Hinter den Kulissen

Goldglanz und Glasfluss – Konservierung und Restaurierung einer Goldemail-Kreuzigungsgruppe für die Andachtsnische der Kurfürsten

Kreuzigungsgruppe Residenz München grau weiss

Ein Gastbeitrag von Katharina Hörberg //

Sie ist nur etwa 18 Zentimeter hoch – und trägt doch ein ganzes Stück Glaubensgeschichte, höfischer Frömmigkeit und kunsthandwerklicher Meisterschaft in sich: die sogenannte Kreuzigungsgruppe, eine kleine, aber kostbar gearbeitete Goldemailplastik aus dem späten 16. Jahrhundert. Seit dem Frühjahr 2024 ist sie nun wieder an ihrem historischen Platz zu erleben – in der rekonstruierten Andachtsnische im kurfürstlichen Schlafzimmer der Residenz München, wo sie einst Teil des privaten Gebetsinventars von Max III. Joseph war.

Kreuzigungsgruppe ResMü

Die „Kreuzigungsgruppe“ nach der Restaurierung

Für diese Rückkehr in den musealen Alltag war eine umfassende konservatorische und restauratorische Untersuchung notwendig, denn die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen: Glasfragmente waren ausgebrochen, die feine Emaillierung zeigte Risse, und einst leuchtende Farben wirkten matt. Im Rahmen meines Masterstudiums in der Objektrestaurierung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart durfte ich mich diesem faszinierenden Kleinod intensiv widmen – eine einzigartige Verbindung aus kunsthistorischem Forschen, materialtechnischer Analyse und praktischer Konservierungs- und Restaurierungsarbeit. Konservierung zielt dabei auf die Stabilisierung des Objektzustands ab – also darauf, Vorhandenes zu sichern –, während Restaurierung Maßnahmen umfasst, die das Verständnis und die ästhetische Wahrnehmung verbessern – etwa indem Fehlendes ergänzt oder farblich angepasst wird.

Kreuzigungsgruppe ResMü Detail Christus

Christusfigur vor der Restaurierung: Risse, Abplatzungen und Schmutz überziehen die weiß-opaken Emailflächen.

Kleinod der Emailkunst – und ein Restaurierungsfall

Die Kreuzigungsgruppe, wohl in einer Augsburger Werkstatt gefertigt, zeigt Christus am Kreuz, begleitet von Maria und Johannes. Gefertigt ist sie in der anspruchsvollen Technik des émail en ronde bosse, bei der transluzides oder opakes Emailglas direkt auf dreidimensionale Goldkörper aufgeschmolzen wird. Das Ergebnis ist ein irisierendes Farbenspiel über reliefierten Formen – einst glänzend und ausdrucksstark, heute allerdings durch Alterung und mechanische Belastung teils schwer geschädigt.

Bereits bei der ersten Untersuchung offenbarten sich zahlreiche Ausbrüche im farbigen Email, feine Spannungsrisse und Abplatzungen – besonders an stark gekrümmten oder freistehenden Partien. Eine Herausforderung, denn anders als bei flachen Maleremails sind die Schadensursachen hier oft im Verborgenen: im Inneren des Materials, an der kaum sichtbaren Grenzfläche zwischen Gold und Glas.

Um diesen Schichten auf den Grund zu gehen, kamen unter anderem zerstörungsfreie Analysen wie die Mikro-Röntgenfluoreszenz (µRFA) zum Einsatz.

Rreuzigungsgruppe ResMü INRI Detail

Deutliche Ausbrüche und eine frühere, ungeeignete Ergänzung am INRI-Täfelchen – eine typische Schadensform bei Goldemailplastik.

Restaurierung mit Fingerspitzengefühl und Forschungshintergrund

Im Fokus der Konservierung stand zunächst die Sicherung der fragilen Glasflüsse. Dazu wurden fein abgestimmte Festigungsmittel aufgetragen, um das brüchige Material zu stabilisieren. Besonders diffizil war die Reinigung: Schmutz und alte Kittreste mussten entfernt werden, ohne die empfindlichen Oberflächen zu gefährden – eine Arbeit unter dem Mikroskop mit eigens getesteten Lösungsmitteln.

Verlorene Emailstellen wurden schließlich ergänzt und damit restauriert – nicht etwa, um das Objekt „wie neu“ erscheinen zu lassen, sondern um es wieder als Ganzes erfahrbar zu machen. Die ursprüngliche Technik – das Aufschmelzen von echtem Email – kam nicht in Frage, da die dafür nötige Erhitzung auf mehrere Hundert Grad die empfindliche Werkstoffkombination aus Gold und Email erheblich gefährdet hätte. Der restaurierungsethische Abwägungsprozess besteht daher immer darin, geeignete Materialien und Methoden zu finden, die sich optisch einfügen, ohne die Originalsubstanz zu belasten.

Dafür entwickelte ich auf Grundlage historischer Rezepturen und moderner Werkstoffe eine rekonstruierende Ergänzung, die sowohl farblich als auch in der Lichtbrechung dem Original nahekommt – reversibel, alterungsbeständig und mit größtmöglichem Respekt vor der ursprünglichen Materialität. Ein transparentes Kunstharzsystem, das mit Mikropigmenten individuell eingefärbt und schichtweise in die Fehlstellen eingebracht wurde, machte das möglich.

Kreuzigungsgruppe Restaurierung ResMü

Nicht-invasive Analyse mit Mikro-Röntgenfluoreszenz: Die chemische Zusammensetzung von Email und Metall gibt Hinweise auf Alter, Technik und Schadensursachen.

Kremer Pigmente

Die fehlenden Glasflüsse wurden mit eingefärbtem Kunstharz ergänzt. Für die transluziden, bunten Emailflächen kamen dafür die Solvent Farbstofflösungen der Firma Kremer Pigmente zum Einsatz.

Die Ergebnisse flossen nicht nur in die restauratorische Praxis, sondern auch in eine wissenschaftliche Projektarbeit ein, die Teil meines Studiengangs Konservierung und Restaurierung von archäologischen, ethnologischen und kunsthandwerklichen Objekten an der ABK Stuttgart war. Die dortige fundierte Ausbildung verbindet materialtechnisches Know-how mit kulturgeschichtlichem Verständnis – eine Kombination, die besonders bei komplexen Objekten wie der Goldemailplastik unverzichtbar ist.

Detail Kreuzigungsgruppe ResMü

Vorher-Nachher-Vergleich der Johannes-Figur: Durch gezielte Reinigung, Festigung und Ergänzung gewinnt die Figur des Johannes ihre Farbwirkung und Ausdruckskraft zurück.

Kreuzigungsgruppe vorher nachher ResMü

Vorher-Nachher-Vergleich der Christus-Figur: Durch die Kittung der goldsichtigen Fehlstellen erscheinen die Gelenkpartien wieder geschlossen und die Körperformen plastisch durchgängig.

Kunst der Andacht – Andacht der Kunst

Die restaurierte Kreuzigungsgruppe hat ihren angestammten Platz nun wiedergefunden: In der museal rekonstruierten Andachtsnische, gleich neben dem Prunkbett des Kurfürsten. Inmitten barocker Schnitzrahmen, Muschelschnitt-Reliefs und Textilreliquien zeigt sich hier ein fein abgestimmtes Ensemble religiöser Andachtskultur – weniger als Schauobjekt, vielmehr als Ausdruck persönlicher Frömmigkeit eines bayerischen Herrschers.

Andachtsnische Kurfürstenzimmer Residenz München

Die frisch restaurierte Kreuzigungsgruppe in der Andachtsnische

Andachtsnische Kurfürstenzimmer

Dass gerade die Kreuzigungsgruppe diesen intimen Ort ziert, verwundert nicht. Ihre Gestaltung und Symbolik, ihre kunstvolle Ausführung und ihre spirituelle Tiefe verbinden sich zu einem Werk, das für Max III. Joseph wohl täglicher Begleiter war – bei den ersten und letzten Gebeten des Tages.

Und so erfüllt die kleine Plastik nun wieder ihre Aufgabe: als Teil eines Raums, der zur inneren Sammlung einlädt. Und als Zeugnis einer Restaurierung, die selbst im kleinsten Detail große Geschichte sichtbar macht.

 


Zum Projekt

Im Rahmen einer Projektarbeit des Studiengangs Konservierung und Restaurierung von archäologischen, ethnologischen und kunsthandwerklichen Objekten an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bot Herr Jückstock Leiter der Fachabteilung Kunsthandwerk, Schatzkunst und Keramik des Restaurierungszentrums in der Schlösserverwaltung die Betreuung der wissenschaftlichen Untersuchung und restauratorischen Bearbeitung an der Goldemail-Kreuzigungsgruppe aus der Münchner Residenz an.
Die Ausbildung des restauratorischen Nachwuchses ist ein stetes Desiderat der Fachabteilung um nachhaltig und traditionsbewusst das Exzellenzniveau der Restauratoren zu sichern.

Zur Autorin

Katharina Hörberg studiert im Masterstudiengang Konservierung und Restaurierung von archäologischen, ethnologischen und kunsthandwerklichen Objekten an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Ihr besonderes Interesse gilt kunsthandwerklichen Objekten aus Metall und Glas – Werkstoffkombinationen, die trotz ihrer Gegensätzlichkeit seit Jahrtausenden zu außergewöhnlichen Kunstwerken führen. Die Bearbeitung der Kreuzigungsgruppe bot Gelegenheit, kunsttechnologische Forschung mit restauratorischer Praxis zu verbinden.