Hinter den Kulissen

“Exotisch, lieblich und paradiesisch“: Blüten in der Venusgrotte Linderhof

Blütengirlanden Venusgrotte Linderhof

„Wie unentbehrlich künstliche Blumen sind, bedarf wohl kaum einer Erwähnung, denn kurz ist die Zeit der Kinder Flora’s und man würde oft bei ihrem Verschwinden untröstlich seyn, wäre es nicht schon lange dem Fleiße gelungen, durch künstliche Nachahmung und Farbenpracht sich einigen Ersatz zu verschaffen; und wirklich hat es das rastlose Bestreben des immer sinnenden Geistes, die fleißige geschickte Hand hierin bereits zum Erstaunlichen gebracht.“

Büchlein Schlehuber Restaurierung Venusgrotte

aus: „Künstliche Blumen-Schöpfung nach dem Reiche der Natur und Phantasie“ von Anna Schlehuber, Kaufbeuren 1856

Ausgewanderte Hugenotten brachten etwa um 1780 die Blumenmacherkunst von Frankreich nach Berlin und gründeten dort eine Blumenmanufaktur. Die Mode verlangte für Kleidung und Hüte immer mehr künstliche Blumen und Blätter und das Geschäft florierte. Der Erfolg führte zur Gründung von Blumenmanufakturen auch in anderen deutschen Staaten. Kinder sortierten die winzigen Blüten und montierten sie. Frauen verarbeiteten und arrangierten größere Blüten und Blumen aus verschiedenen Stoffarten, Papier und gefärbten Hobelspänen als Zierrat für Kleidung, zu Sträußen, Girlanden und Gestecken. Männer schlugen mit Stanzeisen Blüten und Blätter aus, färbten und appretierten die Stoffe, umwickelten für Blumenstiele Drähte mit Papier.

Die Bemühung, die Natur in die Häuser und Wohnungen zu holen, stiegt in 19. Jahrhundert stetig an. Im Sommer holte man sich die opulenten Sträuße und Gestecke aus Schnittblumen (bis dahin ein Zeichen der Vergänglichkeit) in die Privaträume, auf die man aber im Winter nicht mehr verzichten wollte. Vor allem repräsentative Räumlichkeiten z.B. in Schlössern, Villen und Hotelempfangshallen spielten nun mit der optischen Leichtigkeit und Frische der farbenprächtigen künstlichen Blüten und Blätter.

Künstliche Grotten in Wohnbereichen und Wintergärten als eine architektonische Besonderheit tauchten Mitte des 19. Jahrhunderts auf. „Exotisch, lieblich und paradiesisch“ sollten diese Räume die Möglichkeit für Abgeschiedenheit und Rückzug ermöglichen. Ausgestattet mit künstlichen Felswänden aus Tuffsteinen, imitierten Tropfsteinen und oft eingefügten Wasserbecken wurden diese Räume durch künstliche exotische Gewächse in beeindruckende Phantasiewelten verwandelt.

Historische florale Ausstattung der Grotte

In den Archivalien zum Schloss Linderhof finden sich zahlreiche Hinweise zur floralen Ausstattung der Venusgrotte mit künstlichen Blumen:

  • „Rosen-und Schlingpflanzengirlanden“ in Stuck und Stoff, „Rosenbüsche“
  • Getrocknetes „Astwerk“ für Geländer
  • Lotusblumen: „Wasserdichte Wasserblumen zur Beleuchtung in weiß, blau und rot, Samt- Wasserblumen in weiß und blau“
  • „Große Nymphaea-Wasserblätter aus Kautschuk auf Korkholz“
  • „Aloen aufgerichtet mit Cautschuklack“ bezogen
  • „Kaschierte Dattelpalme mit zwei kleineren Palmen“
  • „Schilf“ aus Draht und Papier“

1877/78 wurden die ersten Pflanzen in die Grotte eingebracht: Rosengirlanden und Rosensträucher, Palmen, Schilfgräser und Aloen (Agaven) an Land und Nymphaen (Lotusblüten und Blätter) zum Beleuchten und Samtblumen im Grottensee.

Die klimatischen Bedingungen in der künstlichen Grotte standen einer echten Grotte in nichts nach: die künstlichen Pflanzen aus Papier, Stoff, Leder, Eisendrähten und Hölzern nahmen in kürzester Zeit Schaden und wurden laut den Einträgen aus den Archivalien regelmäßig erneuert. Besonders viele Rechnungen stammen von dem Blumenfabrikanten Josef M. Witt aus München.

WAF_Winkler_Breling-Aquarell 4

„Grotte des Höselberges“, Aquarell H. Breling, 1881. Foto: WAF, Winkler

In farbenprächtigen Aquarellen um 1880 stellte Heinrich Breling die Rosengirlanden, Agaven mit Blütenständen und Lotusblüten im See dar.

Agavenblüten Venusgrotte

Hist. Foto Grotte, 1880/1900, Bildarchiv, Bay. Staatsbibliothek

Auf historischen Fotografien sind beschädigte Agavenstände und zerknitterten Lotusblüten zu erkennen.

Im Zuge der Restaurierung der Venusgrotte sollte auch die florale Ausgestaltung im ursprünglichen Zustand rekonstruiert werden.

Beleuchtete Lotusblüten und Blätter im See

Die auf den historischen Fotos erkennbaren Blüten im Grottensee werden in den Archivalien vom 8.11.1877 folgendermaßen beschrieben: „30 große Nymphaen zum Beleuchten, 15 aus Samt, 86 Nymphaenblätter aus Kautschuk, 60 Wachsstutzen zum Beleuchten, 10 eiserne bleigegossene Blumenständer mit Stangen und 30 Eisenstangen mit Kloben für Beleuchtungsblumen.“

Von diesen Blüten konnten keine originalen Bestandteile mehr gefunden werden. Die klimatischen Bedingungen in der Grotte, vor allem so dicht über dem Seespiegel, führten zu einem sicheren Abbau der Materialien. Auf den Fotos sind die Lotusblüten als unansehnliche verknitterte Blütenkugeln erkennbar. Auch die Farbigkeit der Blüten, in den Unterlagen von 1880 erwähnt als „30 neue große wasserdichte Wasserblumen zum Beleuchten in weiß, blau und rot…“ konnte bei den schwarz/weiß Aufnahmen nicht mehr zugewiesen werden. Auf der Basis der historischen Fotos entschied man sich für 14 weiße beleuchtete Lotusblüten an 4 Standorten im See. Mit der wechselnden blauen und roten Raumbeleuchtung würde das der ursprünglichen Farbgebung am nächsten kommen. Die Blütengröße wurde mit den Engelsköpfchen auf dem Monumentalgemälde im Hintergrund verglichen und mit ca. 25 – 30 cm Durchmesser festgelegt.

Von Anfang an war klar, dass die Blüten und Blätter aus einem wasserbeständigem Material sein mussten, um dem feuchten Klima in der Grotte Stand zu halten. Die Suche nach Lotusblüten im Floristikfachhandel für künstliche Blumen waren nicht befriedigend. So „kugelige“ Formen in dieser Größe wurden nirgends angeboten und mussten deshalb selbst rekonstruiert und nachgebaut werden. Das Material für die weißen Blütenblätter sollte dünn, aber stabil, verformbar und für Licht durchscheinend sein. Nach Recherchen (u.a. bei YouTube unter DIY-Videos von russischen Blumenherstellerinnen) und zahlreichen Versuchen stellte sich Isolon© (geschäumtes PE), das ursprünglich als Wärmeisolationsmaterial entwickelt wurde, am geeignetsten heraus. Für die grünen Blätter konnten im Internet fertige, bedruckte in unterschiedlichen Grüßen bis 40 cm Durchmesser gefunden werden. Die Blüten mussten wie eine Art Lampenschirm gebaut werden, um sie später auf die LED-Lichthalterungen zu montieren. Ein umgedrehtes transparentes PET-Schraubglas diente als Untergrund für die 30 thermoverformten Einzelblätter (über Heißluftföhn), die in 5 Ringen mit Heißkleber aufgebracht wurden. Grüne, zugeschnittene Kelchblätter und –ringe bildeten den Abschluss.

Blüten Herstellung Venusgrotte

Herstellung der weißen Lotusblüten. Foto: BSV/ Braun

Herstellung Blütenblätter Girlanden Venusgrotte Linderhof

Zuschnitt Blütenblätter + PET-Glas; Formen am Heißluftföhn; Runden über Tellerrand. Foto: BSV/ Mayr

Blüten Beleuchtungstest Venusgrotte

3. Ring geklebte Blätter; Beleuchtungsprobe

Venusgrotte Blütengirlanden - Kelchblätter

Zuschnitt Kelchblätter; montierte Kelchblätter. Foto: BSV/Mayr

An den vier Standorten im See wurden am Grund Stromverteilerkästen angebracht, die mit farbig angepassten Edelstahlrohren (Stängel) und LED-Lichthalterungen (dimmbar) nun die fertigen Lotusblüten tragen. Die größeren grünen Blätter erhielten zum Schwimmen anstatt Kork eine Untersatzscheibe aus 1 cm dickem Plastazote©. Um ein Abtreiben der Blätter zu verhindern, wurden diese mit Angelschnüren versehen und in unterschiedlichem Abstand an den Blütenstängeln befestigt. Die Blättergruppen im See sind an Taucherbleigewichten fixiert.

Kleines Blatt Unterseite Venusgrotte Girlanden

Verwendete Blattgrößen; Blattunterseite mit „Schwimmer“ aus Plastazote©. Foto: BSV/ Mayr

Linderhof Grotte

Beleuchtete Lotusblüten in der Venusgrotte. Foto: BSV/ Freudling, Scherf

Nun können sich die Besucher wieder an dem Zauber der mit Licht erblühenden Lotusblüten in der rot oder blau beleuchteten Venusgrotte erfreuen.

Agaven mit Blütenstand

Pflanzenkundigen Betrachtern wird schnell auffallen, dass die künstlichen Agavenstände aus der Grotte Linderhof nicht dem realistischen Aussehen von Agavenpflanzen nachempfunden sind. Die als Vorbild dienende „Agave americana“ bildet einen bis zu 9 Meter hohen Blütenstand, an dessen Zweigenden sich hunderte kleiner gelber Blüten befinden. Warum die originalen Blüten an den vorgefundenen Blütenständen eher großen rosa Lilienblüten gleichen, wird sich wohl nicht klären lassen. Schon auf dem Aquarell von Breling sind sie so dargestellt. Vielleicht waren sie „einfach nur schön und groß genug“.

großer und kleiner Agavenstand Venusgrotte Linderhof

Großer und kleiner Agavenblütenstand. Foto: Achim Bunz, 2010

In einem Auszug der Archivalien von 1970 steht: Auch die für das Gesamtbild der Grotte äußerst wichtige kleine Agave (grüngefaßtes Leder) sollte geputzt, ausgebessert, an ihrem jetzigen Standortfest verankert und dann durch die neuen absperrseile nach Möglichkeit etwas aus der Reichweite der Besucher gebracht werden.“ (BSV, Rep. Reg. Fach 108 Nr. 1)

Die Agavenblätter aus Leder, die in einen Holzpflanztrog montiert waren, sind im Laufe der Zeit verloren gegangen. Von ursprünglich mindestens sieben Stück sind zwei Blütenstände verblieben: ein kleiner mit 2,10 m und ein großer mit 4,80 m Höhe. Gefertigt ist der Stamm aus einer Eisenstange mit angeschweißten Zweigen, z.T. mit Holzstäben verbreitert, umwickelt mit dicker Hanfschnur, Gipsbinden und Kunststoffbändern; farbig gefasst und mehrfach überstrichen. Die großen Einzelblätter und die Bestandteile der Blüten bestehen aus festem Vliespapier, das mit Eisendrahtrippen und Drahtklammern in Form gebracht wurde. In die kleinen Blütenblätter sind zudem noch Blattadern geprägt. Die fünf Staubgefäße pro Blüte bestehen aus papierumwickelten Draht. Die Farbfassung der Blüten und Blätter ist aufgesprüht: Hellgrün, Rosa und innen ein wenig Gold. Die korrodierten Eisenbestandteile haben zum Verlust von Blättern und zum Teil extremen Rostflecken auf den Papierteilen geführt. Die verbliebenen Blüten sind deformiert und instabil. Die Umwicklung der Stämme ist teilweise abgefallen, gelockert und die Holzstäbe vermodert. Die Zweige wurden, durch Stürze und unsachliche Lagerung stark verbogen.

Originale Agavenblüten Venusgrotte

Originale Agavenblüten am Zweig. Foto: BSV/ Mayr

Wie schon bei den Lotusblüten mussten für die Rekonstruktion feuchtigkeitsbeständige Materialien verwendet werden. Die in Länge und Verzweigung genau nachgeformten Stämme und Zweige bestehen nun aus Edelstahl ( die große Agavenstange ist für Transporte zerlegbar), die Verdickung aus Plastazote©-Streifen (XLPE) und die Umwicklung aus elastischem, in Streifen geschnittenem PP/PE-Vlies, mit Weißleim abgedichtet und mit Acrylfarbe dunkelgrün gefasst. Die lanzettförmigen großen Einzelblätter (hellgrün), großen Blütenblätter (beige) und kleinen Kelchblätter (hellgrün) bestehen aus Foamiran© (EVA Schaumstoff) und Moosgummi (EPDM). Für jedes Staubgefäß (5 Stück pro Blüte) wurde ummantelter Stahldraht an einem Ende mit Watte verdickt und mit Acrylfarbe rosa gestrichen. Über einem Heißluftföhn geformt und mit Heißkleber zusammengesetzt, entstanden die bis zu 20 cm großen fünfblättrigen tulpenförmigen Blüten. Die Farben Rosa und Hellgrün wurden in Acryl aufgesprüht.

Zuschnitte Blütenblätter Venusgrotte Linderhof

Geformte Blütenblätter; zusammengesetzte Blütenformen und Musterblüte. Foto: BSV/ Mayr

Blumen spray

Einfärben der 40 Blüten mit Acrylspray; montierte fertige Blüten. Foto: BSV/ Mayr

Aloe Blätter Venusgrotte

Künstliche Aloe-Blätter (je 75 und 120 cm lang); Edelstahlstifte. Foto: BSV/ Mayr

Auch die künstlichen, sehr stacheligen Aloe-Blätter mussten einzeln mit viel Kraft über einem Heißluftföhn individuell gebogen und mit einem breiten Edelstahlstift (zur Verankerung im Splitt) am Fuß ausgestattet werden. Zwei neue Pflanztröge aus Eichenholz wurden dunkel gefasst, die rekonstruierten Agavenstände eingesetzt, mit Splitt Steinchen aufgefüllt und mit den großen Aloe-Blättern ausgestattet.

Standort Agaven Venusgrotte Linderhof

Links: Kleine Agave, rechts Große Agave in der Venusgrotte. Foto: BSV/ Mayr, Freudling, Scherf

Beim Aufstellen der rekonstruierten „Kübelpflanzen“ richtete man sich soweit es möglich war nach den historischen Vorlagen und der aktuellen Wegführung, um den Besuchern einen optimalen Eindruck zu geben.