsächlich wurde er unter Markgraf Johann Friedrich ab 1678 als Stallmeister wiedereingestellt. Es geht nichts über Netzwerke, damals wie heute. Und dadurch bekam man sogar einen Adelstitel: Seine gute Beziehung zum Kaiserhof brachte Winter 1681 ein Adelsdiplom und den Namenszusatz „von Adlersflügel“ samt Pegasus-Wappen ein.
Dann wird es quellentechnisch nebulös: Wohl noch vor dem Tod Johann Friedrichs 1686 verlässt Winter den Ansbacher Hof. Er taucht 1690 in Halberstadt im Elektorat Brandenburg (verwandtschaftlich verbandelt mit den Ansbachern) wieder auf, als Stallmeister im nahen Gröningen im Dienst des preußischen Kurfürsten. Vermutlich sollte er dort ein Gestüt einrichten. Der nächste Karrieresprung katapultierte Winter dann in den 1690er Jahren an den (verwandtschaftlich mit den Brandenburgern verbandelten) dänischen Königshof. Dort war er unter König Christian V. als Bereiter in der Hofreitschule und vermutlich auch im Frederiksborger Gestüt für das europaweit beliebte dänische Edelpferd tätig. Anscheinend erntete er dort große berufliche Anerkennung, denn er erhielt zwei Orden und wurde von einem niederländischen Maler vollfigural auf einem Gemälde festgehalten, das sich bis heute in der Sammlung des dänischen Nationalhistorischen Museums auf Schloss Frederiksborg befindet.
Unglücklicherweise aber – das scheint der rote Faden in Winters Berufsbiographie zu sein – starb auch sein dänischer Dienstherr vor ihm. 1699 ging es zurück nach Halberstadt. Dort verschied Winter zwei Jahre später im Alter von 72 Jahren. Was seine berufliche Karriere, sein europaweites Netzwerk, seinen gesellschaftlichen Aufstieg zum Adligen und seinen zeitgenössischen und posthumen literarischen Ruhm anging, konnte Winter stolz sein. Auch eine Familie mit zwei gesunden Kindern hatte er gegründet. Nur das Geld reichte oftmals nicht aus. Damals wie heute: Reich wird man mit Pferden nicht. Aber glücklich.
Literatur:
Bayreuther, Magdalena: Pferde und Fürsten. Repräsenttaive Reitkunst und Pferdehaltung an fränkischen Höfen (1600-1800). Würzburg 2014, S. 309-323.
Henn, Anja: Über die pferdeheilkundliche Handschrift des Joachim Christoph Zachenaus dem 18. Jahrhundert nebst einer Würdigung des Georg Simon Winter von Adlersflügel, Berlin 1999, S. 276-282.
Titelkupfer: Titelkupfer aus Winters „Wolerfahrner Ross-Arzt“ mit seinem Porträt, 1678, Ausschnitt, UB Erlangen, Sign. 2TrewE 032.