„Unser“ Jubiläumsjahr in der Residenz und der Schlösserverwaltung neigt sich langsam dem Ende zu: Viel gab es 2018 zu feiern und an Vieles zu erinnern. Nicht nur die feierliche Wieder- und Neueröffnung des Königsbaus nach zehnjähriger Schließung, sondern auch das 100jährige Bestehen der BSV als Institution des Freistaats, der gleichfalls vor einem Jahrhundert im November 1918 mit der Ausrufung der bayerischen Republik durch den USPD-Politiker und späteren Ministerpräsidenten Kurt Eisner aus der Taufe gehoben wurde. Und noch einmal 100 Jahre vor diesem einschneidenden Übergang fand im Mai 1818 ein staatsrechtliches Ereignis statt, das gleichfalls in vielerlei Hinsicht die Voraussetzungen für die künftige Entwicklung Bayerns schuf – der Erlass der ersten Verfassung des damals noch blutjungen Königreichs.
Obwohl vom Herrscher, dem letzten Kurfürsten und seit 1806 ersten bayerischen König Max I. Joseph (reg. 1799–1825) oktroyiert (also ohne Mitwirkung der Staatsbürger erlassen), bezeichnete die heute als kostbarer Schatz im Münchner Hauptstaatsarchiv verwahrte Rechtsurkunde einen wichtigen Schritt auf dem Weg Bayerns in die demokratische Rechtstaatlichkeit. Diese „Charta Magna Bavariae“ war für ihre Zeit ausgesprochen fortschrittlich und erwies sich – vielleicht noch wichtiger – in den folgenden Jahrzehnten als ausreichend entwicklungsfähig, so dass sie mehrfach modifiziert bis zum Ende der Monarchie in Kraft blieb.
Leider schaffen wir es nicht, die spannende, aber auch kniffelige Verfassungsgeschichte hier in unserem Blog, der vor allem der Residenz und ihren einstigen Bewohnern gewidmet ist, adäquat auszubreiten. Soviel darf man vielleicht anmerken, dass es 1818 seitens der erlauchten Verfassungsväter nicht gänzlich uneigennützig und souverän zuging: Vielmehr wurde die bayerische Regierung mehr oder minder in die Zukunft hineingetrieben: Jahrelanger Modernisierungsstau und die Notwendigkeit, fast zwei Millionen neuer Untertanen zu integrieren, die die Neuordnung der europäischen Landkarte durch Napoleons Armeen zu Jung-Bayern machte, verlangten gebieterisch weitreichende Reformen. Das Bündnis mit dem mächtigen Franzosenkaiser ermöglichte Max Joseph die Annahme des Königstitels und bescherte dem bislang im alten Reichsverband verankerten Kurfürstentum eine neue staatliche Souveränität. Vorrangig, um in dieser Situation ein unerwünschtes Machtvakuum zu verhindern, wurde 1808 eine erste, noch rudimentäre Art „Vorverfassung“ samt einem Katalog bürgerlicher Grundrechte erlassen. Und auch bei der Ausarbeitung dieser Grundlage 1818 wirkten aktuelle Zeitumstände als Katalysator. Fürchtete man doch die Verabschiedung einer Allgemein-Verfassung für den neu gegründeten Deutschen Bund, diktiert von den wenig geliebten Politikern im fernen Wien, die auf bayerische Freiheiten traditionell wenig Rücksicht nahmen. Der Erlass der Konstitution am 26. Mai 1818 war insofern eine Flucht nach vorn, auch wenn das Dokument von Max I. Joseph mit den salbungsvollen Worten: „Die Liebe meines Volkes ist das Glück meines Herzens und soll der Ruhm meines Thrones sein“ beschworen wurde.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders interessant zu beobachten, wie die Wittelsbacher, dort wo sie sich in ihrer Rolle als König von Künstlern darstellen ließen, mit diesem bedeutungsvollen Dokument umgingen. Denn der Inhalt der in blauen Samt gebundenen Urkundenmappe, an der das Staatssiegel baumelte, adelte sie zwar als sorgende Landesväter. Zugleich beschnitt die Konstitution aber ihre Macht, am kräftigsten durch die Einführung eines gewählten Zwei-Kammern-Parlaments mit dem Recht, den Staatshaushalt zu bewilligen.
Da die offiziellen bayerischen Staatsporträts des 19. Jahrhunderts alle dem selben Kompositionsschema gehorchen, ist der Platz, den Krone und Verfassung jeweils darin einnehmen, leicht zu vergleichen. Angesichts der enormen symbolischen Bedeutung einer solchen Serie gleich gearteter Königsbilder, die die unwandelbare Fortdauer des Königtums beschwören soll, ist die jeweilige Platzierung zudem sehr aufschlussreich.
Da ist zunächst der Stifter selbst, Max I. Joseph in seinem von Napoleons Krönungsgewändern inspirierten Königsornat, 1818 gemalt von Kellerhoven: Bedeutungsvoll legt er die Schwurhand auf die blaue Mappe, die wie die Krone auf rotem Samtkissen inszeniert wird, und garantiert so für die Einhaltung der darin festgelegten Bestimmungen.
Sein Sohn und Nachfolger Ludwig I. (reg. 1825–1848) hatte sich als Kronprinz als besonders engagierter Verfechter der schwelenden Verfassungsidee hervorgetan. Als regierender König kühlte seine Begeisterung angesichts eines opponierenden Landtags ziemlich rasch ab. Auf dem Denkmal, dass er dem Vater vor seinem neuen Königsbau errichten ließ, ist die Darstellung der Verfassungsstiftung auf die Rückseite des Sockels verbannt. Hervorgehoben wird hier der „Octroy“, also die „Gewährung“ der Konstitution als fürstlicher Gnadenakt, die von den symbolisch versammelten Ständen dankbar kniend empfangen wird.
Und im großen Staatsporträt, das Ludwig von Karl J. Stieler 1826 malen ließ, ruhen Krone und Verfassung zwar nebeneinander. Auf der Mappe aber liegt schwer die Faust des Königs, die das Zepter umklammert: Im Bild pocht Ludwig auf seine fürstliche Prärogative, was im politischen Leben nicht so gut klappte – 1848 musste er abdanken….
Auftritt von Ludwigs Sohn Maximilian II. (reg. 1848-1864), der (vielleicht auch mit Blick auf Papas Karriere-Knick) schon in der Thronrede bekundete: „Ich bin stolz, mich einen konstitutionellen König zu nennen.“ Seine Königsbilder (hier ein Porträt von Philipp v. Folz in einer zeitgenössischen Druckgraphik) betonen entsprechend seine Verbundenheit mit den Verfassungsdokumenten samt ihren Anhängen, die nun sogar aufgeblättert die Tischfläche bedeckt. Nicht zufällig winkt im Bildhintergrund das Denkmal Max I. Josephs huldvoll zur Frauenkirche hinüber!
Aber Schock: Mit Regierungsantritt von Sohn Ludwig II. (reg. 1864-1886) ist die Verfassungsurkunde in Pilotys berühmter Darstellung des neuen, in hautenger Uniform posierenden Königs (1865) verschwunden! Nun kann man nicht sagen, dass die Regierungsjahre Ludwigs II. von restaurativen Tendenzen geprägt waren. Es scheint jedoch bezeichnend, dass gerade der Wittelsbacher König, der sich in seinen Traumwelten am eindrücklichsten in die Epoche fürstlichen Absolutismus‘ und Gottesgnadentums zurückwünschte, für die bildliche Verknüpfung seines Königtums mit dem bürgerliche Rechtsdokument des 19. Jahrhunderts wenig Interesse hatte!
Von Ludwigs formalem Nachfolger, seinem Bruder Otto, gibt es kein Staatsporträt, und der an seiner Statt regierende Onkel Luitpold erhob als „schlichter“ Prinzregent auf ein solches keinen Anspruch. Und so schließt unsere Reihe mit dem letzten König, dem erst mittels einer Verfassungsänderung zur Krone gelangten Sohn Luitpolds: Ludwig III. (reg. 1912/13–1918). Nur wenige Jahre und die Zäsur des Weltkriegs stehen zwischen dem traditionellen Bildnis (Heinz, 1915) und den Umbrüchen von 1918.
Ahnt der Porträtierte es selbst? Schon weißhaarig, mit Professoren-Zwicker und skeptischem Blick wirkt der letzte regierende Wittelsbacher in dem ein Jahrhundert alten Samtmantel am Vorabend der Revolution bereits irgendwie aus der Zeit gefallen und verkleidet….
In der Residenz München läuft noch bis zum 31.12.2018 die Jubiläumsausstellung 1818 – 1918 – 2018. Von der Zivilliste zum Museum. Alle Infos zur Sonderausstellung findet Ihr hier.