Residenz München

Zwischen Ancien Régime und Zukunft – Herzog Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken – Teil 2

In unserem letzten Blogbeitrag haben wir ihn schon kennen- und schätzengelernt: Christian IV., den galanten, vielseitig interessierten, politisch und kulturell nach Frankreich orientierten Herzog von Zweibrücken aus dem pfälzischen Zweig der Wittelsbacher und aussichtsreicher Erbanwärter auf die Kurfürstentümer Pfalz und Bayern. Anlässlich seines 300. Geburtstags im September 2022 widmen wir dem «Prince eclairé » ein Doppel-Feature im Blog.
Heute nehmen wir besonders die Spuren, die der Herzog in der Münchner Residenz hinterlassen hat, unter die Lupe: Sind sie doch Zeugnisse verschiedener Episoden seines Lebens und seiner Begegnungen mit berühmten Zeitgenossen und mächtigen Frauen! Besondere Eindrücke hat vor allem die politische, vielleicht auch persönliche Freundschaft mit der Marquise de Pompadour hinterlassen, der offiziellen Geliebten, einflussreichen Vertrauten und politischen Beraterin König Ludwigs XV. von Frankreich, der wohl wichtigen Förderin der Pariser Kunstszene….

Von Versailles nach Zweibrücken – und München…

An diese persönliche Beziehung des Zweibrückers zu einer der berühmtesten Frauengestalten der französischen Geschichte, bei der Sympathie und Eigeninteresse einander die Waage hielten, erinnert in der Residenz heute noch ein Gemälde, das vormals als Supraporte Verwendung fand. Zusammen mit einem deponierten Pendant präsentiert es ein geheimnisvoll-sinnliches Haremsleben im Orient, wie man es sich aufgrund verschwommener Berichte im Abendland des 18. Jahrhunderts ausmalte:

Lässig auf üppige Polster hingestreckt lässt sich eine schöne Odaliske in farbigem Dolman und leichten Seidenhosen den Kaffee in exotischem Porzellan reichen, in der Hand eine zierlich geschnitzte Tabakspfeife. In jener verwöhnten Favoritin eines mächtigen Sultans ist dank ihrer charakteristischen Gesichtszüge unschwer die Geliebte des französischen Königs zu erkennen – Madame de Pompadour persönlich. Mit dieser erotisch-galanten Vision ihrer selbst im Serail von Konstantinopel schmückte die königliche Mätresse das Schlafzimmer ihres Schlosses Bellevue, das sie 1754 im modernen „goût turque“ einrichten ließ. Christian IV. war das hoch über dem Seineufer auf halbem Wege zwischen Paris und Versailles gelegene Bellevue, eines der gelungensten (heute leider verschwundenen) Bauprojekte der künstlerisch sensiblen Marquise, wohl vertraut – hier veranstaltete die Pompadour Feste für ihren „cher prince“. Auch übersandte sie ihm die Baupläne nach Zweibrücken, um Anregungen für das dort ab 1752 errichtete Schloss Jägersburg zu geben. Doch nicht nur mit dem lebenden Modell dieser anspielungsreichen „Turquomanie“ unterhielt Christian IV. freundschaftliche Kontakte, sondern auch mit dem Maler, dem Akademiedirektor und „Premier Peintre du Roi“, Carle Van Loo (1705-1765). In seinen Erinnerungen berichtet der Zweibrücker Hofmaler Mannlich, wie sein Herzog ihn bei dem berühmten, von Voltaire und Diderot gepriesenen Van Loo einführte und ihm später eins von dessen prominentesten Werke präsentierte:

C.A. van Loo - Mlle Clairon als Medeea (

C.A. van Loo – Mlle Clairon als Medea („Kleine Version“), 1760, Potsdam, Neues Palais

Das Rollenbild einer – neben Pompadour – weiteren großen Verführerin der Pariser Gesellschaft: Mademoiselle Clairon von der Comédie Française in ihrer Paraderolle als „rächende Medea“. So ähnlich wie die berühmte Schauspielerin in ihrem Salon im Angesicht ihres mythologischen Porträts Hof hielt, darf man sich wohl auch die Pompadour, umgeben von den schmeichelnden Malereien ihrer „Chambre à la turque“ vorstellen! Zeugnis des Eindrucks, den solche Inszenierungen auf ihre Bewunderer ausübten, ist der gleichermaßen kunstbeflissene wie diplomatische Wunsch Christians IV., „zu erlauben, dass die Herrn Boucher und Van Loo Gemälde, die sie die Ehre hatten von Ihnen zu malen, für mich kopieren“. Seine berühmte Freundin entsprach diesem Begehr und Anfang 1764 konnte Mannlich Bouchers Porträt der Pompadour entgegennehmen, eine Variante des heute in der Münchner Pinakothek ausgestellten Gemäldes. Schriftlich dankte Christian für das „précieux monument de Votre souvenir“, das aber im Übrigen dem Herzog anscheinend wenig gefiel, abgesehen von der lässig hingegossenen Körperhaltung, die er Mannlich für ein Bildnis seiner herzoglichen Gemahlin übernehmen ließ. Es ist anzunehmen, dass auch die Münchner Kopien nach Van Loos Haremsfantasien, die sich heute als Zweibrücker Erbe in der Residenz befinden, in diesem Zusammenhang entstanden sind. Vermutlich ist damals auch das dritte im Schlafzimmer der Marquise dokumentierte Gemälde, eine musizierende Odaliske, kopiert worden, denn das Gemälde einer „femme turque jouant du luth» von Van Loo wird unter den im Hôtel Deux-Ponts verbliebenen Bildern erwähnt, die nach dem Tod des Herzogs 1778 in Paris verkauft wurden. Gelangten die beiden übrigen Van Loo-Kopien zu seinen Lebzeiten also überhaupt nach Zweibrücken? Dort fand ein Großteil von Christians Gemäldesammlung Platz im Schlösschen seiner morganatischen (d.h. nicht standesgemäßen) Gattin, der schönen Maria-Anna Fontvieux, besser bekannt als Marianne Camasse (1734-1807), die 1756 zur Gräfin Forbach erhoben wurde. Als vormalige Tänzerin an der Mannheimer Oper, begabte Actrice im höfischen Liebhabertheater, wie auch als „Ehefrau zur linken Hand“ dürfte die Comtesse für die Rollenporträts der „heimlichen Königin Frankreichs“ durchaus ein (vielleicht mit Eifersucht gewürztes) Interesse gehabt haben!

Das Pompadour-Porträt im sog.

Das Pompadour-Porträt im sog. „Zimmer der Ewigkeit“, R. 106, historische Aufnahme 1895

Im 19. Jahrhundert wurden die mittlerweile nach München gelangten Gemälde als Supraporten in den frühbarocken Steinzimmern der Residenz angebracht, wo ihre elegante Rokoko-Anmut auf historischen Fotografien seltsam mit der wuchtigen Schwere des Stuck- und Scagliola-Dekors des frühen 17. Jahrhunderts kontrastiert. Wann dies genau geschah, geht aus den Inventaren nicht eindeutig hervor, aber vermutlich bildeten die Gemälde schon früh einen Teil der Ausstattung des Staatsappartements für den letzten pfalz-bayerischen Kurfürsten und ersten bayerischen König – Christians jüngerem Neffen Max I. Joseph. Seit seinem Umzug nach München 1799 residierte dieser in den Steinzimmern und suchte den dort vorgefundenen altmodischen Prunk mit dem ererbten Inventar seines Onkels und seines Bruders zeitgemäßen Glanz und Komfort zu verleihen.

Große Oper in Wolle und Seide

Dem diente auch die Ausstattung der „Steinzimmer“ mit einer kostbaren Serie von vier Bildteppichen aus den Werkstätten der berühmten Pariser Gobelinmanufaktur, die rund ein halbes Jahrhundert zuvor von Christian IV. in Auftrag gegeben worden war. Es handelt sich um eine Ausführung der als „Fragments d’Opéra“ bekanntgewordenen Folge, die Szenen aus zwei bekannten Tragédies lyriques Jean-Baptiste Lullys, nämlich „Armide“ und „Roland“, vereint. Die Gemälde, die als Vorlagen für diese gewebte Serie graziöser Rokoko-Szenerien dienten, in denen verliebte Ritter und Schäfer, schöne Magierinnen und monströse Dämonen inmitten von Zaubergärten und lieblichen Grotten auftreten, hatte bereits um 1730 der Maler Charles-Antoine Coypel geschaffen. 1769 erwarb Christian IV. eines dieser Gemälde, das den Abschied des Kreuzfahrers Renaud von seiner verzweifelten Geliebten Armide zeigte, zusammen mit einem anderen Bild Coypels für 1808 livres auf einer Pariser Kunstauktion (heute verschollen). Es wird ihm als eine reizvolle Ergänzung der schon Jahre zuvor für sein Pariser Stadtpalais bestellten Tapisserien erschienen sein. Der größte Teppich der Folge zeigt die Zauberin Armide, die, den Dolch in der Hand, den schlafenden Renaud töten will, als sich plötzlich beim Anblick des schönen Feindes ihr Hass in Liebe wandelt. Die Arie, die diesem rasanten Gefühlswandel Ausdruck verleiht, zählte zu den musikalischen Glanzpunkten des französischen Opernrepertoires und belegt eindrucksvoll das Interesse der Epoche an der künstlerischen Interpretation extremer menschlicher „passions“. Dies verbindet den Teppich in der Residenz übrigens mit Van Loos oben erwähnten Rollenporträt der Clairon als rachsüchtig-liebender Medea, das Christian IV. und Mannlich so bewunderten! C. W. Gluck, Büste v. P. P. Schöpf nach Dannecker, 1839, Residenz MünchenBesonderen Reiz als Kunstwerk wie als Zeitdokument gewinnen die Münchner Armide-Tapisserien, weil die Räume des Hôtel Deux-Ponts, in denen sie ursprünglich hingen, ab 1774 auch den berühmten Komponisten und Opernreformator Christoph Willibald Gluck (1714-1787) samt seiner Familie beherbergten. Unterstützt durch seine einstige Schülerin, die Dauphine Marie Antoinette, war Gluck nach Paris gekommen, um seine neuartigen Bühnenwerke an der einst von Lully begründeten Académie royale de Musique aufzuführen – und sich mit großen Teilen der französischen Musikszene anzulegen! In dem ausbrechenden „Kulturkampf“ zwischen Gegnern und Anhängern Glucks, der die öffentliche Debatte beherrschte, stellte sich Christian IV. mit seinem Einfluss vor den gleichermaßen genial-cholerischen wie undiplomatischen Komponisten – aus künstlerischem Interesse und vielleicht auch ein wenig als Parteimann der neuen Dauphine aus dem Hause Habsburg-Lothringen, deren Unterstützung der Herzog damals suchte, um die von ihm gewünschte Ehe seines Neffen Max mit einer lothringischen Prinzessin zustande zu bringen. Schließlich sollte Gluck triumphieren und sogar 1777 noch eine eigene Version der Lully’schen „Armide“ auf die Bühne bringen – vielleicht inspiriert vom Wandschmuck des gastfreundlichen Hôtel Deux-Ponts? – wer weiß…

Epochenwechsel…

Christian IV., J.W. Hofnaas, um 1775

Christian IV. hat Glucks „Armide“ nicht mehr applaudieren können – schon 1775 starb der Zweibrücker Herzog überraschend mit erst 53 Jahren an einer zunächst unerkannten Lungenentzündung in seinem Jagdschlösschen Pettenheim. Ein unerwarteter und doch auch ein Stück weit symbolischer Abgang, der, wie um das Ende einer Epoche zu markieren, nur wenige Monate nach dem Tod von Christians langjährigem Freund und Jagdgefährten Ludwig XV. erfolgte. Der Zweibrücker Traum von Macht und Herrschaft sollte sich erst etliche Jahre später für Christians Neffen und Nachfolger Max Joseph erfüllen, allerdings nun vor dem drohenden Hintergrund der Französischen Revolution und der folgenden Koalitionskriege, in denen die befreundete Dynastie der Bourbonen und die Versailler Hofgesellschaft hinweggefegt wurden: Statt mit Pompadours und Bourbonen sollte Max I. Joseph ein Bündnis mit Frankreichs neu aufgestiegenem Herrscher Napoleon schließen… Der kultivierte Genussmensch Christian IV. steht so für den letzten, im Rückblick scheinbar idyllischen Glanz des späten Ancien Régime (der die Konflikte des Zeitalters nicht wahrnimmt). Zugleich aber repräsentiert er den Aufbruch in einen neuen Abschnitt pfalz-bayerischer Geschichte: Entstammen doch der von ihm geführten kleinen Nebenlinie in direkter Deszendenz alle bayerischen Könige des 19. Jahrhunderts. Von dieser die Landesgeschichte formenden Zufälligkeit legen die Kunstwerke der Münchner Residenz, die Christians ehemaliger Hofmaler Mannlich einst inmitten chaotischer Kriegswirren nach München rettete, bis heute sinnlich faszinierendes Zeugnis ab.