Geheimnisse, Residenz München

Der hat ja so`nen Bart… Hipster Hans Steininger und „seine“ Treppe in der Residenz

Residenz München Steininger Treppe

Ein weitläufiges Gebäude wie die Münchner Residenz verfügt natürlich über diverse Treppenhäuser. Als Ort fürstlicher Selbstdarstellung wurde das immer wieder erweiterte Wittelsbacher Stadtschloss im Laufe der Jahrhunderte sogar mit besonders vielen und extra prunkvollen Aufgängen versehen: Schließlich gehörte im Rahmen eines ausgefeilten höfischen Zeremoniells das feierliche Hinaufsteigen in die repräsentativen Prunkräume des Obergeschosses und die Rückkehr von da zu den wichtigsten Momenten eines öffentlichen Auftritts – wehe, wenn nicht die dem jeweiligen Rang des Ankömmlings angemessene Anzahl von „Hartschieren“ (Leibgardisten) in voller Montur die Stufen säumte…

… oder der Obersthofmeister einen hochadeligen Gesandten nicht am ersten Treppenabsatz entgegenkam, sondern oben auf der letzten Stufe auf den keuchenden Kraxler wartete!

treppen der residenz münchen

Links: Blick vom Vorplatz der Kaisertreppe; rechts: Die Gelbe Treppe vor 1944

Leider hat sich von all dieser Pracht wenig erhalten. Schuld sind, wie so oft in Zusammenhang mit den verschwundenen Raumkunstwerken der Residenz, die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs: Ihnen fiel zum Beispiel die monumentale „Gelbe Treppe“ zum Opfer, die Leo von Klenze um 1830 als offiziellen Aufgang in die Gemächer König Ludwigs I. errichtete, oder die gut zwei Jahrhunderte ältere „Kaisertreppe“ im Nordflügel, unter deren ausgemalten Gewölben Maximilian I. seine kaiserlichen Vettern bei der Durchreise durch München gebührend empfangen (und beeindrucken) wollte.

Während diese beiden Prunkstiegen mühsam rekonstruiert werden mussten (die „Gelbe Treppe“ derzeit, die Kaisertreppe bereits 1967/75), hat sich zum Glück wenigstens eins der historischen Treppenhäuser mitsamt seiner reichen plastischen und freskierten Ausstattung in großen Teilen erhalten:

Reich verzierte, mehrläufige Treppenanlagen wie die Hans-Steininger-Treppe im äußersten Nordwesten der Residenz kamen hier erst im frühen 17. Jh. in Mode

Die etwas abseits liegende, sogenannte „Hans-Steiniger-Treppe“, die hinter einem Portal unter den nordwestlichen Arkaden des Hofgartens bis ins zweite Obergeschoss der Residenz führt. Die 1614/16 im Auftrag Maximilians I. (reg. 1597-1651) errichtete Stiege diente als eine Art zweiter Versorgungsweg in der von Maximilian damals großzügig erweiterten Residenz: sie war wichtig, da sie die Verbindung zwischen den reich geschmückten Gästezimmern im ersten Stock und dem neu angelegten Hofgarten darstellte, aber nicht so repräsentativ wie der offizielle Zugang in die Fest- und Staatsgemächer: die nur wenige Dutzend Meter entfernte, zwar von denselben Stuckatoren und Malern ausgeschmückte, aber ungleich größere Kaisertreppe.

Die Halbtonnen, die die ziemlich steilen Stufen überspannen, sind im etwas schweren, frühbarocken „Grotesken“-Stil des Hofkünstlers Hans Krumpper und seiner Werkstatt gestaltet: Reiche plastische Ornamente zeigen Blumen- und Fruchtgirlanden sowie halbmenschlich-halbtierische Mischwesen, dazwischen sitzen kleine Bildfelder mit dekorativen Figuren.

Historische Aufnahme des Kuppelfreskos

Den Vorplatz im ersten Stock, von dem man einst die Tafelstube der kaiserlichen Gästewohnung (den sogenannten „Vierschimmelsaal“ erreichte), überspannt eine flache Kuppel, deren Ausmalung heute verloren ist: Sie zeigte den römischen Gott Janus, den Gott des Anfangs (und Namensgeber des „Januar“), der mit einem alten und einem jungen Gesicht zugleich in Vergangenheit und Zukunft blickt. Der Schlüssel in seiner Hand zeigte an, dass der Gott des Aufbruchs auch der Herr der Pforten ist: Seinen Tempel öffneten und schlossen die Römer feierlich zum Zeichen, dass Krieg oder Frieden im Imperium herrsche. Schließlich ist Janus auch der Gott der Gastfreundschaft und passte damit natürlich hervorragend als Schutzgeist für den Ein- und Aufgang eines fürstlichen Schlosses!

Ihren Namen trägt die Hans-Steiniger Treppe allerdings nicht nach einem Gott oder adeligen Bauherrn, sondern nach einem dort seit jeher hängenden Gemälde aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Es zeigt Hans Steininger, den tragischen Helden einer ziemlich kruden Lokallegende: In festlicher Renaissancetracht blickt er uns selbstbewusst auf der Leinwand entgegen – das unerreichbare Vorbild aller heutigen Hipster, mit einem überaus gepflegten, bodenlangen Bart, dessen schieres Ausmaß die schönen Besucher trendiger Barber-Shops in München, Berlin oder New York blass und vor Neid leise weinend zurücklässt!
Auch Hans, seines Zeichens Ratsherr in Braunau, war sehr stolz auf den üppigen Haarschmuck, bis er 1567 einen folgenschweren Fehltritt tat, sich beim Treppensteigen mit dem Fuß in dem nachschleifenden Bart verfing und eine stolze bayerische Beamtenkarriere mit Genickbruch endigte – sic transit gloria barbae…

Wo sich dieser Unfall ereignet haben soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. Unsere Treppe, wie oft gemeint wird, kann es letztlich nicht gewesen sein, weil in Hansens Todesjahr noch lange nicht gebaut. Vielleicht geschah es zumindest auf einem Dienstgang in die herzogliche Residenz?
Um die beklagenswerte Dummheit des Geschehens etwas zu bemänteln, wird manchmal behauptet, der eitle Ratsherr habe sich auf den Stufen nach einer schönen Maid umgesehen, oder sich bei einem Stadtbrand zu sehr mit den Rettungsmaßnahmen beeilt…

Grabstein des Hans Steininger in Braunau

Das Bildnis hing in der Residenz also nicht als Erinnerung an ein lokales Ereignis, sondern wohl vor allem als kurioses Zeitzeugnis. Es übernahm damit eine ähnliche Funktion wie die gemalten Darstellungen von Missbildungen, „Wolfsmenschen“ und ähnlichen biologischen Phänomenen. Als Naturwunder und Monstrositäten verwiesen sie in den fürstlichen Kunst- und Wunderkammern der Renaissance auf die Vielfalt der göttlichen Schöpfung.
Vorbild für das posthume Porträt war ein authentisches Bilddokument: der Grabstein des Ratsherrn in der Braunauer Stadtpfarrkirche.

Damit der Weg ins Museum nicht im Krankenhaus endet…

Im dortigen Bezirksmuseum wird übrigens der dreieinhalb Ellen, also circa zwei Meter lange Originalbart, der dem Leichnam abrasiert wurde, aufbewahrt (– leider wahr…)

Vielleicht hat Hans Steininger die Münchner Residenz, in der er zu so hohen, wiewohl versteckten Ehren gelangte, nie mit Augen gesehen – Am jetzigen Standort mahnt sein Bildnis aber auch noch heutige Besucher der Treppe, beim Aufstieg trotz der sinnverwirrenden Kunst umher stets auf ihre Füße zu achten!