Es weihnachtet schwer – fast alle Türchen des Adventskalenders stehen schon sperrangelweilt offen, frei nach Rilke darf man mutmaßen „Wer jetzt keinen Baum hat/holt sich keinen mehr“ und generell gilt die Parole: Vorsicht – es wird ernst: Das ist keine Übung! Bevor sich also Alles in die wohlverdiente Feiertagsruhe verabschiedet noch ein kleiner Blogbeitrag zum Thema, das die frohlockende Christenheit derzeit hauptsächlich bewegt!
Tatsächlich ist die Weihnachtsgeschichte fast allgegenwärtig in der Residenz – kein Wunder: Schließlich zelebrierten sich die bayerischen Wittelsbacher seit dem späten 16. Jahrhundert als Frontkämpfer im konfessionellen Glaubenskampf und als treue Söhne der katholischen Kirche: Die Aufnahme religiöser Themen und Motive in die Ausstattung ihrer Residenz war ihnen also nicht nur (wahrscheinlich) Seelenbedürfnis, sondern zugleich auch, vielleicht sogar in erster Linie, politisches Programm: Die zahlreichen Sakralräume, die sie innerhalb der Mauern ihres Münchner Wohn- und Regierungssitzes einrichten ließen, sollten die Residenz letztlich als gebautes Bekenntnis zum Bündnis von Thron und (alter) Kirche kennbar machen. Prunkvoll-raffinierte Rauminszenierungen, an ihrer Spitze die Reiche Kapelle mit dem dort verwahrten Heiltumsschatz, belegen dies bis heute auf eindrucksvolle Weise
Klar, dass vor diesem Hintergrund die wundersame Geburtsgeschichte Jesu im Stall, die Anbetung der Hirten und der weisen Könige als Beginn des ganzen künftigen Heilsgeschehens in der Residenz im Lauf der Jahrzehnte regelmäßig zur Darstellung kam: So prangt die Anbetung der Hirten, die vom himmlischen Herold benachrichtigt in der Weihnachtsnacht in den Stall von Bethlehem stürmen, als vergoldetes Relief im leuchtendblauen Gewölbe des herrscherlichen Privatoratoriums. Es ist die schon genannte, 1607 geweihte „Reiche Kapelle“, die unter Maximilian I. (reg. 1597-1651) neben dessen Wohnräumen eingerichtet wurde.
Und auch die etwas später nachrückenden weisen Könige aus dem Morgenland erscheinen beispielsweise um 1700 in edlem Elfenbein geschnitzt auf einem Relief in der Schatzkammer. Wenige Schritte weiter ist dasselbe Thema nochmals in einer Nachbarvitrine präsent, als Mittelszene eines winzig kleinen, aber überbordend kostbar mit Edelsteinen besetzten kleinen Klappaltars von 1576/80.
Juwelenhaft klein sind auch die im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts für den Münchner Hof geschaffenen Miniaturen Joseph Werners, der Hirtenanbetung und die königliche Visite bei Mutter und Kind in freier Abwandlung berühmter Vorbilder gestaltet: Die Darstellung des Christkindes als göttliche Lichtquelle, die den Stall und die ganze Heilige Nacht erhellt, zitiert letztlich die „Famosa Notte“, die berühmte Weihnachtsdarstellung des Correggio mit ihrer faszinierenden innerbildlichen Lichtregie, die im 18. Jahrhundert in der Dresdener Gemäldegalerie für Furore sorgte.
Der Einzug der prunkvoll ausstaffierten Könige samt Kamel und exotischer Dienerschaft blickt ihrerseits auf eine lange Tradition zurück, wobei Werner sich konkret auf jüngere Vorlagen aus der Werkstatt des Peter Paul Rubens bezieht.
Intimer, obwohl in größerem Format, geht es bei einem anderen Niederländer zu: Caspar de Crayer: Marias deckt vor den in naiver Freude anbetenden Hirten das Kind wie eine Weihnachtsüberraschung auf. Schon 1748 ist das Gemälde an seinem heutigen Platz in der Grünen Galerie dokumentiert.
Besonders interessant und aussagekräftig ist die barocke Miniatur des Michael Scharner, die Maria mit dem Kind, umgeben von Engeln zeigt: Ein zweiter Blick erweist die zierliche Gottesmutter mit den Mandelaugen und den gekräuselten Haaren nämlich als Porträt der Kurfürstin Henriette Adelaide (1636-1675) mit ihrem jüngsten Sohn Joseph Clemens auf dem Schoß und umgeben von ihren älteren Kindern, die wie in einem neuzeitlichen Krippenspiel mit angeklebten Flügen als himmlischer Hofstaat angetreten sind, wobei die zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Geschwisterchen mit Rosen- und Lorbeerkränzen aus den Paradieswolken herabschweben.
Die Miniatur zeigt, wie unbefangen im höfischen Bereich der absolutistischen Herrschaftsdoktrin, der weltliche Fürst sei gegenüber seinen Untertanen der Repräsentant und Stellvertreter Gottes auf Erden, im Bild Ausdruck verliehen wurde.
Und tatsächlich gab die verzweifelte Intensität, mit der Henriette Adelaide und ihr Gemahl Ferdinand Maria (reg. 1651-1679) über lange Jahre hinweg die Geburt eines Thronfolgers erwartet hatten, der Darstellung eine besondere Berechtigung: Die letztendliche Geburt des Erbprinzen Max Emanuel wurde als eine Art Weihnachtswunder gefeiert, das als göttlicher Gnadenakt gepriesen wurde: Der Bau der Votivkirche des heiligen Fürbitters Cajetan (die „Theatinerkirche“) legt hiervon bis heute beredtes Zeugnis ab! (übrigens: das „Christkind“ Joseph Clemens blieb auch als Erwachsener bei seiner Rolle und wurde ein umtriebiger Erzbischof von Köln!)
Belegen diese Beispiele die über alle Zeiten hinweg ungebrochene Faszination, die von der Weihnachtsgeschichte, der Vorstellung von göttlichem Glanz und königlichem Prunk in dem ärmlichen Stall ausgeht, so führen uns andere Darstellungen noch enger an die gelebte Frömmigkeitspraxis der Frühen Neuzeit: Zahlreiche Kunstzeugnisse belegen den unersättlichen Hunger der Gläubigen nach Details, die den dürren Angaben der Evangelien „mehr Fleisch“ verliehen. Kenntlich wird dies an dem vom Mittelalter an immer zunehmenden Schatz christlicher Legenden, die über die Kindheit Jesu, die Umstände der Flucht nach Ägypten und vom Leben in heimischen Nazareth, das dem öffentlichen Wirken des Heilands vorausging, berichten und teils in populären Sammlungen wie der berühmten „Legenda aurea“ des Jacobus de Voragine, teils in volkstümlicher Überlieferung tradiert wurden. Auch von diesen weihnachtlichen Nebenschauplätzen wissen die Bilder und Kunstschätze der Residenz zu berichten.
Allein zwei Darstellungen, eine 1632 aus Stuckmarmor gefertigte Einlegearbeit an der Wand der Reichen Kapelle sowie eine weitere, gut drei Jahrzehnte jüngere Miniatur Joseph Werners, zeigen z.B. die beliebte Erzählung von der ägyptischen Dattelpalme:
Als die Heilige Familie auf der Flucht vor Herodes unter diesem Baum rastet, wünscht Maria von den Früchten zu essen: Demütig neigt die Palme ihre Krone herab und gleichzeitig sprudelt unter ihrer Wurzel eine erfrischende Quelle hervor: Zum Dank verordnet der kleine Jesus den Engeln, zukünftig einen Palmzweig als Siegeszeichen zu tragen und Samen der Palme im Paradies zu pflanzen.
Noch ein weiteres Zeichen seiner Göttlichkeit offenbart das Kind auf dem weiteren Weg: In den ägyptischen Tempeln, welche die Flüchtlinge passieren, stürzen beim Erscheinen Jesu die Götzenbilder von den Altären, wie es auf einer weiteren Schmuckplatte der Kapelle am linken Bildrand zu sehen ist.
Während so Joseph mit den verschieden dargestellten, aber immer sehr niedlichen Eseln, die die weihnachtliche Last tragen, den fernen Pyramiden zustrebt, geht es den unschuldigen Kindern in Bethlehem bekanntermaßen schlecht. Auf der eifersüchtigen Suche nach dem verkündeten neuen Herrscher aus Davids Stamm lässt König Herodes alle männlichen Säuglinge töten. Die kleinen „Innocenti“ wurden schon im Mittelalter vielfach betrauert und, weil sie – wiewohl unbewusst – für Christus in den Tod gingen, als erste „Protomärtyrer“ verehrt: Zu den größten, heute eher makaber wirkenden Schätzen in der Reliquiensammlung der bayerischen Kurfürsten gehörte daher auch der sogenannte „Kindlschrein“, ein kostbar verzierter Kasten mit geschliffenen Scheiben, der angebliche Mumien dieser kindlichen Heiligen in reich verzierter textiler Verhüllung barg und später, als man weitere Körper erwerben konnte, um eine Etage aufgesockelt wurde!
Der düstere Ton, der hier ins Weihnachtsgeschehen eindringt, wurde von jeher vernommen und als Vorschau der künftigen Leidensgeschichte des göttlichen Kindes gedeutet: Auch eine frohe Genreszene wie das Familienleben des kleinen Jesus auf einer Baustelle seines Nährvaters, des frommen Zimmermanns Joseph, ist davon durchdrungen.
Wie die anderen Stuckmarmorbilder der Reichen Kapelle orientiert sich auch diese Darstellung am Vorbild des berühmten Holzschnittzyklus zum Marienleben, den Albrecht Dürer 1511 herausgegeben hatte und der, wie alle Werke des Nürnberger Künstlers, vom Bauherrn der Kapelle, Maximilian I., besonders geschätzt wurde. Wohl wenigen gläubigen Betrachtern entging, dass der göttliche Knabe dem greisen Zimmermann beim Glätten eines langen Holzbalken behilflich ist: der wenig verhüllte Hinweis auf das Kreuz, das der erwachsene Jesus später selbst zu seiner Hinrichtungsstätte tragen wird.
Dieser Gedanke liegt ähnlich einer kleinen barocken Marmorskulptur im Depot des Residenzmuseums zugrunde, die das nackte Christuskind zeigt, das liebend sein künftiges Marterkreuz umfängt.
Unmittelbare Anschauung findet das theologische Konzept schließlich auch auf einer prächtigen, aus einem ehemaligen Handspiegel gefertigten Paxtafel, ein Instrument zum Weiterreichen des liturgischen Friedenskusses im Rahmen der Messfeier: Auf der einen Tafelseite, auf die der Gläubige die Lippen presst, ist nach einer Vorlage des Hans von Aachen die Anbetung der Hirten vor der Krippe dargestellt, auf der Rückseite aber die Bettung des gekreuzigten Christus in eine andere Krippe – dem Sarkophag: Reliquien beider Ruhestätten sind als Bestätigung der Bilder direkt darunter in die Einfassung der Tafel eingelassen!
Noch viele Beispiele gäbe es zu zeigen – oder selbst zu entdecken! Aber die Zeit rennt, der Rotkohl muss noch gekocht und der Baum geschmückt werden!
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern, die Weihnachten feiern, frohe Festtage, und allen, die einfach frei haben, gute Erholung!