Das Neue Schloss Bayreuth bewahrt einen wertvollen Bestand besonderer Bildhauermöbel. So manches dieser Möbel hat seit seiner Fertigung eine bewegte Geschichte erlebt. Besitzerwechsel des Schlosses ließen auch das Mobiliar wandern, das selbst vor Kriegsschäden nicht gefeit war. Ein Beispiel eines solchen Möbelstücks aus der Zeit um 1750 und dessen Weg von der Ruine zum Prachtstück stellen wir heute vor.
Die Reise des „Reihertisches“
Im Rahmen einer Neueinrichtung des Spalierzimmers im Appartement des Markgrafen erwachte der Tisch aus seinem Dornröschenschlaf. Ein frühes Inventar verzeichnet einen mittig im Raum aufgestellten geschnitzten Tisch, der also allansichtig gestaltet gewesen sein muss. Derartige Schnitzmöbel sind nicht häufig zu finden. Die Schlösserverwaltung entschied sich, einen stark beschädigten Tisch aus dem Depot, der zur archivalischen Beschreibung passte, für das Spalierzimmer zu restaurieren.
Bis ins Depot hatte der Tisch bereits eine weite Reise getätigt, wie die Recherchen im Zuge der Restaurierung ergaben. Bevor er in den 1990er-Jahren ins Depot gelangte, war der Tisch in der Eremitage Bayreuth ausgestellt. Zuvor dürfte der Tisch mindestens bis in die 1920er Jahre in der Residenz München ausgestellt gewesen sein. Seine starken Beschädigungen dürfte er durch die Wirren des 2. Weltkriegs erlitten haben. Ursprünglich ist der Tisch jedoch ein Franke, wenngleich er wohl für die Residenz Eichstätt und nicht für das Neue Schloss Bayreuth geschaffen wurde.
Von der Ruine zum Prachtstück
Als Ruine kam der Tisch nun ins Restaurierungszentrum der Bayerischen Schlösserverwaltung: Viele geschnitzte Elemente an den Zargen waren abgebrochen, die polychrome (mehrfarbige) Fassung samt Vergoldung stark beschädigt. Unser Möbelrestaurator Bernhard Mintrop erarbeitete das Restaurierungskonzept, auf dessen Grundlage das externe Restaurierungs-Atelier von Korff die originalen gefassten Bereiche reinigte und festigte. Dort, wo die Fassung Lücken aufwies, wurde sie behutsam geschlossen. Dies geschah mithilfe einer feinen Strichretusche, dem sogenannten Tratteggio, so dass die restauratorische Ergänzung auf den zweiten Blick ablesbar bleibt.
Unser Bildhauer Martin Kutzer schuf am Beispiel der original erhaltenen Elemente Holzergänzungen, die sorgfältig an die Bruchstellen angefügt wurden.
Die Holzergänzungen wurden auf der Vorderseite vergoldet, die Blüten und Blätter schimmernd farbig gefasst. Die Rückseiten des Schnitzwerks aus Lindenholz blieben dabei ungefasst, um dem Betrachter eine Unterscheidung zwischen Rekonstruktion und Original zweifelsfrei zu ermöglichen.
Wie Phönix aus der Asche
Aller vorherigen Recherchen zum Trotz: Erst im Laufe der Ergänzungsarbeiten machte unser Möbelrestaurator Bernhard Mintrop unvorhergesehen eine spannende Entdeckung: Im einem Buch zur „Bergischen[n] Heimatkunst“ [Bernhard Müller, „Bergische Heimatkunst. Haus, Möbel und Grabsteine des Bergischen Landes in ihrer Stilentwicklung“, Elberfeld 1929] war unser Tisch als Beispiel eines Rokokomöbels abgebildet. Die Abbildung zeigte nicht nur die vollständige Situation der geschnitzten Zargen – was nun eine detailgenaue Rekonstruktion ermöglichte – sondern auch, zu unserer aller Überraschung, einen vollplastisch ausgebildeten Reiher-Vogel, der in der Mitte des Kreuzsteges in der klaffenden Fehlstelle seinen Platz hatte. Davon gab es bis dahin keinerlei Kenntnis oder Hinweis. Laut Bildunterschrift sollte der Tisch zur Erscheinungszeit des Buches 1929 in der Münchner Residenz aufgestellt gewesen sein. Martin Kutzer verfolgte diese Spur weiter und fand im Fotoarchiv mehrere aussagekräftige historische Fotografien aus den Trierzimmern der Münchner Residenz.
Auf Basis dieser Vorkriegsaufnahmen entwickelte unser Bildhauer Kutzer ein dreidimensionales Modell des Reihers im Maßstab 1:1. Anschließend schnitzte er den Reiher nach.
Die ebenso aufwändige Fassung des Reihers in seinem Nest aus Blättern und Früchten wurde in unserer Werkstatt für Vergoldung und Fassmalerei von Sabine Palffy ausgeführt. Die Fassung des Reihers orientierte sich am vorhandenen originalen Bestand und wurde in Technik der Polimentvergoldung und farbigem Lüster ausgeführt. Bei der Polimentvergoldung wird eine Grundierung aus Kreide und Leim in mehreren Schichten aufgetragen, dann geschliffen und nachgeschnitten, mit feiner Tonerde (Poliment) belegt und wechselweise glänzend sowie matt vergoldet. Die Lüsterfassung, ein durchscheinender, farbiger Lack, liegt auf Früchten und Schnabel.
Der krönende Abschluss
Zu guter Letzt konnte die seit Jahren verloren geglaubte fein profilierte und passig geschweifte Marmorplatte wieder aufgefunden werden. Die Ergänzung des charakterstarken, grimmig dreischauenden Vogels ist der krönende Abschluss einer aufwändigen und kunstvollen Konservierungs-, -Restaurierungs- und Rekonstruktionsarbeit. Im Juli 2019 findet der Tisch sein Zuhause im Neuen Schloss Bayreuth.