Seit wenigen Tagen darf die Residenz einen neuen Bewohner willkommen heißen, auch wenn es sich eigentlich um einen alten Bekannten handelt, der nach vielen Jahrzehnten wieder zurückkehrt.
Natürlich handelt es sich – wie immer bei Besuch im Schloss – um höchste Prominenz, nämlich den Gott der Liebe selbst, der allerdings zurzeit nicht auf Eroberungen aus ist, sondern schläft: In einer deutlich mehr der Anmut, denn der Bequemlichkeit geschuldeten Haltung ruht Amor in Gestalt eines nackten Knaben auf einem bemoosten Felsblock. Der Bogen, mit dem er sonst seine Opfer trifft, dient nun als Stütze der im Schlummer erschlafften Hand; die Augen sind geschlossen. Der fein gemeißelte, kristalline Stein ist etwas lichtdurchlässig und so erscheint die Oberfläche der Statue bei aller perfektionistischen Glätte der Bildhauerarbeit bei richtiger Beleuchtung sanft zu atmen. Und tatsächlich lag der junge Mann in einer Art Dornröschenschlaf – im Depot der Schlösserverwaltung nämlich, wo wir uns vor einiger Zeit im Zuge diverser Umräumaktionen ernsthaft die Frage stellten, woher die Statue wohl stammen könnte. Dass es sich um eine Arbeit des späten 18 oder frühen 19. Jahrhunderts handelte, also vielleicht aus der Zeit Ludwigs I. oder auch noch seines Sohns Maximilians II. stammte, war klar, allerdings fehlten Hinweise auf den früheren Aufstellungsort. Hier halfen Glück und das systematische Suchen auf historischen Fotografien, die Räume der Residenz zeigen:
Hier tauchte der Amor schließlich auf, sanft überbelichtet und fast verdeckt von Pflanzenbewuchs. Die Statue, so war nun mithilfe dieser Bildquelle bewiesen und auch bald durch Nachschlagen im historischen Inventar bestätigt, stand nämlich ursprünglich im Wintergarten König Maximilians II. (reg. 1848-1864) hoch über dem Max-Joseph-Platz. Dort, zwischen Königbau und Nationaltheater, ziemlich genau über der Fläche des heutigen Residenztheaters hatte der König von den Architekten Franz Jakob Kreuter und August von Voit bis 1854 eine Glashalle errichten lassen, in der der oft kränkelnde Maximilian einen Wintergarten anlegen ließ. Obwohl die Anlage – vor allem im Kontrast mit den Fassaden von Königsbau und Theater – spektakulär wirkte, war sie nur die reduzierte Fassung eines ursprünglich viel größer dimensionierten Projekts. Dennoch liebte der König diesen „kleinen“ Wintergarten und nutzte ihn häufig: Wege führten zwischen den Baumgruppen entlang um Wasserbecken mit Fontänen. Ruhebänke öffneten Ausblicke – wenn wohl z. T. auch nur auf die notdürftig mit Kletterpflanzen kaschierten, nackten Wände der anschließenden Gebäude.
Natürlich ist ein königlicher Landschaftsgarten ohne die eine oder andere Figur, die Anlass zu mehr oder minder romantischem Geplänkel gibt, schwer vorstellbar. Diese Lücke füllte unser Amor. Übrigens nicht allein, sondern zusammen mit einer jungen Dame, die im leichten Nachtgewand und in etwas bemühter Stellung dicht neben dem schlafenden Gott eine Lampe emporhob.
Dem einigermaßen in seinen Klassikern bewanderten Spaziergänger des 19. Jahrhunderts reichten diese Requisiten, um die Szene entschlüsseln zu können: es handelt sich um Psyche, die schöne Prinzessin, die der – nun einmal selbst verliebte – Amor in seinen Zauberpalast inmitten eines lieblichen Gartens entführt hat. Dort verwöhnt er die spröde Schöne nach allen Regeln der Kunst, allerdings unter der im Märchen zwar üblichen aber doch fraglichen Auflage, sich den neuen Lebenspartner nicht bei Licht anzuschauen. Wie die Szene im Wintergarten zeigt, ignoriert die vernünftige Psyche diese Forderung und setzt damit eine Ereigniskette in Gang, die erst nach vielen Verwicklungen und einer langen Suche nach dem beleidigt verschwundenen Amor zu einem göttlichen Happy-End führt.
Maximilians Wintergarten wurde 1921 abgerissen, die Spur der Figuren verliert sich in den Inventaren. Umso glücklicher sind wir, dass auch wir – wie einst Psyche – nun „unseren“ Amor wiedergefunden haben und ihn unseren Besuchern präsentieren können. Träumend erwartet er seine Verehrer in unmittelbarer Nachbarschaft von Raum 54, wo heute eine Dokumentation über die königlichen Wintergärten der Residenz zu besichtigen ist.
Bei der Figurengruppe „Amor und Psyche“ handelt es sich um eine Arbeit von Claude-Martin Monot und entstand 1781 in Paris. Die Figuren standen beiderseits des Paradebettes von Herzog Carl II. August von Pfalz-Zweibrücken in dessen Schloss Carlsberg bei Homburg (heute steht das Bett in der Münchener Residenz, Schlafzimmer der ehem. Hofgartenzimmer). Dorthin gehören die Figuren eigentlich eher, vorausgesetzt, dass das Bett „à la romaine“ aufgestellt wird.
tatsächlich haben wir kurzfristig überlegt, ob wir nach einer Restaurierung der Psyche-Figur die beiden Skulpturen wieder mit den Carlsberger Möbeln zusammenführen sollten, haben uns aber vorerst zum einen aus Platzgründen dagegen entschieden, zum anderen, weil auf den historischen Fotos, die die Aufstellung des Betts in der Residenz dokumentieren, der urspüngliche Zusammenhang zugunsten der Neuaufstellung der Figuren im Wintergarten bereits aufgelöst war.
Eine schöne Trouvaille und ein höchst passendes Geschenk zum 200. Geburtstag König Maximilians II. – das will ich gerne gleich heute abend in meinem Vortrag zum Thema Max II. und die Kunst erwähnen!
(http://www.vhs-nord.de/thema-kursprogramm/koenig-maximilian-ii-von-bayern-1811-1864-und-die-kunst-vortrag-mit-bildpraesentation-y2235k)
Danke und Grüße in die Residenz!
Inspirierender Blogpost.Ich habe einige schöne Denkanstoesse bekommen. Freue mich schon auf neue Beiträge.
Toller Post. Würde gern mehr Blogposts zu der Thematik sehen. Ich freue mich schon auf die naechsten Posts.