Geheimnisse

„Ein Stücke Scharlachtuch bestimmt den ersten Preis“ – Karl Theodor erneuert die Tradition des Scharlachrennens in München

Pferderennen Karl Theodor Kurfürst

„Die Stadt entlauft der Stadt, es kommen ganze Scharen / Von allen Orten her geritten, und gefahren…“. So beschreibt ein Magistrat der Stadt München 1780 die Euphorie und den Zuspruch, die das in diesem Jahr auf Anordnung Karl Theodors erstmals wieder abgehaltene, „uralte Pferd= oder Scharlachrennen“ bei den Einwohnern und Freunden der kurfürstlichen Residenzstadt auslöste.

karl theodor georgsritterorden

Kurfürst Karl Theodor, Reinitator des Scharlachrennens, als Großmeister des Georgiritterorden. Das Porträt von Anton Hickel aus dem Jahr 1780 hängt in den Karl Theodor Zimmern in Schloss Nymphenburg. Foto: BSV

War der Weg dorthin doch nicht ohne Hürden gewesen: Die Grundstücke, auf denen das Rennen bisher stattgefunden hatte, waren mittlerweile in bürgerlichem Privatbesitz und in einer Stadt wie München natürlich sofort als Baugrund genutzt worden.

Daher diente im Jahr 1779 Schloss Nymphenburg als Kulisse für die erste Rennveranstaltung unter dem Mäzenat des Pfälzers (siehe Titelbild). Dessen Anblick auf der Tribüne in der Mitte der Rennstrecke wurde von einem schmeichelnden Höfling zu dem übergeordneten Reiz des Rennens erklärt. Damals herrschte noch eitel Sonnenschein und dem Fürsten waren „die Herzen und die Treu all [s]einer Bojobaren“ sicher. Doch zurück zum eigentlichen Scharlachrennen ein Jahr später.

Pferderennen Nymphenburg

Karl Theodor auf der Tribüne beim kurfürstlichen Rennen, das er im Juli 1779 „bey höchst Dero Sommer=Residenz zu Nymphenburg“ abhalten ließ. (Gemälde von Joseph Stephan, 1779. Marstallmuseum, Schloss Nymphenburg). Detail aus dem Titelbild. Foto: BSV

„Das Renngeschwader zieht schon zu dem Tor hinaus“

Der Pferdelauf fand vor dem Neuhausertor statt, das 1791 zu Ehren des Landesherrn in Karlstor umbenannt wurde. Der sogenannte „Rennweg“ folgte ausgehend von der Zielstatt der Hauptschützengesellschaft dem Verlauf der heutigen Dachauer und Schleißheimer Straße.

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Eine Gruppe Reiter markiert den „Rennweg“ auf dem frühesten bekannten Plan der Stadt München von Tobias Volckmer aus dem Jahr 1613. Rechts oben ist die Jakobuskirche auf dem Anger zu sehen (Nr. 13). Foto: München, Bayerische Staatsbibliothek, Inv.Nr. Mapp. XI,441 b (Detail).

Volckmer München Karte 1613_details

Dreimal mussten die neunundzwanzig „Jockeys“ die abgesteckte Strecke bewältigen; den Besitzern der ersten sechs Pferde winkten im Ziel wertvolle Prämien. Sackhüpfen, kostümierte Stelzenläufer sowie ein Wettrennen der Frauen um ein Barchenttuch, das moralisch umstrittene Huren- oder Prostituiertenrennen, verkürzten dem Publikum die Wartezeit zwischen den Runden.

Wer wagt, gewinnt

Der namensgebende erste Preis, ein zwölf Ellen oder circa zehn Meter langes, scharlachrot gefärbtes Tuch, ging 1780 an den Grafen von Preysing, der Zweitplatzierte Baron von Gumpberg sicherte sich eine silberne „Sackuhr“ und der Zollinger Wirt Franz Wißhen erhielt ein „spanisches Rohr mit Silber beschlagen“. Die nachfolgenden Auszeichnungen bestanden in einem silbernen Sporn und einer Peitsche, einer silbernen Gedenkmünze sowie einem Widder.

Wie kam es nun zu dieser speziellen Form des Rennens?

„desselben tags soll man die phärd vor für die obgenanntn Haubtleut bringen“

Die Tradition des Scharlachrennens war im frühen 13. Jahrhundert in Italien entstanden und gelangte über die Alpen nach Deutschland. Auch im Süden wurde schon um ein wertvolles Tuch, italienisch „palio“, geritten. Die Rennen waren mit Patrozinien oder militärischen Jubiläen verknüpft; in München mit dem Feiertag Jakobus d. Ä. am 25. Juli, der jährlich auf dem Anger vor der Jakobuskirche mit einer Dult begangen wurde. Die Rennordnung von 1448, verfasst während der Regentschaft Herzog Albrecht III. und seiner Frau Anna von Braunschweig, gilt als der deutschlandweit älteste schriftliche Beleg für den rechtlichen Rahmen des Scharlachrennens: Die Pferdebesitzer, genannt Patrone, mussten eine Teilnahmegebühr von 1 Gulden zahlen und ihre Tiere vor dem Lauf mit dem Sekretsiegelabdruck markieren lassen. Amtsleute hielten schriftlich fest „wes yeglichs sey“ und „was farb es hab“, um einem kurzfristigen Austausch der Pferde vor dem Rennen vorzubeugen.

Das Scharlachrennen als Münchner Spezifikum

Anders als in anderen Städten wie Florenz, Mantua, Wien (1382), Ulm (1440) oder Nördlingen (1442), wurde die Münchner Veranstaltung zu gleichen Teilen durch die Stadt und den fürstlichen Hof getragen. Aus dem Jahr 1450 ist bekannt, dass die vier mit der Ausrufung des Rennens betrauten Amtsleute jeweils 16 Pfennig erhielten. 1457 wurden 11 Pfund und 33 Pfennig für die Beschaffung des Scharlach- und des Barchenttuches sowie die sogenannte „Rennsau“ verausgabt, die an den Letztplatzierten ging. Dieses „Glücksschwein“ genoss das Privileg, es sich ein Jahr lang in den Straßen der ansonsten „schweinefreien Stadt“ gut gehen zu lassen. Den zweiten und dritten Preis spendierten bis 1754 die bayerischen Herzöge beziehungsweise Kurfürsten. Das Münchner Rennen war Inspiration für andere deutsche Städte, so führte beispielsweise Ottheinrich von der Pfalz, der 1524 nachweislich bei einem Münchner Rennen anwesend war, 1532 ein eigenes Rennen bei sich in Neuburg an der Donau ein.

Wirkteppich, Bildnis des Pfalzgrafen Ottheinrich

Wirkteppich mit dem Bildnis des Pfalzgrafen Ottheinrich, Brüssel, 1535. Dauerleihgabe des Historischen Vereins Neuburg a. d. Donau e. V. Schloss Neuburg a. d. Donau. Foto: BSV

Rennen als fürstliches Vergnügen?

Bis Ende des 17. Jahrhunderts fanden die Scharlachrennen mit einzelnen Unterbrechungen durch Kriegsgeschehen jährlich mit wechselnden Teilnehmerzahlen statt. 1692 ordnete Kurfürst Max Emanuel jedoch an, das Pferderennen mit einem Hauptschießen abzuwechseln. Ließ der jagd- und pferdebegeisterte Karl Albrecht, der spätere Kaiser Karl VII., zur Geburt seines Sohnes Max III. Joseph 1727 bei Schloss Fürstenried noch ein Karussellrennen abhalten, bei dem die kutschierten Damen ihre Geschicklichkeit mit Degen, Säbel und Wurfspieß beweisen konnten, so scheint sein Sohn kein Freund derartiger Veranstaltungen gewesen zu sein: Unter seiner Regentschaft fielen die Pferderennen zwischen 1756 bis 1777 zu Gunsten eines jährlichen Schießwettbewerbs aus.

Karussellrennen Fürstenried

Karussellrennen des kurfürstlichen Hofes vor Schloss Fürstenried, gemalt 1732 von Peter Jakob Horemans. Amalienburg, Schloss Nymphenburg. Auch bei diesem Rennen waren die Siegestrophäen von besonderer Art…

Der Interessenverlust mag auch mit den gestiegenen Kosten der Rennveranstaltung zusammenhängen, die sich im 17. und 18. Jahrhundert zwischen 60 und 400 Gulden bewegten. Die Wiederaufnahme der Scharlachrennen im Jahr 1780 durch Kurfürst Karl Theodor endete schließlich ebenso unverhofft, wie sie begonnen hatte: Nach drei mit besagtem Schießen alternierenden Veranstaltungen in den Jahren 1782, 1784 und 1786 verhinderte die finanzielle „Entkräftung der Stadtkammer“ das Fortführen der Rennveranstaltungen.

Ausblick – München als Stadt des Pferdesports

Dies war jedoch nicht das Ende der Münchner Pferderennen: Anlässlich der Hochzeit des Kronprinzen und späteren Königs Ludwig I. mit Therese von Sachsen-Hildburghausen lud die Nationalgarde von München unter der Führung des Major Andreas von Dall’Armi, mit Beteiligung der Corps aus Straubing und Augsburg, am 17. Oktober 1810 zu einem Pferderennen auf der Sendlinger Wiese, dem rund 40.000 Zuschauer beiwohnten.

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Das Pferderennen im Rahmen des Oktoberfests als Publikumsmagnet. Gemälde von Heinrich Adam aus dem Jahr 1824. Marstallmuseum, Schloss Nymphenburg. Foto: BSV

Damit war das erste Münchner Oktoberfest geboren, das nicht nur Münchens internationale Bekanntheit, sondern auch die Stadtlandschaft beeinflusste: Auf den Vorschlag Dall’Armis wurde die Festwiese nach der Braut „Theresens Wiese“ getauft.

Leider ist auch am Münchner Scharlachrennen der Kelch der politischen Instrumentalisierung nicht vorübergegangen. Im Zuge der 1936 in München gastierenden Olympiade versuchte Christian Weber – ein Vertrauter Hitlers, Vorstand des Wirtschaftsreferats und Initiator der „Rennwoche Riem“ – mit der nationalsozialistischen Festzug-Kampagne „500 Jahre Deutsche Pferderennen in München“ das seit 1934 in Riem ausgetragene Rennen um das „Braune Band von Deutschland“ als historisch verwurzelte Veranstaltung zu präsentieren. Durch den Verweis auf die im Mittelalter entstandenen Scharlachrennen sollte die „Stadt der Bewegung“ als tradierte Stätte des Sportes neben großen Konkurrenten wie Berlin oder Hamburg legitimiert werden. Den Abschluss der „Rennwoche in Riem“ bildete in den Jahren 1936 bis 1939 die sogenannte „Nacht der Amazonen“, die ebenfalls von Weber initiiert wurde. So wurde Schloss Nymphenburg unter fragwürdigen Umständen erneut Schauplatz einer Pferdeveranstaltung.

 


Literatur

Das uralte Pferd- oder Scharlachrennen, von einem löblichen Magistrat der churfl. Haupt- und Residenzstadt München gegeben zur Zeit der Jakobimesse. Den 1ten August, 1780 [München 1780].

Destouches, Ernst von: Säkular-Chronik des Münchener Oktoberfestes (Zentral-Landwirtschafts-Festes) 1810-1910. Festschrift zur Hundertjahrfeier. München 1910.

Jaser, Christian: Das Münchener Scharlach-Pferderennen – mittelalterliche Tradition und nationalsozialistische Vereinnahmung. In: Oberbayerisches Archiv 143 (2019), S. 38-57.