Hinter den Kulissen

Der Muschelkahn in der Venusgrotte Linderhof

Muschelkahn Linderhof Venusgrotte

1877 bekam Franz von Seitz von König Ludwig II. den Auftrag für den Entwurf eines „aus Eichen- und Lindenholz gebaute[n] Schiff[s], dasselbe muschelartig geschnitzt, durchaus mit Kupfer beschlagen, mit weißem Golde vergoldet und farbig lasirt, dazu ein geschnitzer lebensgroßer Amor und ein Delphin in Zink gegossen, in Naturfarben gemalt, 2 geschnitzte Tauben, reich geschnitzter Überzug, 4 reich geschnitzte vergoldete Ruder, von den feinsten Blumen gefertigte Guirlanden und einem Velour-Teppich für Verfuhr“. Die Münchner Firma Radspieler erhielt den Auftrag, den Kahn samt Begleittieren zu fertigen; die textilen Elemente stammten aus dem Hause Vogel&Alckens.

Entwurf Muschelkahn Seitz

links: Entwurf des ersten muschelartigen Schiffs von Franz von Seitz 1876; rechts: 1877 Muschelkahn im Hinterhof des Hofkupferschmieds Radspieler. Foto: BSV/Fotoarchiv

Bereits nach wenigen Monaten im feuchten Klima der Grotte mussten erste Ausbesserungsarbeiten am damals noch schwimmfähigen Kahn ausgeführt werden. Rechnungen des Münchner Zimmermeisters Anton Ehrengut weisen im November 1877 das Verbringen des Schiffes an Land zum Zwecke von Ausbesserungen nach, auch Fa. Radspieler stellte in dieser Zeit verschiedene Ausbesserungen am Schiff in Rechnung. Die Girlanden konnten den klimatischen Bedingungen ebenfalls nicht standhalten. Erste Hinweise finden sich 1879, wonach große Teile der Blumengirlanden neu hergestellt wurden.

Bis zum Jahre 1886 lassen sich jährlich wiederkehrende Reparaturen an Holz und Fassung des Schiffes nachweisen bis der Kahn dann 1908 in einem Bauantrag für 1909 aufgegeben wurde: „Endlich ist das Muschelschiff im See im Laufe der Jahre so defekt geworden, dass es mit keinem Mittel mehr zusammenzuhalten ist. Eine gründliche Erneuerung unter Benützung der noch brauchbaren figuralen Teile ist nicht zu umgehen.”

In den Jahren 1909/10 entstand als Ersatz für den originalen muschelförmigen Kahn nun ein „Neues Schiff von Hofkupferschmied Ragaller nach altem Holzmodell in Zink hiezu ein Eichenrost. Nachmodellieren der Tauben, Amor, Delphine, Butten (!) u. Köcher, 1 neue Hand, Pfeilbögen u. Köcher in Kupfer gebrieben, (…) Fassung des Schiffes durch Maler Ludwig Kufner“.

Der erste Kahn sollte schwimmen können – es gibt u. a. Stiche, die König Ludwig II. in seinem Muschelschiff zeigen. Archivalien belegen, dass Ludwig II. für seine Bootsfahrten in der Venusgrotte Schwäne aus dem Park holen und sich bei theatralischer Beleuchtung über den See rudern ließ.

Ludwig II.v.Bayern/Venusgrotte/1886 - Ludwig II of Bavaria /Venusgrotto/ 1886 - Louis II de Bavière/Grotte de Vénus/1886

„Kahnfahrt Ludwig II. in der Venusgrotte von Schloss Linderhof.“ Kolorierter Holzstich nach einer Zeichnung von Robert Assmus, 1886

Der „neue“ Muschelkahn wurde erst nach dem Tod von König Ludwig II. erbaut, musste niemals schwimmen können und wurde rein zu Präsentationszwecken im See fest installiert.

Muschelkahn vor der Restaurierung 2017

Zustand vor Demontage und Restaurierung. Foto: BSV, um 2016

Der uns bekannte Muschelkahn bestand aus eben genannter Basis: Auf eine Eichenbodenkonstruktion wurde eine Konstruktion nach Art eines Holzfasses aufgebracht, um welches sich beidseitig ein muschelförmiges Zinkblech, ähnlich wie ein Wellblech, windet und so dem Kahn seine namensgebende Form gab. Die originalen Begleittiere sowie Teile des Amors, Ruder und Dollen konnten nach Überarbeitung wiederverwendet werden. Zu den beiden Sitzen aus dem Kahn dieser Zeit findet sich leider keine Überlieferung.

Die Unterkonstruktion des Kahns aus Zinkblech wurde zusammen mit einer am Seeboden befestigten Ständerkonstruktion geplant und umgesetzt. Natürlich hatte die Feuchtigkeit innerhalb der Venusgrotte auch bei diesem Modell Auswirkungen; 1931 musste eine der Tauben nachgeschnitzt werden. In den 1960er Jahren fand eine weitere Überarbeitung statt, zu der sich leider nur eine Randnotiz finden lässt. Durch die im Zuge der Restaurierung durchgeführten Untersuchungen muss davon ausgegangen werden, dass eine Taube durch ein Modell aus Zinkblech ausgetauscht wurde, da heute eine hölzerne und eine blecherne Taube den Kahn dekorieren.

Die Girlanden haben die Zeit nicht überdauert und sind im vergangenen Jahrhundert zu verschiedenen Zeiten durch künstliche Blumengirlanden ausgetauscht und ergänzt worden.

Der Zustand des Muschelkahns war nun dringend restaurierungsbedürftig. Die komplette Holzkonstruktion sowie der hölzerne Boden waren durch einen Pilzbefall so stark zerstört, dass große Teile nicht mehr zu halten waren. Einzig der Holzboden konnte durch eine thermische Behandlung und anschließende Volltränkung bewahrt werden. Die hölzernen Begleitobjekte wie Ruder, Amor und Taube konnten sich vermutlich nur aufgrund der mehrschichtigen Fassung so gut erhalten.

Muschelkahn vor Restaurierung

links: Zustand des hölzernen Kahnbodens nach der Bergung aus der Venusgrotte; die seitliche Fasskonstruktion aus Holz fiel ebenso wie Teile des Bodens einem Pilzbefall zum Opfer und konnten nur noch fragmentarisch geborgen werden. Foto: BSV/Holland 2018; rechts: Kahnboden nach der Restaurierung. Durch eine thermische Behandlung des Eichenholzes mit anschließender Volltränkung konnte der überkommene Boden gehalten werden. Foto: BSV/Holland 2024

Putto vor und nach Restaurierung Muschelkahn

links: Zustand des Putto vor Demontage und Bearbeitung: starke Verschmutzungen, Fehlstellen, Fassungsverluste machten eine würdige Ausstellung nicht mehr möglich. Foto: BSV/Teich 2017; rechts: Putto nach Ergänzung der fehlenden Zehen, Reinigung und Retusche. Foto: BSV/Holland 2025

Sämtliche Zinkblechelemente wiesen starke Deformationen, Risse, Fassungsabplatzungen sowie Korrosion auf. Die Zinkblechwanne konnte nur durch eine Materialaufdoppelung erhalten und stabilisiert werden. Durch die zerstörte hölzerne Stützkonstruktion kam es zu einer Instabilität der Zinkblechwand, die weitere Risse und Verformungen begünstigt hat.

Zunächst musste der Kahn aus der Grotte geborgen werden. Da die Grottenarchitektur in Teilen sehr enge Passagen hat, mussten Kahnboden und Kahnwand für den Transport vor Ort getrennt werden. Dabei wurde zu jeder Zeit die Kahnwand mit Holzversteifungen stabilisiert, um weitere Rissbildung zu verhindern.

An den Zinkgussteilen, wie Dollen, Korallen und Begleitfischen (Delphine), hatten in den vergangenen Jahren Risse im Material zu Abtrennungen einzelner Bauteile voneinander geführt.

Dolle 2023 Muschelkahn Venusgrotte

Zustand einer Dolle nach Trockenreinigung vor der Restaurierung. Foto: BSV/Haber&Brandner 2023

Schwerpunkt der Restaurierung war der möglichst umfangreiche Erhalt der überkommenen Elemente in Zusammenhang mit einer Modifizierung irreparabler Zierteile sowie Rekonstruktionen der Sitzelemente unter Berücksichtigung des geplanten Zustandes der Bauzeit unter Ludwig II.

Zunächst war eine aufwendige neue Stützkonstruktion im Inneren der Kahnwand geplant; durch die Ertüchtigung der Wellblechform nach dem Verlöten der Risse und Löcher stellte sich erfreulicherweise heraus, dass die dadurch gewonnene Steifigkeit ausreichend Stabilität bot und auf die Innenkonstruktion verzichtet werden konnte.

Weiterer wichtiger Bestandteil der Restaurierung war die Verbesserung der Aufnahme der Delphine. Zuletzt waren die Zinkgussfische brutal auf die Ständerkonstruktion im See gesteckt worden, wobei im Guss an den Bäuchen starke Ausbrüche entstanden waren. Hierfür galt es eine saubere Lösung zu finden, durch die eine Positionierung der Fische wie auf den ersten Aufnahmen des Kahns ermöglicht werden sollte. Dafür wurden über Kugelgelenke neue Verbindungen geschaffen, die eine genaue Einstellung der jeweils befundeten Position erlaubte. Zahlreiche historische Zeichnungen und Bilder waren dabei sehr hilfreich. So konnte auch die ursprüngliche Ausrichtung der beiden Tauben zueinander korrigiert werden.

Muschelkahn Tauben

links: Tauben vor der Bergung des Muschelkahns aus dem Grottensee: die Positionen der Tauben hat sich im Laufe der Jahre verändert. Der Zustand der beiden Figuren war bis auf den Grad der Verschmutzung gut. Foto: BSV/Teich 2017; rechts: Korrektur der Positionierung der beiden Tauben nach historischen Bildern. Nach Reinigung und Retusche lassen sich die realistisch gestalteten Figuren wieder stolz den Besuchern präsentieren. Foto: BSV/Holland 2025

Muschelkahnrückwand Venusgrotte Restaurierung

links: Zustand der Kahnwand mit vielen Rissen sowie Fassungsverluste in der Zinkwandmuschelkonstruktion. Foto: BSV/Holland 2018; rechts: Muschelkahnrückwand innenseitig nach Restaurierung, Reinigung und Retusche. Foto: BSV/Holland 2024

Muschelkahn Zinnblechkonstruktion

links: Deformationen und Risse durch die verlustige hölzerne Innenkonstruktion am dünnen Zinkblech. Foto: BSV/Holland 2018; Mitte: Rückgeformte und verlötete Zinkblechkonstruktion. Foto: BSV/Haber&Brandner 2023; rechts: Lötungen und Rückformungen an der Kahnwand vor Retusche. Foto: BSV/Haber&Brandner 2023

Sämtliche Oberflächen wurden gereinigt, retuschiert und mit einem transparenten Schutzlack überzogen, um Fassung und Materialien vor der unvermeidbaren Feuchtigkeit zu bewahren. Deformationen wurden zurückgenommen, Löcher und Risse verlötet – Dollen und Fische dadurch wieder vervollständigt. Um den Muschelkahn vor von unten eindringendem Wasser zu schützen, wurde der Kahn auf eine neue, dezentere Stützkonstruktion in den See gestellt und mit einer Blechschürze nach unten kielförmig verkleidet. Die Montage der beiden im Vorfeld getrennten Bauteile, Kahnwand und -boden, konnte erst in der Venusgrotte durchgeführt werden und erforderte einiges Fingerspitzengefühl. Die nach unten konisch zulaufende Wandung musste über die steife Bodenwanne gesteckt werden. Eine Montageöffnung der Rückwand erlaubte eine gewisse Flexibilität ohne den Bestand zu zerstören.

Muschelkahn Fisch Venusgrotte

links: Gereinigte und verlötete Delphine nach Einsatz der neuen innenliegenden Adapter für das Aufstecken neben dem Kahn. Zustand hier noch vor der Retusche. Foto: BSV/Holland 2023; rechts: Präsentation der uferseitigen Dolle nach Rückformung, Lötung und Retusche. Foto: BSV/Holland 2025

Amor, Tauben und Ruder wurden ebenfalls gereinigt, Risse verkittet, Fehlteile ergänzt und nach einer Retusche montiert. Der vollständig verlustige Boden aus Eichendielen wurde ersetzt und vervollständigt den Kahn technisch.

Da wir aufgrund historischer Aufnahmen Kenntnis über die beiden Sitzmöbel im Kahn hatten, uns außerdem Materiallieferungen aus den Archivalien bekannt waren und uns die originalen Sitzpolster von Muschel- und Kristallthron vorlagen, begannen wir in den eigenen Werkstätten mit der Rekonstruktion. Auf den Bildern ließen sich sehr gut Ausmaße, Form und auch Gestaltung der Sitze erkennen. Der klimatischen Situation geschuldet mussten wir für die durch Archivalien inspirierte Annäherung der Rekonstruktion auf moderne Materialien zurückgreifen, die mittels Fotodruck die Optik einer Moiré-Seide imitieren sollen.

Venusgrotte historische Aufnahmen

Historische Aufnahme des Kahns um 1900. Foto: BSV/Fotoarchiv

Sitzhocker Venusgrotte Muschelkahn

Sitzhocker für den Ruderer und das Kissen für Ludwig II. annäherungsweise rekonstruiert nach historischem Bildmaterial, Entwurfszeichnungen von F. Seitz sowie originalen Kissen der beiden Throne aus der Venusgrotte. Die Kissen des Muschelkahns sind leider nicht überkommen. Foto: BSV/Holland 2025

Bauzeitliche Einkaufslisten und historische Aufnahmen erleichterten uns auch die Vervollständigung des Muschelkahns mit Blumengirlanden. Auch hier mussten wir aus den bekannten Gründen auf Kunststoffe zurückgreifen, die zusätzlich noch mit einem Brandschutzmittel behandelt wurden.

Die neue Darstellung des muschelförmigen Schiffes im Sinne Ludwig II. erzielt für den Besucher den Eindruck, der König könne jeden Moment um die Kurve kommen und seinen Kahn für eine kleine Ausfahrt besteigen.

Muschelkahn 2025

Aktuelle Inszenierung des Muschelkahns an der sogenannten Einstiegsstelle nahe des Hauptbeleuchterfelsens. Foto: BSV/Holland 2025


Titelbild: Der Muschelkahn 2025. Foto: BSV/Freudling, Scherf