Schon beim Betreten der Ausstellung des Marstallmuseums von Schloss Nymphenburg kann sich die ganze Familie ausprobieren. Wer schafft es, die Griffe an der interaktiven Mitmachstation, die die Traglast eines Sänftenträgers simuliert, zu bewegen? Schnell stellen hier alle Entdeckerinnen und Entdecker fest, dass die Träger einen echten Knochenjob leisteten – etwa 60 Kilogramm stemmten sie in die Höhe.
Ein „Bobbycar“ für junge Hoheiten
Aber was ist das daneben? Ein kleiner Wagen mit gelbem Samtbaldachin, gerade groß genug für ein Kind. Die Gartenkalesche wurde tatsächlich für Kinder gefertigt und für Fahrten durch den Garten genutzt. Mit einer speziellen Filzbereifung kam das sogenannte „Gartenwägerl“ aber auch in den Innenräumen der Residenz München zum Einsatz. So ein prunkvolles Fahrzeug gab es allerdings natürlich nicht für jeden. Das Baldachin-Halbdach spendete nicht nur Schatten, sondern machte klar: Wer hierin fährt, ist zwar klein, aber dennoch hoher Würdenträger.
Das Fehlen von Heraldiken und Insignien, also des gekrönten Wappens und Monogrammen, verrät uns jedoch auch, dass der Wagen vermutlich nicht eigens für einen fürstlichen Hof gebaut wurde. Möglicherweise kaufte Kurfürst Max Emanuel das „Wägerl“ für seinen ersten Sohn, den jung verstorbenen Kurprinz Joseph Ferdinand (1692-99), oder den zweitgeborenen Kurprinz Karl Albrecht (1697-1745).
Zimmerschlitten ziehende Ziegen
Einen Raum weiter wird es eisig. Hier gibt es kunstvolle Komponenten an prunkvollen Schlitten aus dem Barock zu entdecken. Ob Herkules, der mit seiner Keule die siebenköpfige Hydra besiegt, Diana, Göttin der Jagd oder die zahlreichen aufwendig geschnitzten Putten mit ihren interessanten, manchmal recht lustigen Gesichtern. Was dieses kleine Engelchen auf dem barocken Kinderschlitten wohl denken mag?
Der für den Barock charakteristische Kufenschmuck des Zimmerschlittens zeigt einen Putto als Jupiter. Erkennbar an seinem Attribut: dem Adler. Das zu groß wirkende Engelchen auf dem Wagenkasten wurde erst nachträglich hinzugefügt. Ursprünglich saß hier ein Putto mit Kurhut, der Kopfbedeckung der Kurfürsten. Dies lässt darauf schließen, dass der Schlitten, geeignet für ein drei- bis sechsjähriges Kind, für den 1727 geborenen Kurprinz Max Joseph gebaut wurde.
Ein Blick auf den verdächtig ähnlich aussehenden Rennschlitten daneben erhärtet diese These. Denn der Schlitten, der allem Anschein nach Vorbild für die Kinderversion war, wurde vermutlich für Max Josephs Vater, Kurfürst Karl Albrecht, später Kaiser Karl VII., gebaut.
Während heute Mama, Papa oder auch mal die Tante oder der Onkel ranmüssen, wenn die Beine schlappmachen, war das damals nicht der Fall. Natürlich wurden die Kinderschlitten nicht von adeliger Verwandtschaft gezogen, aber auch die Dienerschaft blieb verschont. Denn wie auch bei der Gartenkalesche für Kinder zogen große Hunde, Schafe oder Ziegen den Schlitten auf kleinen Rollen durch die Innenräume von Residenzen oder Schlössern.
Mehr ist mehr! – Gesamtkunstwerke zwischen Märchen und Macht
Ganz vertieft in die spannenden Details der Schnitzereien bemerkt man es vielleicht nicht sofort: Der Klang von kleinen Schellen, der sich auf zauberhafte Weise durch den Raum bewegt. Zu hören ist hier der Originalklang des Gala-Schlittengeläuts von Karl VII. Wer die Augen schließen mag, kann sich direkt vorstellen, wie es damals war, als der Kaiser auffuhr und mit der Pracht der Kutsche und des Schmucks der Pferde seine Macht verdeutlichte – „Pimp my Ride“ im 18. Jahrhundert.
Aber auch König Ludwig II. stattete seine Fahrzeuge im 19. Jahrhundert in Anlehnung an das absolutistische Herrscherideal nach dem Motto „mehr ist mehr“ aus. So sind die märchenhaften Gefährte Ludwigs II. im Stil des Historismus als Gesamtkunstwerke zu verstehen, die Kunstsinn und Macht demonstrieren sollten.
Raum mit Prunkschlitten und Galawagen von König Ludwig II. im Marstallmuseum von Schloss Nymphenburg. © BSV/ Scherf/ Freudling
Das passende Geschirr zu den Fahrzeugen, auf die selbst Cinderella neidisch wäre, finden Reitsport- und Pferdebegeisterte genauso wie moderneres englisches Reitzeug im nächsten Raum.
Aber auch kleine und große Kunst- und Technikliebhaber kommen bei den weiteren Exponaten auf ihre Kosten. Ebenfalls im Erdgeschoss befindet sich rechterhand die Wagenhalle, in der klassische Kutschen, modernere Coupés und außergewöhnlichere Fahrzeuge zu finden sind. Beispielsweise ein Musikschlitten von 1830 oder der Leichenwagen von Königin Marie Therese von 1886/88.
Lustige Figuren und technische Raffinesse
Weiter geht der Ausflug ins Marstallmuseum mit der Geschichte des Marstalls. An einer Hörstation kann man beispielsweise etwas über das Leben des Hofvorreiters Hans Heckler lernen. Das Thema des letzten Raums im Untergeschoss ist die höfische Jagd. Hier ist unter anderem der interessante Bergwagen von Prinzregent Luitpold zu sehen.
Im Obergeschoss erwartet einen die Nymphenburger Porzellansammlung Bäuml mit Nymphenburger Porzellan aus der Gründungszeit ab 1753 bis in die 1960er Jahre. Hier trifft Kunstfertigkeit auf Design und es gibt neben Service und Vasen auch allerhand spannende und manchmal lustige Figuren zu entdecken. Bilder erzählen zudem von Münchner Pferderennen. Den Abschluss bilden kostbare Reit- und Fahrausstattungen von 1630 bis 1900 sowie das Park-Phaeton des technikbegeisterten Kurfürsten Karl Theodor (um 1775).
Vom 16. Oktober bis zum 31. März hat das Marstallmuseum täglich von 10-16 Uhr und ab April bis zum 15. Oktober täglich von 9-18 Uhr geöffnet. Am 1. Januar, Faschingsdienstag sowie am 24., 25. und 31. Dezember ist das Museum geschlossen. Weitere aktuelle Informationen finden ihr auf unserer Website.