Residenz München

Die „Gelbe Treppe“ der Residenz München – eine spannende Geschichte

Gelbe Treppe - Blick nach Norden 1

Bayerns Schlösser sind nicht nur zu pflegen, sondern müssen auch regelmäßig saniert, gelegentlich sogar grundlegend um- und ausgebaut werden. Mit der Maßnahme an der Gelben Treppe in der Residenz München, die nach jahrelanger Arbeit im Juni 2021 fertiggestellt werden konnte, zeigen wir euch im folgenden Beitrag ein aufwändiges Beispiel.

Treppen – die Stars im Schlossbau

Treppen sind das „Salz in der Suppe“ der Architektur. Hier ist die dritte Dimension nicht nur zu sehen, sondern, im Auf- und Niederschreiten, hautnah und perspektivenreich zu erleben. Dies galt und gilt besonders für unsere Prachtbauten, die regelmäßig auch Kulissen für die Schönen, Mächtigen und ihre Gäste bilden. Das Östliche Treppenhaus, so die schlichte Bezeichnung aus der Bauzeit der Gelben Treppe, wurde lange kaum beachtet. Ihr Architekt Leo von Klenze (1784-1864), der seine Schöpfungen regelmäßig und mit großem Aufwand publizierte, widmete ihr nur einen knappen Absatz in seiner Beschreibung von 1842. Kein Plan wurde veröffentlicht. Der Amtliche Führer der Residenz von 1937 handelt den Raum in ein paar Sätzen ab, Bilder des Vorkriegszustands sind an zwei Händen abzuzählen, obwohl das Schloss vor seiner Zerstörung aufwändig durchfotografiert wurde.

Creator (Schöpfer) Klenze gegen Conservator (Bewahrer) Ludwig

Hier wirkte nicht nur ein verbreitetes Unverständnis für die Kunst des 19. Jahrhunderts nach, das die ersten zwei Drittel des 20. prägte. Klenze selbst hatte Probleme mit dem Raumkunstwerk – und diese wurzeln in der frühen Baugeschichte für den Königsbau. Sein Konzept wurde auf der Italienreise der Jahreswende 1823/24 zwischen Kronprinz Ludwig und seinem Lieblingsarchitekten heftig diskutiert. Dabei spielte die Erhaltung – oder der komplette Abriss – der Grünen Galerie François Cuvilliés’ (1695-1768) eine wichtige Rolle. Natürlich strebte Klenze danach, seinen Schlossflügel vom Max-Joseph-Platz aus zu erschließen, das heißt, den Empfang der königlichen Gäste über den Platz vor der Oper, durch die Eingangshalle, den nördlich anschließenden Innenhof und ein dort zu errichtendes prachtvolles Treppenhaus bis zum Thronsaal des Königs im 1. Obergeschoss durchgängig zu organisieren. Vergleichsbeispiele sind Legion – man denke an die grandiosen Empfangsbauwerke der Residenzen Würzburg, Bruchsal, Berlin oder die Abfolge von Kaiserhof – Kaisertreppe – Kaisersaal im Münchner Stadtschloss selbst.

Residenz Würzburg, Treppenhaus

Das Treppenhaus der Residenz Würzburg.

Ludwig zerstörte diese schöne Idee – mit Klenzes Worten: „die Geschichte solle dem einstigen König von Bayern, Ludwig I., nicht allein den Namen creator, sondern auch conservator geben“ – und die Grüne Galerie blieb bis heute stehen.

Was waren die Konsequenzen? Der Innenhof hinter dem Königsbau wurde nur an zwei Seiten, noch dazu über Eck, von Klenzes Formensprache geprägt, die Schauseiten des Hofes, von den Durchfahrten aus gesehen, bildeten weiterhin die Rokokofassade des Vorgängers Cuvilliés und der schmucklose Ahnengalerietrakt. Ein festlicher Empfang von Süden her wäre theoretisch zwar möglich gewesen, denn die Cuvilliés-Galerie besaß ein ganz stattliches Treppenhaus. Es war allerdings zu einem Speisesaal umgebaut worden und würde, nach einer Wiederbelebung, auch nur zu 2/3 auf die Höhe der neuen königlichen Prunkräume hinaufführen. Klenze wäre gezwungen gewesen, an die Lösung des verachteten Vorgängers anzustücken und dabei sein eigenes Konzept zu verstümmeln. Sicherheitshalber brach er deshalb nach Baubeginn 1826, mit dem Südflügel der Galerie und anderen dienenden Zubauten, die Cuvilliés-Treppe so schnell wie möglich ab.
Schlimmer noch: Die seit dem frühen 17. Jahrhundert eingeführte Gästevorfahrt über den zentral gelegenen Brunnenhof blieb erhalten. Das Kronprinzenpaar, das die Kurfürstenzimmer über dem Antiquarium bewohnte, nutzte sie und sollte sie auch nach der Thronbesteigung noch bewohnen. Seine Besucher wurden durch düstere Gänge in ein – aus Sicht des Klassizisten – plump stuckiertes, über 300 Jahre altes Treppenhaus genötigt, um im wenig einladenden Schwarzen Saal zu landen. Als Aufgabe des Architekten verblieben dann nur noch 4,20 Meter Höhenunterschied zu überwinden, bis die neuen königlichen Vorzimmer erreicht waren. Eine Horrorvision! So schrieb Klenze hierzu – und dann keine Silbe mehr darüber – in seinen Lebenserinnerungen: „und in dem circulus vitiosus (Teufelskreis) dieser Idee trat dann der conservator dem creator auf das allerwiderwärtigste entgegen.

Subtile Spuren eines großen Plans

Auch wenn Pläne oder Skizzen bisher fehlen, lässt sich die von Klenze überlegte Treppenlösung für den Königsbauhof indirekt erschließen. Denn ein Baukörper hätte, nach Abbruch des Cuvilliés-Flügels, an seinem Ort entstehen müssen – der unverhüllte Einblick in den arg verbauten Küchenhof wäre ein im wahrsten Sinn des Wortes schräger Platzabschluss gewesen. Seine Fassade hätte, dem Symmetriegebot der Klassik folgend, wie jene auf der Westseite ausgesehen, vielleicht bereichert um einen Säulenportikus mit Balkon, der einen stilgerechten, regensicheren Empfang geboten hätte. Eine großzügige Eingangshalle hätte nördlich in ein Treppenhaus geführt, das – im Zwickel zwischen Antiquarium und Reichen Zimmern – am ehesten als Halbrund mit Oberlicht vorzustellen ist. Der Treppenabsatz hätte die Raumflucht über der Ahnengalerie und die östlich gelegenen Kurfürstenzimmer erschlossen. Im Obergeschoss wären drei Vorsäle über der Eingangshalle erreicht worden, die zum Thronsaal führen.
Ein Foto, das den Königsbau kurz nach dem verheerenden Bombenangriff vom 24. April 1944 zeigt, enthüllt, auf welch subtile Weise der düpierte Hofbauintendant seine erste Treppenidee in Erinnerung behalten wollte: Wo sich Königsbau und Grüne Galerie berühren, wurde die Königsbaufassade komplett ausgeführt. Auch heute noch erkennt man, wie das Gesims über dem Hauptgeschoss des Königsbaus für drei Fensterachsen unterbrochen ist.

Residenz München Grüne Galerie

Übergang zwischen Königsbau und Grüner Galerie. Blick von Nordosten, 2021, und von Nordwesten, kurz nach dem Bombardement im April 1944.

Hätte Ludwig – oder ein Nachfolger – sich doch noch für den Abbruch der Grünen Galerie entschieden, hätte Klenze die Fassadenlücke leicht und schnell geschlossen. Um zu beweisen, dass ein Ersatzbau für die Galerie längst von ihm erdacht sei, hatte er die Lücke im Gesims in petto, die dem krankhaft knauserigen König einiges an teuren Quadern sparte…

Mission impossible – genial gelöst

Was tun? Die Situation, wo sich der neue Königsbau und die alten Trakte am Schwarzen Saal berühren, war durchaus unregelmäßig und kompliziert.

Gesamtplan Gelbe Treppe

Plandarstellung zur Verknüpfung zwischen den älteren Residenztrakten (grau) und dem zu errichtenden Königsbau (rot), späte 1820er Jahre. Im Zentrum die Gelbe Treppe, mit Längs- und Querschnitt. BSV, Grafiksammlung.

 

Das Oktogon, der südliche Vorraum des Antiquariums, befand sich direkt unterhalb. Er war wie der Renaissancesaal zu erhalten und seine Kuppel konnte kaum belastet werden. Klenze fand eine geniale, wenn auch fragile Lösung: Er ließ aus dem Dachwerk des Antiquariums heraussägen, was störte, und baute einen halbrunden Kuppelsaal aus Holz an diese Stelle. Es kann gut sein, dass er die verworfene Lösung am Königsbauhof zum Vorbild nahm. Auch die am Westende des Trakts gelegene Treppe zum Appartement der Königin arbeitet mit einem ähnlichen Motiv. Die – glücklich über den Krieg gerettete Königin-Mutter-Treppe ist ebenfalls halbrund, Klenze musste ihre Treppenläufe aber aus Platzmangel in die Rundung quetschen, was den Raumeindruck erheblich dämpft. Auch die Belichtung lässt hier Wünsche offen, da die Form des Aufgangs und die umgebenden Fassaden nur mühsam zueinander passen.

Das königliche Gegenstück tritt da viel großzügiger, sogar im besten Sinne majestätisch auf. Der lichtdurchströmte Vorraum empfängt die Besucher aus dem Schwarzen Saal und leitet, bevor es links hinauf zum König geht, weiter in die rückwärtigen Räume der Kurfürstenzimmer (heutige Ostasiensammlung). Ein besonderer Clou ist die Lichtkuppel des Raumes, die der Kenner als Reverenz an das antike römische Pantheon versteht.

Vergleich Schwarzer Saal - Gelbe Treppe Residenz München

Der Schwarze Saal mit Deckenmalerei nach Hans Werl (Rekonstruktion Karl Manninger, 1979) und die rekonstruierte Gelbe Treppe, wie sie sich dem Eintretenden darstellt.

Der ziemlich flache frühbarocke Schwarze Saal mit seiner illusionistischen Deckenmalerei imitiert nur einen hohen Raum mit Lichtkuppel, wobei die Optik nur von einem Blickpunkt aus, unter dem Lüster, richtig funktioniert. Alle anderen Stellen zeigen wild verzerrte Formen. Klenze setzt dem einen echten Saal mit echter Höhe und echtem Oberlicht entgegen. Hier stimmen selbstverständlich alle Perspektiven. Um den geringen Höhenunterschied der Treppe auszugleichen, entwickelte er einen monumentalen kassettierten Bogen, der von diesem Vorraum aus die volle Höhe der königlichen Wohnung – ergänzt noch um den Niveausprung von 4,20 Metern – sichtbar macht. Der Blick auf das besonders ausgezeichnete Tor zur Königswohnung wird auch erst allmählich im Voranschreiten des Gastes sichtbar, womit sich die verschobene Raumgeometrie als Vorteil erweist.

skizze - Swanthaler

Entwurfszeichnung Ludwig von Schwanthalers zum sog. ‚Bavariarelief’ an der westlichen Hochwand des zentralen Treppenraums. Stadtmuseum München, Graphische Sammlung.

Einen ersten Vorgeschmack auf das Bildprogramm liefert das Relief einer thronenden Bavaria, das man unter dem Bogen gleich erspäht. Es signalisiert den Rang des Hausherrn als Regenten der traditionsreichsten Macht im Herzen des Kontinents. Diese Aussage wurde im anschließenden Kreuzgewölbe noch weiter ausgedeutet. In seinem Zentrum standen Symbole des Krieges, des Friedens, der Wissenschaften und der Künste – zentrale Aktionsfelder einer kulturell fundierten Politik. Umgeben waren sie von acht Reliefs mit typischen Gewerbezweigen der Provinzen Bayerns, wohl gemerkt, noch einschließlich der Rheinpfalz. Dieser Raumschmuck ist heute verloren.

Gelbe Treppe Gewölbestuck

Stuckierung des Gewölbes über dem zentralen Treppenraum, Ausschnitt aus einer Gesamtansicht Richtung Süden, Zustand um 1930.

Gelbe Treppe Stuckmarmor+RGM

Detailansicht gelber und braunroter Stuckmarmor, Treppenstufen aus Rosenheimer Granitmarmor, Zustand 2021.

Seinen Gegenpol finden die in reiche Ornamentik eingebetteten weißen Sinnbilder in den gut 200 m² der aufgehenden Wände, deren gelber Stuckmarmor der Treppe ihren Namen gab. Es handelt sich um das Imitat eines ‚giallo antico’ – des am meisten geschätzten Marmors der römischen Antike, den man im Norden des heutigen Tunesien gewann. Die benötigte Menge hätte man kaum in der geforderten Qualität und zu bezahlbarem Preis bekommen, wobei die ausgeführte Lösung durchaus Vorteile bot. Sie kostete zwar auch ihr Geld, war aber nach Belieben zu gestalten (Dichte und Verteilung zartrötlicher Adern) und mit ihren haarfeinen Fugen von größter Präzision. Hauptvorteil war die Polierbarkeit, die den weiten Flächen einen märchenhaft spiegelnden Glanz verlieh. Die Kombination mit einem fein gesprenkelten Material aus dem Bayerischen Oberland (sog. Rosenheimer Granitmarmor) rundete die Farbpalette ab.

Erste Überlegungen, die Wände mit einem Mäanderband und darüber mit 18 Szenen aus der Geschichte Bayerns zu bereichern, wurden auf Initiative Ludwigs zum Glück aufgegeben. Sie hätten den beschriebenen Effekt gestört – und auch die jüngste Rekonstruktion deutlich erschwert. Dafür wandte sich die Aufmerksamkeit des Königs dem Ziel der Inszenierung, dem Portal zur Königswohnung zu.

Gelbe Treppe historische Aufnahme - Prunkportal

Prunkportal zwischen ‚Gelber Treppe’ und 1. Vorzimmer des Königs, Ausschnitt aus einer Gesamtansicht Richtung Süden, Zustand um 1930.

Sein Überbau, der sich aus dem umlaufenden Hauptgesims entwickelt, wäre ursprünglich von zwei korinthischen Säulen getragen worden. Die spätere, dann auch ausgeführte Lösung zeigt an ihrer Stelle zwei Karyatiden, reich gewandete Symbolgestalten aus dem antiken Hellas, die Klenze in seiner Beschreibung als ‚Asträa’ bzw. ‚Nike Apteros’ bezeichnet. Sie sollen die Gerechtigkeit und die Beharrlichkeit verkörpern – und damit den Wahlspruch des Bauherrn, der sich wörtlich auch im Fries der Portalbekrönung wiederfindet. Damit verschob sich die allgemein staatstragende Aussage des Raumkunstwerks deutlich hin zu einer Huldigung an den Erbauer. Dem wendigen Höfling Klenze fiel dies sicherlich nicht schwer, war er doch, wie Ludwig, ein glühender Verehrer alles Griechischen. Dennoch fiel die Anerkennung aus: Von neidischen Konkurrenten beim König als ‚Generalbevollmächtigter in Kunstsachen’ angeschwärzt, was diesen bis zur Raserei erzürnte, hatte Klenze seine einstige Monopolstellung verloren.

‚..Überdem ist es eine ehrenwerte Rolle, sich bei dem Herrn (König Ludwig), wenn einmal sein Verliebtsein aufgehört hat, durch Verdienst zu erhalten und das werde ich fortan so wie bisher versuchen und seine verliebten Affektionen gerne anderen überlassen.’
[Mem. Bd. II, S.98v]

So Klenzes Reaktion, und er behielt Recht damit.