Residenz München

Eine Spirale der Gewalt? Die Trajanssäule in der Schatzkammer der Residenz

Detail der Trajanssäule

„Hier [in der kurfürstlichen Gemäldegalerie am Münchner Hofgarten] steht auch das vornehme Spielwerk, die Trajanische Säule im Modell. Der Grund ist Lapislazuli, die Figuren verguldet. Es ist immer ein schön Stück Arbeit, und man betrachtet es gern“. Das berühmte Zitat des Dichterfürsten und Turbo-Touristen Goethe, 1786 auf fluchtartiger Durchreise Richtung Italien für wenige Stunden in München, bezieht sich auf ein Hauptwerk in der Schatzkammersammlung der Residenz: Die in extremer, kunstfertiger Verkleinerung ausgeführte Replik der antiken Trajanssäule in Rom, gefertigt aus kostbarsten Materialien.

1783 hatte der pfalz-bayerische Kurfürst Karl Theodor (reg. 1777/78-1799), auf Besuch in der Ewigen Stadt, das ohne Postament rund zwei Meter hohe Kunstwerk aus Marmor, Lapislazuli, vergoldetem Silber und Goldbronze vom römischen Goldschmied Luigi Valadier für die wenig geliebte bayerische Heimat erworben. In München ließ Karl Theodor das opulente Mitbringsel in seiner neu eingerichteten Gemäldegalerie aufstellen, die gemäß den Maximen einer aufgeklärten Kulturpolitik öffentlich zugänglich war. In gepflegtem Latein wurde das Kultur-Investment, das einheimischen Kunstjüngern die kostspielige Italienreise sparen sollte, auf der Sockel-Kartusche verewigt: „Karl Theodor stiftete dies, in der Ferne seiner bayerischen Heimat gedenkend, im Jahr 1783“.

Der Sockel der Säule selbst ist akribisch dem Original nachgebildet samt der dort gesetzten antiken Inschrift

Der Sockel der Säule selbst ist akribisch dem Original nachgebildet samt der dort gesetzten antiken Inschrift.

Goethes Lob (der hinsichtlich der Münchner Kunstlandschaft ansonsten recht kritisch war) ist verständlich, aber auch die leicht maliziöse Färbung seines Kommentars: Nicht nur war der Dichter ja extra auf dem Weg nach Rom, um sich – statt vor Nachahmungen – in Anschauung der antiken Originale wahrhaft zu erbauen. Sondern die Goldschmiede, Ziseleure und Steinschneider hatten sich mit ihrem „schön Stück Arbeit“ gleich auch an eine besonders „heilige Kuh“ gewagt, nämlich an eine der monumentalsten Kunst- und Propagandaleistungen, die uns die römische Antike überlieferte: Die 112/113 n. Chr. über vierzig Meter hoch getürmte Triumphsäule des Kaisers Trajan (reg. 89-117 n. Chr.)!

Heute ragen statt antiker Prachtbauten barocke Kirchenkuppeln hinter der Trajanssäule auf!

Heute ragen statt antiker Prachtbauten barocke Kirchenkuppeln hinter der Trajanssäule auf!

Trajan ließ die monumentale Ehrensäule aus Marmor im hinteren Teil des weitläufigen Forums errichten, das der Architekt Apollodor von Damaskus am Fuße des römischen Kapitolshügels für ihn anlegte. Ursprünglich erhob sich das schlanke Monument auf engem Raum zwischen zwei öffentlichen Bibliotheksgebäuden, von deren Fenstern und Terrassen aus seine einst farbig gefassten Reliefs einigermaßen nahsichtig betrachtet werden konnten. Ein spiralförmig um den Schaft laufender Fries, der „auseinandergerollt“ ca. 200 Meter misst, schildert die vier Kriege Trajans gegen die Daker, die im Bereich des heutigen Rumäniens siedelten. Rund 2500 Figuren berichten in zahllosen, ruhmredigen Szenen, wie die römischen Legionäre erfolgreich an der östlichen Peripherie des Reiches Ordnung schafften – dank des Militärgenies ihres zig-fach in Stein gemeißelten Imperators (und hin und wieder mit etwas göttlicher Unterstützung). Zudem barg der Sockel der durch eine interne Wendeltreppe erschlossenen Säule die Aschenurne des Trajan und erhob so das gigantomane Triumphzeichen zugleich zum imperialen Grab- und Erinnerungsmal des vergöttlichten Herrschers. Die vergoldete Bronzestatue des Kaisers, die ursprünglich an der Spitze der Säule geglänzt hatte, ging allerdings schon im Mittelalter den Weg alles Irdischen und wurde eingeschmolzen. Seit 1587 bekrönt stattdessen der Apostelfürst Petrus das antike Wunderwerk und stellt das heidnische Siegesmonument diskret unter christliche Observanz. Dazu passte auch, dass die durch Kunst und Geschichtsschreibung geformte Überlieferung den Trajan trotz seiner Abgötterei als Tugendexempel für Europas Herrscher vorstellte: Schließlich hatte er nicht nur das Imperium in erfolgreichen Feldzügen zu seiner größten Ausdehnung geführt, sondern auch als überaus pflichtbewusster und tugendhafter „guter Kaiser“ die Regierungsgeschäfte ausgeübt!

In der Residenz erscheint Trajan an der Decke des barocken Audienzzimmers der Kurfürstin Henriette Adelaide aus den 1660er Jahren: Als gerechter Herrscher schiebt er die dringende Abreise an die Front auf, um einer armen Witwe Recht zu sprechen.

In der Residenz erscheint Trajan an der Decke des barocken Audienzzimmers der Kurfürstin Henriette Adelaide aus den 1660er-Jahren: Als gerechter Herrscher schiebt er die dringende Abreise an die Front auf, um einer armen Witwe Recht zu sprechen.

Die in Stein gemeißelte Bildpropaganda, die über Jahrhunderte hinweg unverrückbar zwischen den Ruinen der Kaiser-Foren emporragte, erregte zu allen Zeiten international ehrfürchtige Bewunderung und den Wunsch, es den antiken Herrschern gleichzutun. So ließ etwa Jean-Baptiste Colbert, „Superminister“ unter Ludwig XIV., in den 1660er-Jahren Abgüsse der Reliefs anfertigen und den französischen Kunstakademien als Anschauungsmaterial zur Verfügung stellen.

Kopie und Original - die gemeißelten Friesfiguren sind etwa 70 cm groß, die bronzenen Krieger messen dagegen zwischen drei und vier Zentimetern

Kopie und Original – die gemeißelten Friesfiguren sind etwa 70 cm groß, die bronzenen Krieger messen dagegen zwischen drei und vier Zentimetern

Im Jahr 1667 publizierte schließlich der Antiquar, Kupferstecher (und künftige Aufseher der päpstlichen Antikensammlung) Pietro Santo Bartoli (1635-1700) sein Stichwerk über die „Colonna Traiana“: Graphiken, die mit praktisch wissenschaftlichem Dokumentationsanspruch und akribischer Detailfülle die Reliefs der Säule ganz nah vor’s Auge rückten und die lebensgefährliche Kletterei begeisterter Antikenfreunde obsolet machten. Der gewissermaßen als archäologischer Zeichner agierende Bartoli legte damit eine viel genutzte Bilddatenbank für Altertumsforscher „avant la lettre“ vor, auf die auch die „Macher“ unserer Säule – Luigi Valadier und Mitarbeiter – für ihre Umsetzung ins plastische Miniaturformat zurückgriffen.

Der umtriebige Valadier war ein Multitalent und im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts sicher der gefragteste Goldschmied der Ewigen Stadt. Seine Arbeiten wurden nicht nur vom päpstlichen Hof, sondern auch von der europäischen Aristokratie gekauft, die sich auf der obligatorischen „Grand Tour“ durch Italien die römische Klinke in die Hand gab. Die einstigen Herrlichkeiten der antiken Hauptstadt der Welt zu rekonstruieren lag dem Künstler am Herzen – so konnten englische Lords aus kostbaren Hartsteinen und Goldbronze gefertigte Miniatur-Nachbauten des Circus Maximus oder der Forums-Tempel als Tafelaufsätze erwerben und in die nebelfeuchte Heimat verschicken! Mit ihren feinen, goldglänzenden Reliefs auf dunklem Lapislazuli-Steingrund gehört auch die Münchner Säule, das „vornehme Spielwerk“, thematisch am ehesten in diese Kategorie (wenn auch nicht auf eine reale Festtafel). Leider waren Valadiers noble Kunden selten Exponenten römischer Tugend („Virtus“), sondern recht nachlässig in ihrer Zahlungsmoral, so dass der arme Meister mit seiner kostspieligen Produktion zuletzt arg ins Gedränge kam und sein Leben schließlich verzweifelt in den Fluten des Tibers beendete!

Die konkrete Arbeit an den meterlangen winzigen Goldreliefs führten im Wesentlichen zwei Goldschmiede von jenseits der Alpen durch: Naglers Künstlerlexikon berichtet von Peter Ramoser und Bartholomäus Hecher, die in Valadiers Werkstatt tätig waren (Hecher hat mit der Jahreszahl 1774 am unteren Rand des Reliefbandes signiert).

Statt des Apostelfürsten Petrus setzten die Künstler eine Miniatur-Rekonstruktion der verlorenen Trajans-Statue auf die Spitze der Münchner Säule

Statt des Apostelfürsten Petrus setzten die Künstler eine Miniatur-Rekonstruktion der verlorenen Trajans-Statue auf die Spitze der Münchner Säule.

Im diffusen Licht der Münchner Schatzkammerräume ist die enorme Leistung der klassizistischen Künstler fast nur als großes Ganzes zu würdigen, das vielleicht Manchen auch vor allem zum staunenden Kopfschütteln animiert. Nicht von ungefähr diskutieren Archäologen bis heute darüber, wie intensiv Trajans Zeitgenossen die in schwindelnder Höhe angebrachten Reliefs tatsächlich studieren konnten und sollten (vertikal? Oder treppauf, treppab in steter Umwanderung ?– oder vielleicht sowieso nur summarisch?). Auch Karl Theodors schimmerndes Rom-Souvenier verlangt vom Betrachter Zeit und den Willen sich auf das Bildstudium einzulassen – sowie sehr gute Augen (oder ein Opernglas). Wir wollen Lust machen mit ein paar Details, die – wie die originalen Marmorreliefs – bis heute eine Fülle interessanter Informationen bieten über Sitten, Kleidung, Ausrüstung und Kriegsführung der Legionen, über den antiken Blick auf das Eigene und das Fremde – hier: den „barbarischen“, aber irgendwie auch edlen (und zum Glück besiegten) Daker-Fürsten Decebalus und seine Krieger mit den exotisch langen Hosen – los geht’s:

Auf mittlerer Höhe graviert die geflügelte Siegesgöttin die Triumphe von Trajans Armeen auf ihrem Schild ein.

Besorgt betrachtet Flussgott Danubius/Donau die Soldaten, die auf einer Schiffsbrücke seine Fluten Richtung Daker-Land überqueren…

Auch die Götter werden mit gestreutem Weihrauch auf die Fährte des Sieges angesetzt – in einer der auf der Säule häufig dargestellten Opferszenen!

Von einem Podest aus hält der stehende Feldherr mit rhetorisch sprechenden Gesten seine Rede, die „allocutio“, an die angetretenen Legionäre.

Asterix lässt grüßen: Etwas schlecht erkennbar bemüht sich ein Trupp Legionäre rechts, mit den Schilden den berüchtigten „Schildkrötenpanzer“ zu bilden!

Göttervater Jupiter schenkt als himmlischer Schlachtenlenker den römischen Truppen den Sieg…

Auf der vorletzten Säulenwindung, nur wenige Schritte unter der Statue seines siegreichen römischen Gegners, gibt sich der Dakerfürst Decebalus nach verlorenem Kampf den Tod.

Zeit für Kultur! Stilisiert, aber erkennbar zeigt das Relief einen Theaterbau in einer römischen Stadt am Ostrand des Imperiums – der halbrunde Trichter des Auditoriums wird von der geraden Architektur-Schauwand der Bühne, der frons scenae, abgeschlossen.

 

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