Autor: Christian Quaeitzsch

Ein histori(sti)scher Rechtsfall: Das restaurierte „Urteil Salomos“ aus dem Residenzappartement König Ludwigs II.

Rasch zu urteilen fällt uns oft leicht – zunehmend im gegenwärtigen Zeitalter schnell aufkochender medialer Empörung. Dabei ist ein gerechtes, zumindest abgewogenes Urteil zu treffen bekanntermaßen schwer, nicht zuletzt im Kultursektor! So wurde zum Beispiel die künstlerische Produktion, die Bayerns allseits geschätzter „Märchenkönig“ Ludwig II. (reg. 1864-1886) begeistert initiierte, abgesehen von seiner Wagner-Förderung lange Zeit als „monumentaler Kitsch“ kritisiert. Erst seit wenigen Jahrzehnten erfahren seine legendären Schlösser samt Ausstattung ihre ästhetische Rehabilitierung und werden heute als weltkulturerbeverdächtige Exzellenzbeispiele des internationalen Historismus gefeiert. Mit einem charakteristischen Erzeugnis dieser Kunst wollen wir uns in diesem Beitrag beschäftigen.

Residenz München Büsten

Vergessene Zeugen aus Stein – neu zum sprechen gebracht…

2018 haben wir die Neupräsentation unserer Silbersammlung im Königsbau der Residenz eröffnet. Seither stehen die „alten Silberkammern“ (R. 100-102) leer. In den 1970er Jahren als neutrale Vitrinen-Sammlungsräume an Stelle der kriegszerstörten „Staatsratszimmer“ des 19. Jh. im Südwesten der Residenz eingerichtet, harren sie ihrerseits nun auf ihre Neuausstattung. Corona und die Konkurrenz wichtiger anderer Projekte innerhalb der Schlösserverwaltung wirken hier, wie andernorts, leider nicht beschleunigend.

nachttopf residenz münchen

Ist das Kunst oder kann das weg? Die stillen Örtchen des Münchner Hofs – Toiletten und Retiraden

Das letzte Hemd hat keine Taschen, und es gibt Orte, zu denen selbst der Kaiser zu Fuß gehen muss. Mit solchen raren Lebensweisheiten starten wir unsere Suche nach dem Menschlichen, Allzumenschlichen in den Prunkräumen unseres Schlosses. Denn auch der blaublütigste Wittelsbacher, eingebunden in langwieriges Zeremoniell und behindert durch aufwendig verschnürtes Kostüm, mag ihn wohl oft seufzend aufgeschoben, aber letztlich nicht unterdrückt haben: den täglichen Toilettengang. Doch wo? Und wie? Und unter welchen hygienischen Standards? Hier stößt man erst mal auf eine Mauer des Schweigens. Nur zäh und widerwillig geben Jahrhunderte höfischer Diskretion ihre Geheimnisse preis – und führen gern in die Irre, statt zum historischen Örtchen.

karl albrecht kaiser

Ein Rokoko-Kaiser? Erinnerungen an Karl VII. Albrecht zum Jubiläumsjahr 2022

„Himmel, was hatte der Mann für Augen! Wie melancholisch blickte er unter den gesenkten Augenwimpern hervor!“ Begeistert gab sich die junge Patrizierin Elisabeth Textor, die später als Märchen erzählende „Frau Rat“, vor allem aber als Mutter von Johann Wolfgang Goethe in die (Literatur-)Geschichte eingehen sollte, dem Sex-Appeal des bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht (1697-1745) hin, als dieser anlässlich seiner anstehenden Erhebung zum Kaiser Anfang 1742 in einer goldglänzenden Karosse Einzug in die Krönungsstadt Frankfurt hielt.

kurfürst karl theodor

Machtwechsel zum Jahreswechsel: Wie mangelnder Impfschutz Mannheim nach München brachte

Ausgebremste Festfreude zu Sylvester und stattdessen ansteckende Krankheiten mit weitreichenden sozialen und politischen Folgen – uns mittlerweile sattsam bekannt, aber auch in früheren Jahrhunderten in der Münchner Residenz eine drohende Realität: Am 30. Dezember 1777 verschied hier der beliebte Kurfürst Max III. Joseph mit erst 50 Jahren an den Folgen einer Pockeninfektion. Unklugerweise hatte der Wittelsbacher, der als Anhänger einer moderaten, systemkonformen Aufklärung eigentlich die neuartige, noch recht brachiale Impfung mittels eingeritztem Kuhpockensekret befürwortete, für sich selbst auf die vorbeugende Maßnahme gegen die allgegenwärtige Krankheit verzichtet.

Aphrodite Aphrodisias

Aus Altötting oder aus Aphrodisias? – die dunkle Göttin des Antiquariums

Häufig erreichen uns Anfragen interessierter BesucherInnen zu einem ganz speziellen Stück aus den Sammlungen des Residenzmuseums: Weit oben auf der Liste stehen von jeher neugierige Erkundigungen, warum die Prunkbetten so hohe Liegeflächen haben (haben sie nicht, es handelt sich um kastenförmige „Tagesdecken“) oder warum die „Krone einer englischen Königin“ ausgerechnet im Schatz der bayerischen Herrscher glänzt (Relikt einer vorteilhaften Eheverbindung der pfälzischen Wittelsbacher mit dem Haus Lancaster). Ungewöhnlich ist hingegen die kürzlich eingegangene Bitte um Informationen zu der „Schwarzen Madonna“ im Antiquarium.

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Großer Alexander – ganz klein: Ein einflussreiches Bildmotiv und seine Geschichte

Einen peinlichen, ja gefährlichen Moment stellt die buntfarbige und vielfigurige Bildszene in der Miniaturensammlung der Residenz dar: Im Schatten eines gewaltigen Zelts demütigt sich eine Gruppe verängstigter Frauen unterschiedlichen Alters auf Knien vor zwei jungen Militärs, die rechter Hand in voller Rüstung paradieren. Offensichtlich ist es eine Stunde der (männlichen) Sieger – wird die Stimmung umschlagen und sich gegen die wehrlosen Zivilistinnen und ihre wenigen, ältlichen Begleiter richten, die um Schonung flehen?

Rhinozeros Clara Residenz München

„Einmal um die Welt…“ – Nashorn Clara geht auf Tournee

Wer in den 2018 eröffneten Etagen der Porzellansammlung des Residenzmuseums den Raum betritt, der den kleinplastischen Werken der kurfpälzischen Manukfaktur Frankenthal gewidmet ist, steht einem ganzen, fragil und zartfarbig gestimmten Miniaturkosmos eleganter Figürchen gegenüber, die Gottheiten und Allegorien, ernste, galante oder burleske Szenen aus Mythologie und Alltag darstellen.

alchemist Bragadino

Bragadinos Traumkarriere hängt an goldenem Seil – das Schicksal eines Alchemisten am bayerischen Hof

26. April 1591 – eine trübe Morgensonne beleuchtet skeptisch ein befremdliches Schauspiel auf dem Münchner Weinmarkt: Hier ist in der Nacht zuvor ein hoher, signalrot angestrichener Galgen errichtet worden. Am Querbalken schlenkert an diesem windigen Vormittag aber nicht das übliche Henkersseil aus gräulichem Hanf – sondern die gedrehte Schlinge schimmert und gleißt wie ein kostbares Halsband, denn geschickte Hände haben sie rundum mit dünnem Blattgold überzogen!

Tizians dreckiges Dutzend – Der Zyklus der Kaiserporträts in den Reichen Zimmern

Wer im noblen Obergeschoss der Residenz das prunkvolle Paradeappartement der 1730/37 ausgestatteten „Reichen Zimmer“ betritt, wird über den in einer Sichtachse geöffneten Türen sogleich kritisch in den Blick öl-gemalter Augen genommen: Dort, in den sogenannten „Supraporten“, sind Bildnisse römischer Kaiser des ersten Jahrhunderts angebracht, genauer gesagt die kanonischen ersten zwölf Imperatoren. Das sind zunächst die Mitglieder der julisch-claudischen Dynastie, beginnend mit Julius Cäsar (C[K]äsar = Kaiser = Zar) und seinem Adoptivsohn Octavian („Augustus“). Es folgten dann, befeuert von „Cäsaren-Wahnsinn“ und grassierenden Herrschermorden, in schneller Abfolge weitere Anwärter auf den kaiserlichen Lorbeer, bis mit dem listigen Vespasian und seinem Sohn Titus wieder etwas mehr Ruhe auf den Stufen zum Thron einkehrte.