Wittelsbacher Geschichte ist soviel mehr als nur Bayern, Bier und Barock. In der Heimat des Autors, dem schönen Rheinland-Pfalz, und dem benachbarten Saarland erzählt man zum Beispiel die Historie des erlauchten Hauses mit ganz anderen Schwerpunkten und aus (kur)pfälzischer Perspektive: Hier betrachtet man von jeher Bayern vor allem als zusätzliches, zwar besonders hübsches, aber leider auch stets pflegebedürftiges Juwel in der Krone der Herzöge von Pfalz-Zweibrücken, deren Nachkommen ab 1799 als Kurfürsten und dann schon bald auch als Könige über ihre pfälzischen Stammlande – und Bayern! herrschten (gefühlt in dieser Reihenfolge). Wir wollen in diese Befindlichkeiten gar nicht tiefer eindringen – Tatsache ist, dass den Zweibrücker Wittelsbachern im 18. und 19. Jahrhundert eine bedeutsame, oft und vielleicht auch bei uns in der Residenz unterschätzte Rolle zukam. Grund genug, einer besonders facettenreichen Persönlichkeit dieses zukunftsträchtigen Familienzweigs ein kleines Blog-Doppel zu widmen, zumal er Jubiläum feiert: Vorhang auf für Herzog Christian IV., dessen Geburtstag am 16. September 1722 sich heuer zum 300 Mal jährt.
Mittlergestalt zwischen Frankreich und Deutschland
«Seit drei Wochen haben wir den Herzog von Zweibrücken hier bei uns – liebenswürdiger als dieser kann man nicht sein…» – Angeregt schildert Madame de Pompadour, seit 1745 „Maitresse en titre“ des französischen Königs Ludwigs XV., Anfang April 1751 der Freundin Madame de Lutzelberg einen charismatischen Besucher. Scheinbar nur der zweiten Reihe des deutschen Adels zuzuzählen, der regelmäßig am Versailler Hof paradiert, ist dieser charmante Ausländer dennoch keinesfalls als uninteressant oder gar zweitrangig zu beurteilen – auch nicht aus der Perspektive der mächtigsten Frau Frankreichs: Es handelt sich um Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken (1722-1775), ein Mitglied der vielfach verästelten Wittelsbacher Dynastie, deren verschiedene Zweige in Bayern, Kurpfalz sowie zeitweilig in Schweden herrschen – und eben auch in den kleinen, zwischen Elsass und Mosel gestreuten Zweibrücker Territorien im deutsch-französischen Grenzgebiet. Seit 1740 regiert Christian IV. hier als zweiter Herzog aus der Nebenlinie Zweibrücken-Birkenfeld-Bischweiler, nachdem der ältere Kleeburger Zweig, deren Mitglieder seit 1654 den schwedischen Thron innehatten, 1731 ausgestorben war.
Seine Zeitgenossen, darunter Voltaire persönlich, priesen Herzog Christian als vollendeten Typus des „prince eclairé“, eines aufgeklärten Fürsten also, während der unter ihm um- und ausgebaute Regierungssitz Zweibrücken von einem gleichfalls namhaften Besucher – Johann Wolfgang von Goethe – gelobt wird „als eine schöne und merkwürdige Residenz“. Alles hier „[…] deutete auf ein Verhältnis in die Ferne, und machte den Bezug auf Paris anschaulich.“
Tatsächlich wurde das kleine Städtchen zwischen Horn- und Schwarzbach im 18. Jahrhundert lächelnd, aber nicht ganz zu Unrecht als „Petit Paris“ apostrophiert, erfolgte doch nicht zuletzt auf künstlerisch-architektonischem Gebiet die Neueinrichtung der Residenz, der Bau von Jagdschlössern und eines Wohnpalais für Christians morganatische Familie durch französische Künstler und nach französischem Geschmack.
Diese ausgeprägte kulturelle Ausrichtung auf den Nachbarn im Westen verdankte sich nicht nur der herzoglichen Neigung zum Heimatland der Aufklärung, sie fußte zugleich auf konkreten politischen Gegebenheiten: Schließlich unterstanden die verstreuten Zweibrücker Ländereien mit ihren ca. 60.000 Einwohnern lehnsrechtlich nur partiell dem Heiligen Römischen Reich – zum anderen Teil aber der französischen Krone. Gute Beziehungen zu den „Allerchristlichsten Königen“ waren insofern in Zweibrücken Grundvoraussetzung jeglicher Politik.
Doch trotz dieser Abhängigkeit war Christian IV. kein klassischer deutscher Doudezfürst: Wittelsbacher Hausverträge und die genealogische Logik dynastischer Erbfolge eröffneten seinem bislang noch wenig einflussreichen Familienzweig bedeutende Zukunftsperspektiven: Denn mit dem absehbaren Erlöschen der in Bayern und Kurpfalz regierenden Linien würden diese beiden wichtigen Herrschaftskomplexe innerhalb des Reichs auf Christian und seine Nachfolger übergehen. Diese Aussicht, mittelfristig den ausgedehnten Wittelsbacher Machtblock insgesamt unter seiner Regierung zu vereinen, ließen den kleinen Zweibrücker Herzog bereits im Vorgriff als einen hochbedeutsamen Aktivposten der internationalen Politik seiner Epoche erscheinen. Bereits früh wurde Christian IV. daher von der französischen Regierung umworben als Verbündeter, der künftig ein Gegengewicht gegen die rivalisierenden Habsburger und ihre Hausmacht im Reich bilden sollte. Persönliche Verbindungen zwischen Versailles und Christians Familie bestanden schon länger, hatte doch der Schwiegervater Ludwigs XV., Stanislaus Leszczyński, einst in Zweibrücken gastliche Aufnahme und ein luxuriöses Exil gefunden (1714/18). Und bereits im Jahr seiner Regierungsübernahme 1740 war der 18-jährige Christian zum offiziellen Antrittsbesuch am französischen Hof angetreten.
1751 mündeten die Beziehungen schließlich in einen mehrfach erneuerten Freundschaftsvertrag, in dem Ludwig XV. dem Herzog jährlich beachtliche Subsidien zusicherte, während Christian in den französischen Militärdienst eintrat und sich zur Aufstellung eines aus Landeskindern rekrutierten Regiments „Royal Deux-Ponts“ verpflichtete, das ab 1757 unter seiner Führung Frankreichs Krone unterstand. Spätestens ab 1751 bis zu seinem Lebensende hielt sich der Zweibrücker Herzog regelmäßig für viele Monate im Jahr in Paris und am Versailler Hof auf, wo er bald in engen freundschaftlichen Kontakt mit dem sonst kühlen und misstrauischen Ludwig XV. und – ebenso wichtig – mit dessen einflussreicher Mätresse Madame de Pompadour trat. In Paris versammelte er um sich zahlreiche namhafte Künstler und Literaten der Epoche, darunter Lieblinge des Augenblicks aus der Welt der Salons, Berühmtheiten der vielfältigen Theater- und Musikszene und literarisch-intellektuelle Schwergewichte aus dem Kreis der Encyclopedisten. Gleichfalls ließ er junge Künstler zu Studienzwecken aus der Heimat kommen, wie etwa seinen jungen Hofmaler Johann Christian Mannlich (1741-1822), der künftige Münchner Galeriedirektor und Memoirenschreiber. Sie trafen dort auf Persönlichkeiten, deren Namen für den französisch-deutschen Kulturtransfer im Zeitalter der Aufklärung stehen, wie der Kupferstecher Johann Georg Wille oder der Kunstschriftsteller Friedrich Melchior Grimm.
Diese bunte Gesellschaft traf sich zunächst in Christians Pariser Domizil in der Rue Royal, das er schließlich 1767 aufgab zugunsten eines kostspieligen Stadtpalais im Pfarrviertel St. Roch, das der berühmte Mansart in der Rue Neuve-St.-Augustin, in Nähe des Palais Royal erbaut hatte. Dieses zweite Hôtel Deux-Ponts ließ der Hausherr durch seinen Architekten Pierre Patte (1723-1814) einrichten. Patte, ein Schüler Boffrands und Assistent des berühmten Jaques-François Blondel, erneuerte den reichen Rokokodekor, den eine junge Pompadour einst maßgeblich lanciert hatte, durch die mittlerweile von der modebewussten «Amie du Roy» favorisierten Möbel und Ausstattungen im frühklassizistischen «goût grec». Nach dem Tod des Herzogs gelangte ein Großteil des kostbaren und hocheleganten Inventars zunächst nach Zweibrücken, wo es Christians ungeliebter Neffe und Nachfolger Karl II. August teilweise in die Einrichtung seines megalomanen Schlossbaus auf dem Karlsberg bei Homburg integrierte. An der Wende zum 19. Jahrhundert wiederum gelangten die vereinten Pariser-Karlsberger Bestände schließlich nach München – nun im Gefolge von Karl Augusts jüngerem Bruder und Erben Max Joseph: Er war es, für den sich die Zweibrücker Hoffnungen schließlich erfüllen sollten, denn in politisch bewegten Zeiten konnte er 1799 tatsächlich als neuer Kurfürst das pfalz-bayerische Erbe übernehmen und ab 1806 als erster König über ein souveränes Bayern herrschen.
Kostbare Reste einer prunkvollen Hofhaltung
Diese historischen Entwicklungen sind Ursache dafür, dass heutzutage ein Besuch der Münchner Residenz und des Sommerschlosses Nymphenburg den besten Eindruck vermittelt vom Glanz des Zweibrücker Hofes Christians IV., wie er in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und noch bis zum Ausbruch der Französischen Revolution blühte. Hierzu gehören Objekte wie eine plastisch geformte, aufwendig ziselierte und mehrfach vergoldete Prunkuhr (um 1765), die einst das Wohnappartement Christians IV. in Versailles oder einen Raum im Hôtel Deux-Ponts schmückte. Das Gehäuse der hochrepräsentativen, von François Ageron signierten Prachtuhr vereint ältere Stilelemente wie die barocken Fratzen der vier Winde und verspielte Rokoko-Putten mit der beruhigten Liniensprache des aufkommenden Klassizismus. Ein aufgesockeltes Barometer illustriert anschaulich das verstärkte Interesse einer aufgeklärten Aristokratie an der Welt der „sciences naturelles“: Schon einer der ersten dokumentierten Einkäufe, die der junge Christian 1741 in Paris tätigte, hatte physikalischen Präzisionsinstrumenten, nämlich drei Teleskopen, gegolten.
Für die Einrichtung seiner heimatlichen Stadtresidenz und der umliegenden Jagdschlösser erwarb der Zweibrücker in Paris zahlreiche Luxusmöbel mit aufwendigen Einlegearbeiten und kostbaren Bronzemontierungen, die heute in den „Kurfürsten– und Hofgartenzimmern“ der Residenz zu bewundern sind. Viele Bestellungen vermittelte und organisierte wohl der Seidenhändler Jaques Burjot, der gleichfalls im Hôtel Deux-Ponts logierte. Andere Stücke dokumentieren den Zugang Christians IV. zu den exklusiv arbeitenden Ebenisten des Versailler Hofes, den wohl wiederum deren größte Förderin, die Freundin Madame de Pompadour, ermöglichte. Hierzu gehören zwei raffinierte Verwandlungsmöbel mit komplexer Mechanik und vielgestaltigem Innenleben aus der hochrenommierten Werkstatt des Jean-François Oeben, ein kombinierter Schreib- und Toilettentisch sowie ein Tischchen mit Springschublade. Sie künden heute noch in München vom privilegierten Zugang der rheinpfälzischen Wittelsbacher zum begehrten Pariser Kunst- und Luxusmarkt des 18. Jahrhunderts.
Die Religion dynastischen Aufstiegs
Illustrieren ausgefeilter Möbelkomfort und der delikate Glanz ziselierter Goldbronzen den Hintergrund, vor dem sich der Alltag Christians IV. in seinen Pariser und Zweibrücker Wohnsitzen abspielte, so dokumentieren andere Objekte in der Sammlung des Münchner Residenzmuseums bis heute wichtige politische und biographische Ereignisse im Leben des „prince eclairé“ und seiner Familie: Dies gilt etwa für das prächtige Mosaik-Bild des heiligen Petrus, ein Werk des 1727 offiziell am päpstlichen Hof etablierten „Studio del mosaico vaticano“. Das Steingemälde in seiner nuancenreichen Farbigkeit umfängt ein üppiger feuervergoldeter Bronzerahmen, der das plastisch ausgeformte, vielfach gefelderte Zweibrücker Familienschild zeigt. Ihm gegenüber erscheint die barock bewegte Wappenkartusche des Papstes Benedikt XIV. (1740-1758) unter der Tiara. Bei der gewichtigen Darstellung Petri als des ersten katholischen Oberhirten handelt es sich um ein anspielungsreich ausgewähltes Geschenk, das der Pontifex 1751 Christians jüngerem Bruder, dem Pfalzgrafen Friedrich Michael, überreichen ließ und zwar anlässlich seiner in Rom gefeierten Firmung! Friedrich Michael (1724-1767), der Vater der Zweibrücker Erbprinzen Karl August und Max Joseph, die ihrem Onkel Christian nacheinander in der Regierung folgen sollten, war bereits 1746 aus Karrieregründen zum katholischen Glauben übergetreten. Auch Christian IV. vollzog 1755 den Religionswechsel, der eine rechtliche Voraussetzung der künftigen Regierungsübernahme in Kurpfalz und Bayern war. Allerdings versuchte er vorerst (wiewohl vergeblich), diesen politisch motivierten Schritt nicht öffentlich zu machen, schon gar nicht mittels repräsentativer Kunstwerke, um Schwierigkeiten mit seinen protestantischen Fürstenkollegen im Reich zu vermeiden.
Stellvertretend für diesen nicht zuletzt innerdynastischen Konflikt und als „Gegenstück“ des päpstlichen Firmungsgeschenks mag das gleichfalls in der Residenz ausgestellte Bildnis der Pfalzgräfin Karoline (1704-1774), Mutter Christians IV. und Friedrich Michaels, stehen. Ohne Erfolg versuchte die überzeugte Protestantin, die Konversion der Söhne zu verhindern. Das 1762 von Johann Heinrich Tischbein gemalte Porträt stellt die Herzoginmutter im duftig gemalten Hauskleid dar, standesgemäß ausgestattet mit einem kleinen Handarbeits-Schiffchen für das beliebte „Knötchen-Schlingen“. Ihr Lächeln lässt nichts von Ihren vergeblichen Ermahnungen der weltlich gesinnten Kinder ahnen.
Keinen geringen Anteil an Christians Glaubenswechsel hatte seine mächtige Freundin Madame de Pompadour: Lebhaft interessiert an einem Übergang der pfalz-bayerischen Herrschaft auf den frankreichfreundlichen Zweibrücker verwies sie ihren „cher prince“ in zahlreichen Briefen und Gesprächen auf die konfessionspolitischen Notwendigkeiten seiner Situation – und triumphierte schließlich.
An dieser Stelle machen wir eine kleine Pause. Wie es mit dem galanten Herzog und der berühmten Mätresse weiterging, schildert unser kommender Blogbeitrag…