Heute ist Valentinstag – allen, die selber im Gegensatz zu ihrer Partnerin oder ihrem Partner nicht en détail vertraut sind mit anglo-amerikanischen Festgebräuchen, fährt vielleicht spätestens jetzt ein warnender Schreck in die Glieder. Vor Ladenschluss heißt es noch, abgeerntete Blumenläden oder die leergeräumte Süßigkeitenecke an der Tengelmannkasse zu plündern, um noch irgendetwas Zuckriges in Herzform, umhüllt von rotem Staniolpapier zu ergattern – „Schatz, dass Du daran gedacht hast…“.
Auch wir in der Münchner Residenz sind uns der Bedeutung dieses Festtags der Liebe bewusst, können uns aber entspannt zurücklehnen, befindet sich doch in unserem Museum bereits das ultimative Manifest zwischenmenschlicher Zuneigung: Das Herzkabinett der Kurfürstin Henriette Adelaide (Raum 68).
1650 wurde diese Prinzessin des Hauses Savoyen (1636-1679), an deren quirligem Heimathof in Turin die Verbindung italienischer und französischer Kultureinflüsse eine lebendige und geistreich-spielerische Lebensatmosphäre hervorgebracht hatte, in die damals im Vergleich sinistre Münchner Residenz verheiratet. Das Leben am bayerischen Hof stand noch ganz im Zeichen ihres kurz zuvor verstorbenen Schwiegervaters Maximilian I., der sein Land zeitlebens am kurzen Zügel eines rigoros gegenreformatorischen Katholizismus gehalten und durch den Dreißigjährigen Krieg gesteuert hatte. Henriettes Gemahl, der neue Kurfürst Ferdinand Maria, stand — gleichfalls erst vierzehnjährig — noch stark im Schatten seiner dominanten Mutter, der Habsburgerin Maria Anna. Die arrangierte Ehe des fremden Mädchens und des schüchternen Jungen, die zunächst nicht einmal die Sprache des anderen beherrschten, stand vor allem in den ersten Jahren unter keinem guten Stern. Unter dem drückenden Zeremoniell und der rigiden Hofordnung in München langweilte sich die junge Kurfürstin erst und versuchte dann zu rebellieren.
Dem jungen Mann an ihrer Seite konnte sie nichts abgewinnen und beklagte sich stattdessen über seinen „blöden Blick“ – Ferdinand Maria war stark kurzsichtig. Es brauchte Jahre, mehrere Skandale, Interventionen der allgegenwärtigen Beichtväter und auch des einen oder anderen persönlichen Erfolges, bis sich Henriette Adelaide mit ihrer Situation arrangiert und ihre Position gefestigt hatte. Ein Zeugnis ihres neuen Selbstbewusstseins, das sie nach dem Tod der ungeliebten Schwiegermutter und der lang erwarteten Geburt eines Thronerben an den Tag legte, war die prächtige Einrichtung ihres neues Appartements im Südwesten der Residenz (1666/67). Von dieser, mit einer Fülle von vergoldeten Schnitzereien, allegorischer Gemälde, raffinierter Wandbrunnen und Mosaiken aus Stuckmarmor ausgestatteten Raumfolge sind heute nur noch geringe Reste erhalten. Zum Glück aber hat gerade das wahrscheinlich durchdachtestes kleine Raumkunstwerk des Appartements die Zeiten überstanden – das winzige Herzkabinett, das ursprünglich nur vom Bettalkoven des Schlafgemachs aus zu erreichen war. Erhalten sind vor allem die Deckenmalereien, die ein vollendetes Beispiel der sogenannten Emblematik darstellen, einer im Zeitalter des Barock sehr beliebten und weithin verbreiteten Bildgattung. Dabei handelt es sich um eine Art Geheimsprache in der abstrakte Begriffe in Form gemalter Rätselbilder und Symbole wie Blumen, Tiere oder Alltagsgegenstände mit knappen, mehrdeutigen Inschriften kombiniert werden, so dass sich in der wechselseitigen Interpretation der verborgene Sinn enthüllt. Emblematik als höfische Ausdrucksform und Unterhaltung wurde vor allem an Henriette Adelaides Heimathof Turin in vollendeter Form zelebriert. Nun unternahm sie den Versuch, sie ihrer als deutlich dickschädeliger empfundenen bayerischen Umgebung näherzubringen. Die wohl um 1669 ausgeführten Emblembilder des Herzkabinetts werden traditionell dem Hofmaler Caspar Amort (1612-1675) und Nikolaus Prugger zugeschrieben. Seinen Namen leitet der Raum von der in den Rahmungen, Ornamentik und den Malereien immer wiederkehrenden Herzformen ab. Auf dieses übliche Symbol gegenseitiger Zuneigung hebt das komplette Bildprogramm ab, das sich den verschiedenen Facetten einer ganz auf die Person und Verhältnisse Henriette Adelaides zugeschnittenen Konzeption ehelicher Liebe widmet.
Im Zentrum umkreisen geflügelte Liebesgötter zwei Herzen, die von einem einzigen Pfeil durchbohrt und aneinandergeheftet sind, ein Sinnbild der Verbindung Henriette Adelaides und Ferdinand Marias. Auch die botanisch alle bestimmbaren Blumen, die die Putten präsentieren, sowie der unauflösbare Liebesknoten, den sie schnüren, symbolisieren jeweils einzelne Aspekte des Liebesgefühls. In den herzförmigen Eckbildern malträtieren weitere Engelchen die ihnen anvertrauten Menschenherzen in unverantwortlicher Weise: Sie lassen sie in Liebesflammen aufgehen, gravieren den Namen der Liebenden mit scharfen Messern ein oder bieten es pickendenTurteltauben dar.
Im Fries wird das komplexe Liebesgefühl in die Struktur einer allegorischen Landschaft bzw. einer Architektur übersetzt: An der Westwand präsentiert ein dicklicher Putto den Blick auf die Stadt der Freundschaft mit symbolischen Gebäuden wie dem Schloss und dem Tempel der Liebe oder dem Tor der Treue. An der Nordwand präsentiert ein geflügelter Kollege hingegen eine Karte mit dem Land der Zuneigung, auf der unter anderem der lauschige Wald der Liebenden, der tiefe See der Sympathie oder die unbezwingliche Festung der Erinnerung verzeichnet sind.
Das Vorbild für diese symbolische Topographie lieferte die sogenannte „Carte du Tendre“, die in einem der beliebtesten Romane des 17. Jahrhunderts erscheint, dem vielbändigen Roman „Clélie“ der erfolgreichen Autorin Madeleine de Scudery, der zwischen 1654 und 1660 den Druckern aus den Händen gerissen wurde und sich auch in Henriette Adelaides Bibliothek befand.
Gegenüber der Eingangstür zeigt ein Gemälde drei Hofdamen der Kurfürstin, die Herzen in eine Decke sticken. Sie erinnern an die mythologische Weberin Arachne, die im Wettkampf mit der Göttin Athene die Liebesgeheimnisse der Götter auf einem Bildteppich darstellte. Gleichzeitig verkörpern die Hofdamen aber auch die drei antiken Schicksalsgöttinnen, die den (erotischen) Lebensfaden abwickeln, verschlingen und schließlich abschneiden.
Im Zusammenhang zeigt das Bildprogramm des Herzkabinetts die Liebe als ambivalentes Gefühl, in dem Glück und Schmerz unvermeidbar dicht zusammen liegen. Im Zusammenhang mit den restlichen erhaltenen Gemälden des Appartements ergibt sich die Gesamtaussage, dass der Liebende Beruhigung nur in der Bezwingung der Leidenschaften und in der Umwandlung der ungezügelten Passion in eine maßvolle, auf Vernunft und Tugend gegründete, beständige Zuneigung erlangen kann. In dieser Aussage gibt sich die persönliche Konzeption der Bauherrin Henriette Adelaide zu erkennen, die darin das nach langjährigen Kämpfen erreichte, freundschaftliche Verhältnis zu ihrem Gemahl zum allgemein gültigen Ideal ehelich sanktionierter Liebe erklärt.
So fasziniert das Herzkabinett noch heute als Zeugnis einer hochkomplexen, unterhaltsamen barocken Kunstanschauung und zugleich als Dokument einer ganz persönlichen Herrscherbiographie. Wir aber pfeifen auf die darin gepredigte gebremste Zuneigung und zeichnen unsere eigene Gefühlskarte – vorher aber noch in den Blumenladen:
Es lebe die Liebe!