Hinter den Kulissen

Königin Carolines Biedersteiner Garten – Zur Restaurierung eines Gartenmodells

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Die Restaurierung eines Gartenmodells für die Ausstellung ‚Friedrich Ludwig von Sckell – Gartenkünstler, Stadtplaner & Fachbuchautor‘

In der Ausstellung anlässlich des 200. Todestages von Friedrich Ludwig von Sckell in der Residenz München vermittelt ein detailgetreues Gartenmodell zwischen historischen Entwürfen und praktizierter Gartenbaukunst und zeugt von einem längst verschwundenen Rückzugsort am Rande des Englischen Gartens.

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Gartenmodell Biederstein, Andreas Mayr, 1822, Ansicht von Osten. Foto: BSV/Hella Huber

Seit seiner Berufung zum bayerischen Hofgärtenintendanten betreute, erweiterte und gestaltete Friedrich Ludwig von Sckell ab 1804 den Privatgarten Kurfürstin Carolines an ihrem Sommerschlösschen ‚Biederstein‘. Ein Jahr zuvor hatte Kurfürst Max Joseph den kleinen Landsitz nördlich von Schwabing seiner Gattin überlassen. Das Anwesen diente zunächst dem engen Kreis um die Regentin als Sommerquartier und wurde später zum Alterssitz der verwitweten Königin.

Sckellscher Gartenentwurf in 3D

Im ‚Entwurf der Anlage bei Biederstein’, um 1811 wohl von Friedrich Ludwig von Sckell persönlich gezeichnet, nehmen Planungen des Gartenkünstlers zur konzeptionellen Einbindung des privaten Parks Königin Carolines und der angrenzenden Hirschau in den Münchner Volkspark Gestalt an.

Von der praktischen Umsetzung dieses Projekts im folgenden Jahrzehnt zeugt das außergewöhnliche Gartenmodell, welches 1822 von Andreas Mayr, königlicher Sekretär im Armee-Ministerium, maßstabgerecht und verblüffend detailliert gefertigt wurde.

In der Zusammenschau von Plan und Modell wird die zeitliche Dimension der mit Weitsicht präzise gedachten Gestaltungsideen Friedrich Ludwig von Sckells eindrucksvoll nachvollziehbar.

gartenplan gärtenabteilung bayerische schlösserverwaltung

‚Entwurf der Anlage bei Biederstein‘ (Ausschnitt), Friedrich Ludwig von Sckell (zugeschr.), um 1811;
BSV, Gärtenabteilung: MÜ-11-05-03

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Gartenmodell Biederstein, Andreas Mayr, 1822, Aufsicht. Foto: BSV/Hella Huber

Der gewachsene Baum- und Strauchbestand, den der Plan von 1811 zeichnerisch vorwegnimmt, ist im Modell durch hohe Baumgruppen und Sträucher – gefertigt aus getrockneten Gräsern, Flechten und Fruchtständen – realitätsnah nachgebildet. Lediglich die Neuanlage einer großen Gärtnerei im Norden des Landschaftsgartens ist noch nicht projektiert.

Zwischen Abbild und Wirklichkeit

Mit Übernahme des Landsitzes durch Königin Caroline wurde zunächst das Herrenhaus durch Hofbaumeister Franz Thurn umgestaltet und der Biedersteiner See vergrößert. Eine neue Brücke über dem Ausfluss des Schwabinger Baches band das Areal an die Hirschau und den Englischen Garten an.

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Gartenmodell Biederstein (Detail), Schrägansicht des Alten Schlosses von Osten. Foto: BSV/Hella Huber

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Altes Schloss Biederstein mit Biedersteiner See, Kupferstich 1816. Foto: BSB, Bildnr. port-003532

Im Park westlich des Schlosses gelangte man auf geschlängelten und gebogten Wegen an Wiesenflächen, Sträuchern und Baumgruppen entlang zu unterschiedlichen Staffagebauten. Ein mit Rinde verkleideter Pavillon, ein Obelisk und ein Belvedere sollten beim Spaziergänger ‚en passant‘ vielschichtige Assoziationen und Stimmungen hervorrufen.

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Gartenmodell Biederstein (Ausschnitt), Belvedere, Obelisk und Borkentempel. Foto: BSV/Hella Huber

Der Obelisk stammte aus der englischen Gartenanlage von Schloss Freudenhain des Passauer Fürstbischofs und fand in Carolines Parkanlage eine neue Aufstellung. Im Hain von Biederstein wurde die ursprüngliche Inschrift zu Ehren des Fürstbischofs gegen die Initiale ‚C’ der Königin ausgetauscht. Auch bei den Säulen des Belvederes handelt es sich um Spolien aus Schloss Freudenhain, das im Zuge der Säkularisation 1803 in bayerischen Staatsbesitz übergegangen war.

Zweigeschossig präsentierte sich das Belvedere von ca. 10 m x 10 m Grundfläche auf einer wohl aus dem Aushub des Biedersteiner Sees modellierten Anhöhe. Der elegante neoklassizistische Bau wurde 1810 nach Plänen Carl von Fischers im Stil der italienischen Renaissance errichtet. Seit 1809 arbeitete der bedeutende Architekt mit Friedrich Ludwig von Sckell in der königlichen Baukommission zusammen, die sich mit der Ausarbeitung der großen Generalpläne für die Stadterweiterung Münchens befasste.

Durch die Loggien, die halbrunden Fenster und den großen Aussichtsbalkon im Obergeschoss öffnete es sich nur zum östlichen Teil des Englischen Gartens in Richtung Isarauen. Ein ‚Aha’ – ein langgezogener, befestigter Graben- an der Grenze des Parks ermöglichte eine unverstellte Blickachse in die weite, erst kurz zuvor durch den Isardamm trockengelegte Landschaft. Vom Betreten des privaten Areals konnte es unerwünschte Besucher wohl nicht abhalten, zumal es Interessierten auf Anfrage möglich war, mit dem königlichen Gärtner sowohl den Park als auch das Schloss der Königin zu besichtigen.

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Gartenmodell Biederstein (Detail), ‚A-Ha‘ in der Blickachse des Belvederes. Foto: BSV/Hella Huber

Im Vergleich der Entwurfszeichnungen Carl von Fischers mit dem Modell-Belvedere fallen Übereinstimmungen in der architektonischen Grundform, den Säulenstellungen sowie dem Fußbodenmotiv besonders auf. Die Dachkonstruktion der Modellarchitektur lässt allerdings Walme über den beiden Eckrisaliten vermissen.

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Gartensalon am Biederstein, Aufriss (links), Grundriss (rechts), Carl von Fischer, 1810, Feder, aquarelliert. Fotos: Architektursammlung der TU München, Inv.Nr. 1969/73, FN2, 1969/32 FN1

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Gartenmodell Biederstein (Detail), Belvedere mit mediterran anmutender Koniferenimitation und Figuren. Foto: BSV/Hella Huber

Womöglich verzichtete man bei der Bemalung der Erdgeschossrückwand bewusst auf die Darstellung der halbrunden Nische mit niedriger Bank und opulenter Draperie. Das ‚illusionistisch‘ nach unten versetzte Nischengewölbe mit klassischer Kassettierung sollte offenbar eine leichte Untersicht suggerieren und somit den erhöhten Standort des Belvederes betonen. Dies könnte darauf hinweisen, dass die ursprüngliche Präsentation des Modells auf die Augenhöhe des stehenden Betrachters ausgelegt war.

Einschlägige Akten als Beleg für die Beauftragung Carl von Fischers zur Errichtung eines Belvederes in Biederstein wurden bisher nicht gesichtet. Daher ist das Gartenmodell das einzige Zeugnis von dessen Ausführung in enger Anlehnung an den Architektenentwurf. Denn bereits 1828 wird der elegante Bau auf Betreiben Leo von Klenzes abgerissen, um auf der Anhöhe ein neues Schloss als Witwensitz für Königin Caroline zu errichten.

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Biedersteiner Park mit Neuem Schloss, Luftbild um 1890. Foto: Georg Pettendorfer

Auch das ‚Neue Schloss Biederstein’ wird bereits 1934 von den Nachfahren der Königin abgerissen, das ‚Alte Schloss‘ bei Angriffen zu Ende des 2. Weltkrieges stark beschädigt und 1948 abgetragen. Durch Neubauten, Straßen und den ‚Biedersteiner Tunnel‘ im Verlauf des Mittleren Rings ist das ursprüngliche Areal heute zerschnitten und weiträumig überbaut.

Das Gartenmodell des Biedersteiner Parks von Andreas Mayr dokumentiert im Detail den vollendeten Gartenentwurf Friedrich Ludwig von Sckells im gewachsenen Zustand von 1822 und ist damit das wichtigste Dokument der historisch bedeutenden Anlage. Die Nachbildungen lehnen sich eng an die ehemalige Schlossarchitektur und Gartenstaffagen an und vermitteln wohl auch einen authentischen Eindruck der ursprünglichen Architekturfarbigkeit.

Zur Herstellung des Gartenmodells

Die dünne Grundplatte des Gartenmodells besteht aus fünf verleimten Lindenholzbrettern, die an der Unterseite durch Gratleisten gegen Werfen gesichert sind. Weiche Bodenmodellierungen des Gartengeländes sind aus dem Vollholz der Grundplatte ausgearbeitet. Lediglich die Anhöhe des Belvederes ist aus Holz oder plastischen Massen angefügt.

Die gefälzten Kanten der Grundplatte greifen in Nuten der Nussbaum furnierten Rahmenleisten ein und sind mit diesen fest verleimt. Das sorgfältig geglättete Furnier veredelte ein typisch biedermeierlicher, schellackhaltiger Glanzlack.

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Gartenmodell Biederstein (Detail), an einer abgelösten Rahmenleiste sind die Nut- und Federverbindungen sowie – im Bereich einer Fehlstelle der Grundplatte – eine eingeschobene Gratleiste sichtbar. Foto: BSV/Marie Heimmerl, Katharina Zöttl

Die Gartenarchitekturen und Zäune sind aus Pappe und Papier geschnitten, teilweise gefaltet und verleimt. Kleinere Architekturteile – Baumstämme, Zaunpfosten, Holzstapel sowie die Möbel der Gärtnerei – bestehen aus unterschiedlichsten Hölzern.

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Gartenmodell Biederstein, Gebäude am Rand der Gärtnerei, Ansicht von Ost. Foto: BSV/Hella Huber

Zugeschnittene Gläser finden für die Fenster der königlichen Gewächshäuser in der Gärtnerei Verwendung. Gräser, Flechten und Fruchtstände dienen der materialgerechten Nachbildung von Baumkronen, Sträuchern und in der Gärtnerei kultivierter Pflanzen.

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Gartenmodell Biederstein, Detail der Gärtnerei. Foto: BSV/Marie Heimmerl, Katharina Zöttl

Alle Teile des Modells sind sorgfältig bemalt. Durch Zusatz eines grobkörnigen Materials zur Leimfarbe entstanden stark strukturierte Rasenflächen.
Für die Grüntöne wurde arsenhaltiges ‚Schweinfurter Grün‘ in Ausmischung mit Pigmenten unterschiedlicher Farbigkeit analytisch nachgewiesen. Erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts synthetisch hergestellt, fand das intensiv giftgrüne Farbmittel in der Malerei des Biedermeier vielfach Verwendung. Nachdem bekannt wurde, dass die Freisetzung von Arsen aus leimgebundenem Schweinfurter Grün, insbesondere bei bemalten Tapeten, starke Vergiftungen verursacht, wurde die Verwendung des hoch giftigen Pigments bereits in den achtziger Jahren des Jahrhunderts verboten.

Konservierung und Restaurierung typischer Schadensbilder

2016 gelangte das bedeutende Gartenmodell aus Privatbesitz in die Sammlung der Gärtenabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung. Aufgrund Substanz gefährdender Schäden erfolgte nach intensiver Voruntersuchung die Evaluierung und Durchführung erforderlicher Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen in enger Abstimmung mit der Gärtenabteilung.

Bereits während früherer Maßnahmen hatte man die Holzkonstruktion des Gartenmodells überarbeitet, Teile der Rasen- und Wasserflächen mit Klebefolien und Pappen ausgebessert und farblich angeglichen.

Aufgrund der moderaten, die Gesamtaussage des Modells kaum beeinträchtigenden Veränderungen gegenüber dem Originalzustand und des besonderen dokumentarischen Charakters des Modells sollte sich die Bearbeitung der Landschafts- und Modellarchitekturen vornehmlich auf substanzerhaltende Maßnahmen beschränken.

An der Grundplatte mit umlaufenden Rahmen waren zudem auch restauratorische Eingriffe erforderlich, um das Modell zu stabilisieren und in einen ausstellungsfähigen, gepflegten Zustand zu versetzen. Denn Quell-und Schwundreaktionen durch schwankende Luftfeuchten hatten die schellackpolierten Rahmenleisten von der brettverleimten Grundplatte gelöst. An offenen Eckverbindungen war das Nussbaumfurnier ausgebrochen. Daher wurden die Rahmenleisten unter Nivellierung von Versätzen an die rechteckige Grundplatte des Modells angepasst und neu befestigt. Fehlstellen in Holz und Furnier wurden ergänzt, gekittet und retuschiert. Die gealterte Schellackpolitur wurde gereinigt und mit lösungsmittelgetränktem Ballen verdichtet.

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Gartenmodell Biederstein, während der Restaurierung, Verleimung, Ausspänung und Kittung des Nussbaum furnierten Rahmens. Foto: BSV/Hella Huber

Die unterschiedlichen Materialien des Gartenmodells – Holz, Pflanzenfasern, Papier, Leime und Farben – waren durch Alterungsprozesse chemisch verändert und teilweise versprödet. Zahlreiche Papierverklebungen an den Architekturteilen, Zäunen und Bänken hatten sich gelöst, kleine Papier- und Pappenabschnitte mitunter stark verformt. Materialspannungen hervorrufende ungünstige Klimabedingungen äußerten sich auch in abgelösten und abblätternden Farbschichten.

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Gartenmodell Biederstein, Makroaufnahme eines abgebrochenen Gräserabschnitts mit Farbveränderungen, Fehlstellen und Ablösungen der pastosen grünen Farbschicht. Foto: BSV/Hella Huber

Die als Pflanzenimitation verwendeten Gräser, Flechten und Fruchtstände waren durch Lichteinwirkung ausgeblichen und unter dem Druck großer Kronen und dicker Farbschichten verformt, zusammengesunken oder gebrochen.

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Gartenmodell Biederstein, Detail abgebrochener Pflanzenteile. Foto: BSV/Marie Heimmerl, Katharina Zöttl

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Gartenmodell Biederstein (Detail), Planzenteile nach der Restaurierung. Foto: BSV/Hella Huber

Derart geschädigte Papier- und Pflanzenteile wurden nach möglicher Zuordnung und Replatzierung bei Bedarf mit Lösungsmitteln befeuchtet bzw. bedampft, flexibilisiert und vorsichtig rückgeform. Mit adäquaten Leimen, Heißklebern und Klebefolien gelang unter Zuhilfenahme von Pinzetten, Mikro-Klemmen und kleinen Gewichten die nachhaltige Verklebung kleinster Abschnitte.

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Festigung der Pflanzenteile und Verleimung der Zaunlatten durch Mitarbeiterinnen des Restaurierungszentrums. Fotos: BSV/Hella Huber

Besonders diffizil gestaltete sich die Reinigung verstaubter und verschmutzter Oberflächen. Dazu wurden feinste Pinsel, Wattestäbchen und speziell zugeschnittene Schwämmchen trocken oder nebelfeucht verwendet. Kontaminierte Stäube wurden in speziellen Staubsaugern mit geringer und regulierbarer Saugkraft aufgefangen.

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In Vorbereitung der Sonderausstellung zeigten sich wiederum vereinzelte Schäden an dem extrem fragilen Objekt. Diese wurden erst nach dem Transport in die Residenz München unter den Klimabedingungen am Ausstellungsort bearbeitet.

Zur Schadensprävention wird das Modell in einer speziell gefertigten, klimastabilisierten Ausstellungsvitrine präsentiert, die eine Eingrenzung der Schwankungen auf einen objektgerechten Bereich zwischen 45% und 55 % relativer Luftfeuchte ermöglicht. Um Ausbleichung und Farbveränderungen an den sensiblen Materialien entgegenzuwirken, ist auch die Raum-und Vitrinenbeleuchtung an die Erfordernisse des Objekts angepasst.

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Das Gartenmodell Biederstein in der Ausstellung. Foto: BSV/Hella Huber

Das historische Gartenmodell kann noch bis zum 31.03.2024 in der Ausstellung ‚Friedrich Ludwig von Sckell – Gartenkünstler, Stadtplaner & Fachbuchautor‘ in der Residenz München besichtigt werden.

 


Titelbild: Foto: Studio Botschaft