Residenz München

Starke Männer kriegen Verstärkung: Herkules-Darstellungen in der Residenz

Endlich ist es soweit: nach langer Restaurierung ist der um 1779/81 geschnitzte Figuren-Zyklus der Herkulestaten des kurfürstlichen Hofbildhauers Roman Anton Boos (1733-1810) in der Residenz wieder komplett: Und angesichts des Schwergewichts der mächtigen Preis-Ringer sowie der beeindruckenden Gesamtfläche aus hölzernen Muskelbergen, deren Fassung es zu sichern, retuschieren und zu überarbeiten galt, kann man wahrlich sagen, dass es sich in mancher Hinsicht auch hier um eine „herkulische Arbeit“ gehandelt hat, die dem berühmten Dodekathlos kaum nachsteht: das ist der feine griechische Fachausdruck für den Katalog der zwölf Aufgaben, die der mythologische Halbgott einst meistern musste und denen er seinen seit der Antike anhaltenden Ruhm in der bildenden Kunst der westlichen Welt verdankt. Denn die erfolgreichen Kämpfe gegen allerlei sagenhafte Plagen des Altertums zum Wohle der gepeinigten Menschheit und die feine Abkunft des Herkules (griechisch: Herakles) — sein olympischer Erzeuger war der Göttervater persönlich! — machten den starken Mann mit der Keule und dem Löwenfell schon früh zur weitaus beliebtesten Identifikationsfigur für die meist nicht ganz so wie er fitnessgestählten Potentaten auf Europas Thronen.

Auch über der barocken Kaskade des fürstsbischöflichen Sommerschlosses Seehof bei Bamberg thront ein stolzer Herkules umtost von Wasserstrahlen...

Auch über der barocken Kaskade des fürstbischöflichen Sommerschlosses Seehof bei Bamberg thront ein stolzer Herkules, umtost von Wasserstrahlen …

Kein noch so unbedeutender Kleinfürst im Heiligen Römischen Reich zögerte, eine sonst unbescholtene Ur-Ahnfrau zu einer flüchtigen Geliebten des göttlichen Globetrotters zu erklären, der auf dem Weg zum nächsten Abenteuer hier in Hochniedertupfingen-Kronenburg kurz die Wurzel für ein ruhmreiches Geschlecht kleiner Herkulesse gepflanzt habe. Und Gleiches galt natürlich in umfassenderem Maßstab auch für die „großen Tiere“ im Kurfürstenkollegium oder Kaiserhaus! Bei solchen mythologisch verbrämten Glorifizierungen der eigenen hochmögenden Person kümmerte es dann wenig, dass der etwas tumbe Herkules schon von antiken Schriftstellern mehr als „muscle“, denn als „brain“ eingeschätzt worden war. Zudem stellt sich beim genauen Studium von Sage und Legende der Actionheld in bester Marvel-Comics-Tradition als ziemlich ambivalenter Charakter mit einem mittelschweren Aggressionsproblem heraus: Die gepriesenen zwölf Taten waren nämlich Straf- und Sühnearbeiten, nachdem Herkules im Wahn kurzerhand Frau und Kinder hingemordet hatte! Natürlich kam dieses unschöne Stück Familiengeschichte in der fürstlichen Bildpropaganda der Frühen Neuzeit nicht zur Sprache. Stattdessen richtete sich der Fokus auf die übermenschliche Stärke, die göttliche Abkunft, die zahlreichen Siege und amourösen Triumphe über Männer, Frauen und Ungeheuer sowie – als finaler Clou – die letztendliche Aufnahme des vielgeprüften Tugendhelden in den Olymp sowie sein Upgrade vom fünfzig- zum hundertprozentigen Gott! Besonders schön war, dass man in Schloss und Park immer gleich ganze Serien von Herkulestaten mit dem eigenen Herrscherdasein in Bezug setzten konnte, man bekam also Klasse UND Masse!

Eine verkleinerte Bronzekopie des Farnesischen Herkules aus dem 17. Jh. bewacht auch die Steinzimmer der Residenz!

Eine verkleinerte Bronzekopie des Farnesischen Herkules aus dem 17. Jh. bewacht auch die Steinzimmer der Residenz!

Boos‘ Figurenzyklus ist ein gutes Beispiel für die Langlebigkeit der hier skizzierten Bildtraditionen: Dies zeigt sich bereits daran, dass der Bildhauer selbst in seinen geschnitzten Kolossen variantenreich die wohl berühmteste Herkulesdarstellung paraphrasierte, die uns aus dem griechisch-römischen Altertum überliefert ist: Den gewaltigen, viel bewunderten und oft kopierten „Herkules Farnese“, der Stolz der gleichnamigen italienischen Adelssippe, die diesen archäologischen Glücksfund im 16. Jh. in ihrem römischen Palazzo aufstellte, bevor er von den spanischen Königen im 18. Jh. nach Neapel gebracht wurde.
Während dieses antike Vorbild aber ruhig ausruht und die Hand auf dem Rücken mit seinem spektakulärsten Raub, den goldenen Hesperiden-Äpfeln, „Quigong“ spielt, lässt der bayerische Schnitzer seinen Herkules, wie es sich gehört, richtig arbeiten: Er erwürgt den gefräßigen Nemeischen Löwen (Tat 1), fängt den marodierenden Erymanthischen Eber ein (Tat 4), schießt die bösartigen stymphalischen Vögel mit seinen Pfeilen ab (Tat 6) und trägt mal eben das Himmelsgewölbe, um zum Lohn dafür die oben erwähnten Goldäpfel abzustauben (Tat 11). Zwischenzeitlich ringt er noch den Giganten Antaeus nieder und legt sich mit diversen pferdeleibigen Kentauren an – ohne Nummer…

In der Münchner Residenz ersetzten die stilistisch zwischen Barock und Frühklassizismus stehenden Skulpturen einen älteren Zyklus von Herkulesfiguren, der schon unter Kurfürst Maximilian I. (reg. 1597-1651) im Münchner Hofgarten aufgestellt worden war. Das zeigt: Egal wie morsch das Schnitzwerk auch sein mochte — Herkules und das Haus Wittelsbach gehörten dauerhaft zusammen! Dieser Eindruck verfestigt sich auch beim Durchschlendern der Residenz, wo der sagenhaften Kraftmeier in fast allen Lebenslagen, Altersstufen und Stimmungen die Jahrhunderte hindurch präsent ist.

"Mach Sitz!" - Bei der 12. Arbeit wollen die Widersacher des Herkules auf Nummer sicher gehen und schicken in die Unterwelt, um dort den dreiköpfigen Höllenhund Cerberus einzufangen - aber dem mythologischen Hundeflüsterer gelingt auch dieser Dressurakt!

„Mach Sitz!“ – Bei der 12. Arbeit wollen die Widersacher des Herkules auf Nummer sicher gehen und schicken in die Unterwelt, um dort den dreiköpfigen Höllenhund Cerberus einzufangen – aber dem mythologischen Hundeflüsterer gelingt auch dieser Dressurakt!

Zunächst einmal in der Titelei: „Herkulessaal“, der Name des traditionsreichen Konzertsaals am Hofgarten, war ursprünglich die Bezeichnung für einen barocken Festraum der Residenz, in dem nicht nur eine Statue des Halbgotts stand, sondern auch kostbar gewirkte Bildteppiche mit seinen Taten an den Wänden hingen. Es sind allerdings nicht die Teppiche , die den modernen Herkulessaal schmücken (heute vor Ort Reproduktionen): Vielmehr handelt es sich bei den empfindlichen Originalen um sogar noch ältere Tapisserien, die bereits Maximilians Großvater Albrecht V. in den 1560er-Jahren bei Antwerpener Werkstätten in Auftrag gegeben hatte und die den Heros im heraldischen Weiß-Blau zum bayerischen Superhelden umfärbten.

Die wohl älteste Darstellung des altertümlichen Schwergewichts, die allerdings erst spät, im 19. Jh., in die Residenz gelangte, stellt ein verwittertes Relief dar, das in die Wand eingemauert Besucher*innen kurz vor dem Aufstieg ins Obergeschoss empfängt (Raum 10): Es zeigt den lagernden Herkules als Schlemmer und Zecher, dessen Heldentat hier wohl vor allem in beachtlichem Alkoholkonsum besteht. Ausgegraben wurde das ins 1. Jh. n. Chr. datierte Relief im griechischen Erytrhai, wo sich seinerzeit ein Herakles-Heiligtum befand.

Ein paar Schritte weiter, in der Schatzkammer, ist Herkules zwar nur im Miniaturformat, dafür aber in besonders kostbarer Aufmachung präsent: Auf einer silbervergoldeten Schmuckschatulle, die der berühmte Nürnberger Goldschmied Wenzel Jamnitzer um 1560 schuf, sind die Taten in antikisierenden Reliefs dargestellt: Beim Öffnen des Deckels verkünden goldene Lettern auf Latein: „Weltruhm begleitet die hochgemuten Taten des Herkules, weil sie sich als Werke des Lebens erweisen“.

Fast unsichtbar, aber dennoch verblüffend detailreich kämpft, erschlägt und errettet Herkules auch rund um die goldglänzende Wandung des um 1546 geschaffenen „Rappoltsteiner Pokals“: Zusammen mit anderen Tugendhelden aus Bibel und antiker Historie verkündet er die Qualitäten der Herren von Rappoltstein, deren Wappen auf dem Prunkgefäß angebracht sind.

Immer unterwegs: Zum Zeichen, dass er das Ende der (griechischen) Welt im fernen Westen erreichte, errichtet der Halbgott dort die beiden

Immer unterwegs: Zum Zeichen, dass er das Ende der (griechischen) Welt im fernen Westen erreichte, errichtet der Halbgott dort die beiden „Säulen des Herkules“ – ungefähr bei Gibraltar. Im 16. Jh. wählte sie Kaiser Karl V. mit der Devise „Plus Ultra“ („Noch weiter“) als Wahrzeichen seiner weltumspannenden Herrschaft.

Besser erkennbar für uns, aber verwirrend für den geplagten Herkules ist hingegen die kleine Gruppe aus dem frühen 17. Jh. in den „Bronzesälen“ am Kaiserhof. Sie zeigt ihn im Kampf mit der vielköpfigen Hydra, aber wer soll in dem Gewimmel noch durchblicken?  – wachsen dem monstermäßigen Wasserspeier doch für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nach! Vorbild für die Statuette waren die monumentalen manieristischen Herkules-Brunnen des Adriaen de Vries in Augsburg und Prag. Katholische Herrscher liebten diese Heldentat besonders, weil sie sich im Bild des mythologischen Drachentöters als aufrechte Schutzherren der alten Kirche darstellen konnten, die der vielköpfigen Schlange der Ketzerei eins mit der Keule rigider Religionspolitik verpassten.

Der (Halb-)Gott und die Schlange bleiben auch in den Prunkräumen des 18. Jh. ein Dauerthema: So kauert unter dem prachtvollen, um 1730 geschnitzten Konsoltisch im Konferenzzimmer des kurfürstlichen Paradeappartements ein trotzig blickender, sehr properer Baby-Herkules und drückt voll kindlicher Grausamkeit chancenlosem Gewürm die Luft ab: Dieses hatte die missgünstige Stiefmama, die Götterkönigin Hera/Juno, loskriechen lassen, um den Fehltritt ihres Gatten mit einer Sterblichen aus der Welt zu schaffen (dem problematischen Verhältnis zu „Papas anderer Frau“ verdankt der Held übrigens seinen griechischen Namen „Herakles“ = „Der sich an Hera Ruhm erwarb“).

Nur ein paar Schritte weiter im Miniaturenkabinett thront dann der inzwischen erwachsene Rabauke schon wieder über allem möglichen (Fabel-)Getier, das er mit der Keule zusammengehauen hat: „Verknüllt“ und raffiniert ineinandergeschoben windet es sich als prachtvolle Elfenbeinschnitzerei aus der Epoche Maximilians I. um Arme und Gestänge eines kunstvollen Lüsters, der, wie Herkules, Segen und Wohltat durch sein kostbares Licht spendet.

Noch viele Darstellungen des sagenhaften Heroen gibt es in der Residenz. Doch wir überspringen sie kühn und halten erst im 19. Jh., im Königsbau Ludwigs I., kurz noch einmal inne:
Die um 1834 geschaffenen Wandmalereien, die im Schlafzimmer des Königs einst Theokrits Gedicht über den kleinen Herakles illustrierten, sind leider im Weltkrieg zerstört worden.

Doch nur ein paar Räume weiter paradiert er unter dem Löwenfell auf goldenem Untergrund zur Rechten des thronenden Monarchen neben dem Baldachin: Nun im Unterschied zu den barock bewegten älteren Darstellungen vom Bildhauer Ludwig Schwanthaler klassisch gebändigt, mit Lyra, die Scham keusch verhüllt, und im edlen griechischen Profil.

Aber die Stufen zum Thron sind ja nur die vorletzte Etappe wahren Heldentums! Das weiß man auch in der Residenz. Und so entlassen wir den alten Tugendheros zu seinem letzten Aufstieg:

An der Decke der „Kaisertreppe“ aus dem frühen 17. Jh. begegnen wir Herkules (heute) zum letzten Mal: Von seiner treuen Helferin, der Göttin Minerva/Athene, mit dem Lorbeerkranz bekrönt, schwebt er am Ende eines arbeitsreichen Heldenlebens aus den Flammen des Scheiterhaufens empor in den Götterhimmel – während einen Treppenlauf weiter die Lasterhaften abstürzen und zerschmettern!

Wer also, wie einst der junge Herkules, am berühmten Scheideweg zwischen Laster und Vorbildlichkeit steht und Anregungen für ein göttlich tugendhaftes Dasein sucht, wähle die Abzweigung zu uns in die Residenz – wir freuen uns!

 

6 Kommentare

        Kommentare sind geschlossen.