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Ludwig II. vs. Brill, Schmid, Pfeiffer & Co. – oder: Wie kann man Demokratie für das breite Publikum attraktiv machen?

Ein Gastbeitrag von Monika Franz, Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit //

Am 10. August 2023 wird die neue Dauerausstellung zum Verfassungskonvent von Herrenchiemsee im Jahre 1948 eröffnet. Sie wird von der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen gemeinsam mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit konzipiert, am 11. August öffnen sich ihre Tore für das Publikum.

Weil der Verfassungskonvent ein bedeutender Ort der deutschen und bayerischen Demokratiegeschichte ist, wird die Ausstellung von einem laufend aktuellen Bildungsprogramm begleitet, das Publikationen und Veranstaltungen für unterschiedliche Zielgruppen vorsieht. An diesem Ort wird erfahrbar: Die Experten haben 1948 bei dem Konvent die Grundlagen für unsere heutige Demokratie gelegt, wir stehen auf ihren Schultern.


 

Die Herreninsel inmitten des „bayerischen Meeres“ ist fraglos ein wunderschöner Ort, für viele der schönste in ganz Bayern. Man könnte sogar etwas zugespitzt sagen, Herrenchiemsee sei doch so eine Art Miniatur dessen, was Bayern ausmacht und was viele daran so lieben. Die wundervolle Natur: (im guten Fall) blauer Himmel, die Berge zum Greifen nah, der glitzernde See. Die bayerische Lebensart: sitzen an der Schlossfontäne mit einem Kaffee oder einem Bier in der Schlosswirtschaft. Bedeutende Kultur: die klösterliche Anmut des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstifts, der Inseldom, die Chiemseemaler – und natürlich das weltberühmte Highlight, das prunkvolle Neue Schloss Ludwigs II.

Neues Schloss Herrenchiemsee, Foto: Anton Brandl

Neues Schloss Herrenchiemsee, Foto: Anton Brandl

Obwohl nicht vollendet, repräsentiert es die ganze Pracht der Wittelsbacher Monarchie. Allein der Schreibtisch des Königs oder das Tischlein-deck-dich beflügeln die Phantasie der Menschen. Die schillernde Gestalt des mithin nicht unumstrittenen Königs Ludwig II. setzen dem Ganzen, salopp gesagt, ein Promi-Mystik-Sahnehäubchen auf. ‚Hat ER hier wirklich geschlafen?‘, fragen viele Monarchiebegeisterte in den Führungen. Das verleiht dem Ort schon einen halb-sakralen Anstrich. Manche bewundern den hemdsärmelig sogenannten „Kini“, der tatsächlich alles andere als volksnah war, während andere finden, dass er als historische Gestalt völlig überschätzt sei und ihm sowieso viel zu viel Aufmerksamkeit zukomme. Diese Pluralität ist o.k. so, erinnerungspolitisch hat sich das Phänomen Ludwig II. ohnehin von der Kette losgerissen. Freilich, die meisten kommen natürlich auch vielleicht einfach wegen der spektakulären (Innen-) Architektur.

Porträtgemälde, König Ludwig II. als Großmeister des St. Georgs-Ritterordens, Gabriel Schachinger, 1887, Herrenchiemsee, Ludwig II.-Museum

Porträtgemälde, König Ludwig II. als Großmeister des St. Georgs-Ritterordens, Gabriel Schachinger, 1887, Herrenchiemsee, Ludwig II.-Museum

Und genau hier liegt ein großes Faszinosum für alle, die sich ein bisschen für Geschichte, politische Bildung oder Erinnerungskultur interessieren: Während 350.000 Menschen pro Jahr magisch angezogen von der Pracht des Schlosses gleich nach der Anlandung per Fähre Richtung Südosten streben, wo das monarchische Gesamtensemble samt eleganter Sichtachse zu bewundern ist, geht die große Mehrzahl – bis auf 70.000 von ihnen – an der aus demokratischer Sicht eigentlichen Perle der Insel vorbei – nämlich dem im Vergleich unscheinbaren ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift, wo der sogenannte Verfassungskonvent von Herrenchiemsee tagte. In nur 13 Tagen schufen hier rund 30 Experten im August 1948 die Grundlage des Grundgesetzes in Form eines Entwurfs, von dem der Parlamentarische Rat wesentliche Passagen übernahm.

Augustiner-Chorherrenstift und Ort des Verfassungskonvents

Augustiner-Chorherrenstift und Ort des Verfassungskonvents

Betrachtet man nur die architektonische Hülle der zwei historischen Orte, ist die Einseitigkeit der Attraktivität nachvollziehbar: Da ist das Schloss konkurrenzlos. Doch hinsichtlich ihrer Relevanz für uns heute, für unseren demokratischen Staat, aber auch für jeden/jede von uns als Individuen ist eindeutig festzustellen: Die eigentliche Sensation auf dieser Insel liegt nicht hinter der Prunkfassade des Schlosses, sondern hinter den kargen Klostermauern.

Foto von einer Plenarsitzung des Verfassungskonvents, Foto Berger, Prien

Plenarsitzung des Verfassungskonvents, August 1948, Foto Berger, Prien

Von seinem Erscheinungsbild her hat der Konvent freilich wirklich nicht so viel zu bieten. Auf den wenigen erhaltenen Bildern sind meist gesetzte Herren mit Krawatten und vollgestopften Aktentaschen zu sehen, die sich Zigarre rauchend über unscheinbare Papierstapel beugen: Sie sind, obschon mehrere von ihnen, wie etwa Carlo Schmid oder Hermann Brill, prominente Politiker ihrer Zeit waren, heutzutage ziemlich unbekannt. Auch die Utensilien der Demokratie sind unspektakulär. Als Highlight zum Alltag des Konvents selbst kann man verkaufen, dass die Sitzungen auch auf den Wiesen rund um das Konventsgebäude stattfanden; oder dass die hochmögenden Herren sich zum Teil ein Zimmer teilen mussten. Auch nicht gerade swag.

Doch macht man sich erst die Mühe, sich etwas auf dieses Ereignis einzulassen, stößt man auf eine veritable Sternstunde der Demokratiegeschichte. Großartige Sätze wie „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“ mögen heute selbstverständlich erscheinen; nur drei Jahre nach der Befreiung und dem von außen Zusammenbruch des NS-Regimes wurden damit auf der Herreninsel aber völlig neue Maßstäbe gesetzt. Der Verfassungskonvent hat zurecht einen prominenten Platz unter den deutschen und auch bayerischen Orten der Demokratie.

Die Ministerpräsidenten der westlichen Besatzungszonen hatten dieses Gremium von ca. 30 Verfassungsexperten einberufen – Frauen hatten nur als Sekretärinnen und Bedienungen eine tragende Rolle –, um für den Parlamentarischen Rat, der ab September tagte, einen Verfassungsentwurf zu formulieren. Der Auftrag dazu war von den westlichen Besatzungsmächten ergangen: Sie überreichten am 1. Juli die sog. „Frankfurter Dokumente“. Darin wurde verfügt, dass die Westdeutschen nun drei Jahre nach dem Krieg einen eigenen Staat gründen sollten. Es ging um nichts weniger als die Errichtung der zweiten Demokratie auf deutschem Boden. Dabei saßen die Schrecken der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft noch allen in den Knochen – und die Deutschen hatten sich unter den zivilisierten Nationen völlig diskreditiert.

Die Herausforderungen waren riesig – denn es mussten viele Antworten darauf gefunden werden, warum die Weimarer Verfassung letztlich die Etablierung einer mörderischen Diktatur nicht hatte verhindern können, warum es trotz schon in dieser Verfassung festgeschriebenen Grundrechte möglich gewesen war, eine beispiellose Menschenjagd auf Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma zu entfesseln. Sie mussten das Gefüge zwischen Länder- und Bundesebene neu austarieren und eine Finanzverfassung finden, die nicht Schlagseite zugunsten einer Ebene hatte. Sie mussten beantworten, wie ein repräsentatives parlamentarisches System mit stabilen „checks and balances“ versehen werden konnte, und vieles mehr. Dass das Grundgesetz eine große, auch über Deutschland hinaus strahlende Erfolgsgeschichte werden würde, stand 1948/49 keineswegs fest.

Das Bonner Grundgesetz, Verlag August Lutzeyer, 1950

Das Bonner Grundgesetz, Verlag August Lutzeyer, 1950

Doch wie bringt man Menschen dazu, sich auf die Bedeutung dieser Fragen einzulassen?

In einem Interview in dem zur Eröffnung der Ausstellung erscheinenden Themenheft wird gesagt: „Wenn Demokratie nicht sexy ist, dann muss man sie halt dazu machen!“

Die neue Dauerausstellung stellt sich dieser Herausforderung – Ihr seid herzlich eingeladen.