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„König Ludwig II. als Viehzüchter“ und andere Presse-Echos zum Kauf der Herreninsel im Chiemsee vor 150 Jahren

herreninsel kreativinstinkt

Mitte September 1873 meldete freudig die Bayerische Presse den Kauf der Insel Herrenwörth im Chiemsee durch König Ludwig II., deren Naturschönheiten durch Holzspekulanten ernsthaft bedroht waren. Diese Rettungsaktion brachte Ludwig allseits große Sympathien ein. Welche Pläne der Monarch aber mit dem Eiland hatte, ahnte damals noch niemand…

Der Wunsch König Ludwigs II. einen „Ideal-Nachbau“ von Schloss Versailles in Bayern zu verwirklichen geht bereits ins Jahr 1868 zurück. Schon zwei Jahre vor der schrittweisen Entstehung des Schlosses Linderhof ab 1870  hatte Ludwig die Idee, sich im Graswangtal ein eigenes Schloss „Versailles“ in Miniaturformat bauen zu lassen. Die mit der Zeit immer umfänglicheren Erweiterungswünsche des Königs, die schließlich das französische Original übertreffen sollten, sprengten aber bald die örtlichen Verhältnisse im engen Graswangtal bei weitem. Die stets wohl informierte Presse goutierte die – eigentlich geheimen – Planungen des bayerischen Monarchen, auf dem Linderhof das Paradeschloss Ludwig XIV. von Frankreichs zu bauen, mit größtem Unverständnis: „[…] ein Schloß im Styl von Versailles hierher zu bauen, wie die Rede geht, das heißt Ort und Verhältnisse gänzlich verkennen, das würde den Linderhof geradezu allen Reizes entkleiden. (Friedrich Lampert in „Ueber Land und Meer“ vom 1. Juni 1872)

Noch zu Beginn des Jahres 1872 hatte der König es nicht aufgegeben sein Wunsch-Versailles doch am Linderhof entstehen zu lassen: Mit dem Baue am Linderhof (Tmeicos-Ettal) soll sobald wie nur irgend möglich begonnen werden.“ (Brief an Lorenz v. Düfflipp am 15. Januar 1872) Deutlich zeigt ein Geländesituationsplan von Georg Dollmann, wohl um 1872/73, dass die enge Topographie im Graswangtal den Bau eines Schlosses dieses Ausmaßes kaum zuließen.

Überlagerung Lageplan LI - GR HRC

Situationsplan Linderhof mit eingezeichnetem Grundriss des Projekts „Tmeicos-Ettal“ von Georg Dollmann, um 1872/73. Inv. Nr. LI-01-05-03, Gärtenabteilung, BSV-München

Ein anderer Bauplatz, der möglichst folgende vom König geforderten Bedingungen haben sollte, musste gefunden werden: Isolierte Lage, Stadt, oder Markt, darf nicht in der Nähe sein, gesundes Klima, ob in Bayern, oder im Ausland ist gleich, muß jedoch Gebirgsgegend sein. (Brief an Lorenz von Düfflipp am 6. August 1873)

Glückliche Umstände für das Projekt „Tmeicos-Ettal“ ergaben sich Anfang Juni 1873 als ein Eigentümerwechsel der Insel Herrenwörth im Chiemsee die Öffentlichkeit erregte: Jeder Freund unseres Oberlandes fühlt sich peinlich berührt, wenn er von einer abermaligen Verwüstung hört, die den Waldschmuck der Voralpen bedroht. Der prächtige Wald, welcher die dem Grafen Hunoltstein gehörige Insel Herrenchiemsee deckt, soll abgehauen und ausgestockt werden. Auch diesmal sind es industrielle Württemberger, die mit der Verlegung ihres Geschäftsbetriebes an den Alpenrand uns beehren. (Passauer Zeitung vom 7. Juni 1873) Tatsächlich ging die Insel Herrenchiemsee am 10. Juni 1873 für 300.000 fl. in die Hände von vier Kaufleuten aus Leutkirch und Gebratshausen, die neben der Holzbewirtschaftung auch Wohnungen für Sommergäste auf der Insel erstellen wollten. Für die aufgebrachte Presse stand fest, dass nur noch von höchster Stelle Hilfe zu erwarten sei: Möchte doch König Ludwig II. mit seinem hochgesteigerten Gefühl für die Reize der Alpen dafür eintreten, falls nicht Kaiser Franz Joseph die Württemberger entschädigen mag. (Ebd.)

Die „Worst-Case-Szenarien“ in den Zeitungen über die Zukunft der Herreninsel und deren neue Besitzer welche den schönen Wald zu Brettern sägen und die Waldinsel in einen flachen Wiesengrund umwandeln wollten, zeigten Wirkung. (Süddeutscher Telegraph vom 18. Juni 1873) Der aufmerksame Zeitungsleser König Ludwig II. ließ umgehend über seinen Hofsekretär Erkundigungen einholen wie viele Tagwerke die Herreninsel des Chiemsee’s umfaßt.“ (Brief an Lorenz von Düfflipp am 16. Juni 1873) Der mit Arbeitsaufträgen überhäufte Hofsekretär Düfflipp schaffte es allerdings erst Anfang August, diesem Befehl nachzukommen: Vor einiger Zeit ging durch verschiedene Blätter die Nachricht, daß die Herren-Insel im Chiemsee einer württembergischen Aktien-Gesellschaft verkauft worden sei, welche Gesellschaft die auf der Insel befindlichen Gebäude zur Unterkunft von Sommer-Gästen adaptiren, die Waldungen aber größtentheils abholzen wolle. Seine Majestät möchten nun genau in Erfahrung bringen, wie weit diese Nachrichten als wahr genommen werden können, ob die Insel wirklich, an wen und zu welchen Preise verkauft worden sei und welche Veränderungen der Käufer auf der Insel allenfalls vorzunehmen beabsichtigen dürfte? (Brief von Lorenz v. Düfflipp an den Königlichen Landrichter von Trostberg am 8. August 1873)

Ausführlich berichtete der Adressat, Landrichter Karl Gietl, schon am Folgetag über den kurz zuvor abgeschlossenen Kaufvertrag mit einer genauen Beschreibung der Herreninsel und insbesondere davondaß die Käufer wieder mehr geneigt sein sollen, das Ganze zusammen, wenn sie es mit einigem Nutzen thun können, in unverändertem Zustand wieder zu veräußern […]. Derweil war für den königlichen Auftraggeber die Entscheidung für die Herreninsel noch nicht entschieden weshalb Ludwig am 20. August 1873 anwies Herr Hofrath möchten ja den Auftrag wegen Ausfindigmachen eines passenden Platzes für ,Tmeicos-Ettal‘ nicht vergessen, und Jemand nach ,Krün‘ senden, um das dortige Thal hiewegen in Augenschein zu nehmen; wasserreich sei dasselbe.“

Nachdem sich aber wenig später herausstellte, dass die für Linderhof weit fortgeschrittenen Bau- und Gartenplanungen von Ludwigs „Neu-Versailles“ tatsächlich auf Herrenchiemsee zu realisieren waren, musste es ganz schnell gehen: Am 4. September 1873 erging um 2 Uhr und 15 Minuten ein Telegramm des Königs von Schloss Berg an Herrn Hofrath von Düfflipp in München Residenz: Schließen Sie den Kauf sofort ab, das Terrain scheint entsprechend zu sein. Ludwig

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Telegramm von König Ludwig II. an seinen Hofsekretär Lorenz von Düfflipp am 4. September 1873 mit dem Befehl zum Kauf der Herreninsel im Chiemsee. BSV Reg.

Noch vor dem eigentlichen Kauftermin (10. September 1873) verbreitete sich in Windeseile die Meldung über den Erwerb der Herreninsel durch den bayerischen Monarchen. Schon vier Tage nach dem Telegramm Ludwigs an Düfflipp konnte die Augsburger Postzeitung folgendes berichten: Prien, 8. Sept. Gestern Nachmittag wurden im hiesigen Bahnhofe zwischen dem Sekretär Sr. Maj. des Königs von Bayern und den derweiligen Besitzern der Herreninsel im Chiemsee Unterhandlungen behufs Ankauf dieser Insel gepflogen, welche zu dem Resultate führten, daß Se. Majestät um die Summe von 350,000 fl., wie man hört, den Besitz des schönen romantischen Gutes erwarb.“ (Ausgabe vom 13. September 1873)

Die Freude in den bayerischen Gazetten verbreitete sich am 11. September, einen Tag nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags, überall: Nun aber bleibt uns der herrliche Wald erhalten und somit auch die schönste Zierde des Chiemsees. (Pfälzer Kurier vom 11. September 1873) Von der einzigartigen Naturschönheit der Herreninsel schwärmt „Der Grenzbote“ aus Reichenhall: Dient doch diese prächtige Insel mit ihren reizenden Ufern, mit ihren in der That herrlichen Waldungen, in denen fast jeder einzelne Baum als Zeichnungsvorlage benützt werden kann, wohl hunderten von Landschaftsbildern als künstlerischer Vorwurf, bewundert doch jeder Reisende diesen wahren Juwel des Bayernlandes mit freudigem Erstaunen! (Ausgabe vom 14.09.1873)

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Ansicht auf Herrenchiemsee aus dem Jahr 1874 vom Maler Albin Mattenheimer

Schnell schossen auch die Gerüchte ins Kraut, was der Retter der Chiemseeinsel mit seinem neuen Besitz wohl anfangen möchte: der König beabsichtigt […] darauf eine Musterwirthschaft und eine Brauerei errichten zu lassen. (Würzburger Stadtbote vom 15. September 1873) Mit beißendem, typischem Wiener Humor nahm die Morgenpost diesen Faden auf mit dem Titel. König Ludwig II als Viehzüchter. (Ausgabe vom 17. September 1873) Alljährlich wird der König, so sagt man, einige Monate auf ,Herrenwörth‘ zubringen und dort seiner neuen Passion, der Landwirthschaft, leben, um seine schon seit längerer Zeit gemachten Studien zu verwerthen. Das bayerische Rindvieh hat seinen Ruf bisher fast unbestritten zu behaupten gewußt, das Herrenwörther Rindvieh soll aber bestimmt sein, sich einen Weltruf zu erwerben und ,Herrenwörth‘ dürfte bald der Sammelpunkt der europäischen Landwirthe werden. Die weiteren feuilletonischen Höhepunkte dieses Artikels (ein Wagnersches Konzerthaus im Brauereigebäude auf der Herreninsel) waren für die bierfreudigen bayerischen Leser damals sicherlich weniger amüsant.

Trotz aller Ironie und überspitzter Feder erahnte die Wiener Zeitung die langfristige Tragweite des Inselkaufs durch den bayerischen Monarchen: Herrenwörth m u ß berühmt werden! Mit dieser Vorhersage hatte die Wiener Gazette zweifellos recht, auch wenn sie andere Gründe hierfür anführte. Ganz sicher aber wurde der erste Schritt zur weltweiten Berühmtheit der Herreninsel am 10. September vor 150 Jahren mit dem Kauf des Chiemsee Eilandes durch König Ludwig II. gesetzt.