Im letzten Beitrag aus der Residenz haben wir die wenigen erhaltenen Trümmer einer barocken Raumausstattung aus dem einstigen bayerischen Herrschersitz vorgestellt. Seien wir ehrlich: viel war es nicht, was da den Sturm der Zeiten überdauert hat – eine Menge historisches Fotomaterial und „einst war hier“ und „dort stand das“ sind nötig, die erhaltenen Fragmente in ihrem einstigen Glanz zu imaginieren. Zum Glück machen wir aber auch immer wieder in den schlecht ausgeleuchteten Ecken unserer weitläufigen Depots Entdeckungen, die noch mit „mehr Fleisch“ an ihren jeweiligen Entstehungsepochen hängen!
Dies gilt zum Beispiel für einige Gemälde, die wir in diesem Blogpost vorstellen möchten. Zeitlich können wir dabei mehr oder minder nahtlos an unseren letzten Beitrag anschließen: Wieder bewegen wir uns im schaurig-schönen 17. Jahrhundert, das für München mit der markanten Herrschergestalt des ersten Kurfürsten Maximilian (reg. 1597-1651) und dessem grandiosen Ausbau der Residenz höchst opulent begann und mit der Regierung seines Enkels, des prunk-, kunst-, und frauenverliebten „Barockfürsten“ Max (II.) Emanuel (reg. 1679-1726), endete. In seinen luxuriösen Vorlieben für die Kunstproduktion Italiens und Frankreichs wurde der junge Max Emanuel sicher von seiner glamourösen Mutter beeinflusst – Henriette Adelaide von Savoyen (1636-1676), deren mit Blattgold und Grottenzierart geschmücktes Appartement wir vor einigen Wochen bereits unter die Lupe genommen haben.
Wohl aus ihren, teils schon 1674, und noch einmal 1826 stark reduzierten und veränderten Wohnräumen stammt ein insgesamt mehrere Meter langer gemalter Figurenfries, der in viele Teile zerlegt und auf die Depots verschiedener Schlösser verteilt, in den letzten Jahren von uns „zusammengesammelt“, geordnet und restauriert wurde.
Ursprünglich muss man sich die auf schmale Holz- und Leinwandbahnen fixierte Dekorationsmalerei als den umlaufenden oberen Abschluss einer Wandgestaltung vorstellen, der den Linien der anschließenden, sicher reich geschnitzten Decke eines herrschaftlichen Prunkraums folgte. Dargestellt ist eine lärmende Horde kleiner Putti, die beschäftigt sind Blumengirlanden zu winden, die heraldischen Tiere der Häuser Bayern und Savoyen (den Löwen und das Pferd) einzufangen bzw. in ihre jeweiligen Wappenfelder zu treiben und mit den goldenen Lettern der Namen Henriette Adelaides sowie ihres Gemahls Kurfürst Ferdinand Maria zu spielen.
Ähnliche Motive, namentlich das „Herbeitragen der Buchstaben“ kennen wir aus älteren Entwürfen italienischer Künstler für Schloss Fontainebleau bei Paris oder für den Bischofspalast in Trient und noch später aus den Fresken, mit denen Max Emanuel seinen prachtvollen „Viktoriensaal“ in Schloss Schleißheim ausmalen ließ.
Um „große Malerei“ handelt es sich bei unseren Residenzputten, die nur aus der Entfernung wirken konnten und sollten, zwar nicht. Aber die prallen kleinen Gestalten sind sicher und routiniert auf den dunklen Bildgrund gesetzt. Mit wenigen Farbstrichen hat ihr Schöpfer Girlanden-Blüten und pummelige Gliedmaßen umrissen und mit klug gesetzten Lichtern wirkungsvoll belebt. Als „Vater“ der turbulenten kleinen Truppe wird der bayerische Hofmaler Caspar Amort (1612-75) angenommen, der sie Mitte der 1660er Jahre, als Henriette Adelaides Appartement eingerichtet wurde, geschaffen haben könnte. Leider ist eine genaue Lokalisierung des ursprünglichen Bestimmungsorts nicht möglich: Erhaltene Teilkopien der spätestens ab 1826 deponierten Gemälde aus dem 19. Jahrhundert lassen vermuten, dass sie damals als Reste der von Leo von Klenze abgerissenen Galerie der Kurfürstin erachtet wurden, deren gerettete Deckenbilder man später im Bayerischen Nationalmuseum einbaute.
Vielleicht aber schmückte unser heute zerlegter Fries einst auch Henriette Adelaides Schlafgemach: Von dort vermeldet ein historisches Gemäldeinventar zumindest noch im Jahr 1777 außerhalb des tiefen Bett-Alkovens: „An denen Lambris siehet man sehr viele nackete kleine Liebes Engel, welche die in goldenen Buchstaben bestehende beyde Nämen Ferdinandus Maria, und Henrieta Adelheida zusammen fügen“.
Beide Fährten bieten Grund genug, in Ermangelung der originalen Lokalitäten die restaurierten Gemälde zumindest in möglichster Nähe der verlorenen Gemächer zu präsentieren. Seit einigen Tagen schmücken sie den kleinen Durchgangsraum, der zu den erhaltenen Resten von Henriette Adelaides Appartement führt (Raumnr. 65) Zudem erschließt die südliche Flügeltür dieser Passage einen weiteren, heute gleichfalls nur noch fragmentiert erhaltenen Raum des 17. Jahrhunderts:
Es handelt sich um den letzten Rest der vier, einst prachtvoll eingerichteten und weithin berühmten Gesellschaftszimmer, die Henriette Adelaides Sohn Max Emanuel kurz nach seinem Regierungsantritt 1680/85 durch den Hofbaumeister Enrico Zuccalli neben seinen Wohnräumen einrichten ließ. In die Flucht dieser sogennanten „Sommerzimmer“, die man auf der Fläche einer älteren Altane (einer Art Dachterrasse) erbaute, wurde auch ein bereits bestehender Raum einbezogen, der dabei seine auf die Altane ausgerichteten Fenster einbüßte und deshalb um ein Stockwerk erhöht wurde, um künftig von oben erleuchtet zu werden. Dieses „vierte Sommerzimmer“ bot solchermaßen hohe, geschlossene Wandflächen sowie eine großzügig dimensionierte Decke. Alles wurde mit reich ornamentierten Stuckrahmen gegliedert, in die Max Emanuels Hofmaler anschließend eine allegorische Verherrlichung der kurfürstlichen Gottesfurcht samt begleitenden Nebendarstellungen hineinfreskierten.
Diese zwischenzeitlich zwar schwer mitgenommene, aber auf alten Fotografien noch schemenhaft erkennbare Bildausstattung ging spätestens im Zweiten Weltkrieg endgültig verloren. Doch lässt der heute weiß getünchte Raum mit seinen üppigen Stuckaturen noch die frühere Pracht erahnen. Und so ist eine vor einiger Zeit gemachte Depotentdeckung eine wundervolle Gelegenheit, das ehemalige Sommerzimmer ab nächsten Frühjahr wieder mit Farben zum Leben zu erwecken! Gut versteckt und unerkannt stießen wir nämlich auf zwei hochrechteckige Holztafeln mit zunächst rätselhaften Darstellungen:
Die eine zeigt eine Keule, die an einem mit goldgesticktem Purpursamt bedeckten Tisch lehnt und auf dem eine Krone auf dem Präsentierkissen ruht. Darüber mühen sich Engelchen mit einer gewundenen Banderole ab, die verkündet: „Quia Monstra Subegit“. Das andere Gemälde zeigt eine halbnackte Schönheit in einem Wagen, der von zwei schmalbrüstigen und erkennbar überanstrengten Tauben durch die Wolken gezogen wird. Es handelt sich demnach wohl um die Liebesgöttin Venus, die in einer Art Taufe Wasser über das Haupt eines nackten Mannes gießt, der halb aus den Fluten eines Flusses auftaucht. Darüber tragen zwei geflügelte Putten eine Bilderkartusche, die einen immergrünen Baum mit der Aufschrift „Nullis Obnoxia Fatis“ zeigt.
Bei diesen bewusst verrätselten Motiven handelt es sich um sogennante „Embleme“, eine mehrdeutige Symbolsprache, die sich in Renaissance und Barock großer Beliebtheit erfreute und vor allem im höfischen Kontext, im Rahmen der Festkultur, des Herrscherlobs oder des galanten (Liebes)Kompliments zum Einsatz kam: Die zugegebene Inschrift, die „Devise“ diente als Interpretationshilfe, um die gemalten Geheimnisse aufzulösen und dabei aus der Kombination von Text und Bild einen neuen, spezifischen Inhalt zu generieren – oder einer sonst allzu plumpen Schmeichelei eine raffinierte Mehrdeutigkeit zu verleihen…. Vorausetzung zur Entschlüsselung war – außer Lateinkenntnissen – eine zumindest oberflächliche Vertrautheit mit dem gängigen allegorischen Motiverpertoire sowie dem Grundpersonal der christlichen wie antiken Mythologie. Solcherart ausgerüstet konnten (und können) die BesucherInnen von Max Emanuels Sommerzimmer zumindest mutmaßen, dass dort, wo eine Keule liegt, der griechische Muskelprotz und Tugendheros Herakles/Herkules nicht weit ist, der für seine menschenfreundlichen Gewalttaten die Vergöttlichung (= Krone) erfuhr, was die übersetzte Devise bestätigt: „Weil er die Untiere unterwarf“. Ähnliches geschah dem Helden Aeneas, dem Sohn der Venus, der nach einem ereignisreichen Leben scheinbar im Fluss Numicum ertrank, tatsächlich aber von seiner Mutter neu belebt auf den Olymp entrückt wurde: Die immergrüne, mithin unsterbliche Zypresse und die Umschrift: „Keinen Geschicken unterworfen“ verweisen auf diesen neuen, immerwährenden Status göttlicher Ruhe des Helden.
Hat man einmal die Bildinhalte entschlüsselt, ist eine Identifikation unserer Gemälde anhand von historischen Beschreibungen der barocken Residenz und der Inventare des 18. Jahrhunderts nicht mehr schwer: Herkuleskeule und Vergöttlichung des Aeneas sind zwei der ursprünglich drei allegorischen Assistenzbilder, die im vierten Sommmerzimmer den Lohn des gottesfürchtigen Fürsten illustrier(t)en. Dieser wurde ja in den (verlorenen) Fresken der Decke verherrlicht, welche die Höflinge Max Emanuels hoffentlich zum intellektuellen Nachsinnen und untertäniger Bewunderung animierten. Letzte Bestätigung bringt eine Hängeprobe, bei der sich unsere wiedergefundenen Tafeln nahtlos in die unter den Fenstern erhaltenen Stuckrahmen einpassen lassen.
Schade nur, dass sich das dritte Gemälde der Reihe, das in Johann Schmids „Triumphierenden Wundergebäu“, einem historischen Residenzführer von 1685 , beschrieben ist, nicht auffinden lässt: Es zeigte einen blühenen Lorbeer, den Baum des Ruhmes, zusammen mit dem mythologischen Zwillingspaar Romulus und Remus, den Gründern der Stadt Rom. Ihre epochale Leistung verherrlichte die Devise, welche in Übersetzung lautet: „Immer sollen deine Ehre und dein Name währen“. Damit schloss die Darstellung nahtlos an die Aussagen der beiden aufgefundenen Gemälde an. Anscheinend aber ist dieses Bild schon vor dem 20. Jahrhundert verschwunden. Intensive Suche fördert zwar eine etwa gleichgroße Tafel zutage, doch haben der malerische Stil und die Darstellung nichts mit der überlieferten Emblematik zu tun. Oder doch…? Zumindest scheint auch hier eine Fahrt zum Olymp dargestellt:
Ein antiker Kriegsheld schwebt auf Wolken dem Göttervater Jupiter entgegen. Eine an der Fußleiste verlaufende lateinische Inschrift entschlüsselt den Inhalt: Auf Vermittlung des Kriegsgottes Mars wird dessem Sohn Romulus von Jupiter die Vergöttlichung gewährt (und das, obwohl Romulus seinen Zwilling Remus seinerzeit beim Bau der römischen Stadtmauer im Streit erschlagen hatte…). Wir sind dicht dran, das spüren wir – aber den missing link und die Auflösung liefert dann erst die mühsame Entzifferung unseres handschriftlichen Gemäldeinventars von 1777: Dort ist für das Vierte Sommerzimmer unter der Nummer 908 und nach der Beschreibung des Keulen- (No 906), wie des Aeneas-Bildes (No 907) vermerkt: „Josephus Stephan, a[nno] 1765: die vergötterung des Romuli mit der Beyschrift: Romulus Martis intercessione Deitate a Jove donatur“.
Spätestens in den 1760er Jahren muss es demnach unter der Regierung von Max Emanuels Enkel, Kurfürst Max III. Joseph (reg. 1745-1777) zu einer Restaurierung des barocken Sommerzimmers gekommen sein, das damals nur noch als singulärer Rest der bereits um 1726 überbauten barocken Raumflucht bestand. Allerdings liebte das mittlerweile angebrochene Zeitalter der Aufklärung die kapriziöse Vieldeutigkeit der älteren Emblematik nicht mehr besonders. Wohl deshalb hat der damals in der Residenz wohlbeschäftigte Joseph Stephan die Gelegenheit ergriffen, statt einer Kopie eine thematische Variation des ursprünglichen Bildmotivs anzufertigen, die zwar auf den älteren Beschreibungen fußte, aber auf Lorbeerbaum, Banderole (und Remus) verzichtete.
Wenn auch mit Bildern aus verschiedenen Epochen, so können wir nun also doch noch alle drei leeren Rahmen mit den ursprünglich für sie bestimmten Malereien bestücken und zugleich zumindest an einer Wand die wechselvolle Geschichte des verbliebenen Sommerzimmers in Gemälden wiedererstehen lassen! Kein Wunder, dass Henriette Adelaides Putten so beschwingt über unsere Residenzwände tanzen….